Digitale Karten des öffentlichen Raums sollten öffentlich sein - und was jeder dafür tun kann
Öffentlicher Raum ist großartig! Keine Sorge, der nächste Absatz kommt zum Digitalen. Aber erst ein wichtiger Exkurs in Ihr Stadtviertel. Denken Sie an Ihren Lieblingsort dort. Was macht ihn aus? Bei mir ist es das Friedensplätzchen mit den Eichen und den Parkbänken nebenan. Da sitzen Menschen abends vor der Eckkneipe, manchmal organisiert der Nachbarschaftsverein einen Flohmarkt, zweimal die Woche kommen Bauern zum Markttag, abends spielen Menschen Boule, die Stadt hat einen Bücherkasten hingestellt, den Spender ständig mit Klassikern, Lustigen Taschenbüchern und Fachliteratur übers Fondsmanagement füllen. Hier passiert viel, hier ist Leben und es fühlt sich nach Gemeinschaft an. Woran das liegt? Jeder kann den Platz nutzen und jeder trägt etwas bei: Unternehmen, Vereine, Privatpersonen, die Stadt.
Das macht öffentlichen, digitalen Raum aus
Jetzt der Sprung zum Digitalen: Wie sieht das bei den Modellen solcher Orte in digitalen Karten aus? Kann sie jeder nutzen, kann sie jeder ergänzen? Mit nutzen meine ich nicht nur abrufen. Nutzen bedeutet für mich wie auf dem physischen Friedensplätzchen nebenan: gestalten, verändern, etwas Neues daraus machen.
OSM zeigt, was Freiwilligen vor Ort wichtig ist. Zentral kommerziell geplante Karten zeigen, was Produktmanagern wichtig erscheint.
Beginnen wir ganz banal: Das digitale Modell des Friedensplätzchens in OpenStreetMap zeigt das öffentliche Bücherregal, die öffentlichen Bänke, den Bauernmarkt, die Fahrradstellplätze und die Altpapiercontainer. Google Maps zeigt nicht davon.
Das könnte daran liegen, dass öffentliche Bücherregale und Sitzbänke für einen kommerziellen, zentral planenden Anbieter nicht dieselbe Bedeutung haben wie für Menschen, die vor Ort ihr Viertel kartieren.
Das ist ein wesentlicher Unterschied zwischen dem offenen, nicht-kommerziellen OpenStreetMap-Modell und kommerziellen Kartierern: Gestaltungsmöglichkeiten und Ausrichtung. OpenStreetMap zeigt, was Freiwilligen vor Ort wichtig ist. Von Firmen geplante und mit gekauften Material ergänzte Karten zeigen, was Produktmanagern wichtig erscheint.
Es geht darum, dass digitale Modelle des öffentlichen Raums selbst öffentlich sind.
Den zweiten wesentlichen Unterschied sieht man nicht beim Vergleich des Kartenmaterials: Zugänglichkeit für weitere Nutzung. Mit den Daten von OpenStreetMap kann jeder nach transparenten Lizenzbedingungen Navigationsanwendungen, Visualisierungen oder historische Datenreihen entwickeln. Beispiele:
- die Basiskarten des Datenvisualisierers CartoDB basieren auf OSM (kommerzieller Dienst, freie Software)
- die Datenvisualisiersngusoftware Umap basiert auf OSM-Daten (freier Dienst, freie Software)
- Foursquare nutzt OpenStreetMap-Daten (kommerzieller Dienst)
- die Navigationsanwendung Scout des Unternehmens Telenav basiert auf veredeltem OSM-Kartenmaterial (kommerzieller Dienst)
Die Vielfalt dieser auf OSM basierenden Anwendungen und Dienste erinnert mich an das Friedensplätzchen. Mit der physischen, öffentlichen Infrastruktur kann jeder – Mensch, Verein, Firma – etwas Neues ausprobieren. Und genauso frei sind kreative Nutzer, die etwas auf OpenStreetMap aufbauen. Das ist bei kommerziellen Kartenanbietern anders. Deshalb ist für mich die Nutzung und Förderung OSM abgesehen von den praktischen Vorzügen eine grundsätzliche Sache: Es geht darum, dass die digitalen Modelle des öffentlichen Raums selbst öffentlich sind. Zumindest eines.
Freiwillige Helfer füllen Datensilos – oder die Allmende
Jetzt noch eine Abstraktionsebene höher: Ich glaube, die Entwicklung digitaler Karten und Modelle unserer physischen Welt derzeit ist ein gutes Bild für einen starken Trend in der Entwicklung des gesamten Netzes. Natürlich können Nutzer nahezu jede geschlossenen Kartenanwendung ergänzen und verbessern. Tippen Sie die Öffnungszeiten ein (Google Maps)! Korrigieren Sie Karten (TomTom Mapshare)! Bewerten Sie Restaurants! Liefern Sie Echtzeitdaten zu Staus (Anwendungen wie Waze basieren auf der Partizipation des Teilnehmer)!
Wem die Beiträge der Freiwilligen Helfer dieser nutzerbasierten, geschlossenen Karten wie zu Nutze kommen, bestimmen die Betreiber dieser Plattformen allein. Das ist der wesentliche Unterschied zur offenen, freien OpenStreetMap. Dieses Modell findet sich bei allen auf user-generated content basierenden Plattformen, sehr schön veranschaulicht das der „Internet Trends Report 2015“ der Investmentfirma Kleiner Perkins Caufield & Byers. Darin heißt es:
„Reimagining Content: It’s increasingly user-generated / curated & surprising.“ und: „Imagine that users generating their content are recreating their internet.“
Natürlich meint KPCB damit allein geschlossene Plattformen wie Pinterest, Snapchat, Twitch, Wattpad, die auf demselben Engagement fußen wie ein lebendiger öffentlicher Raum, selbst aber nur bestimmte Aspekte des öffentlichen Raums bieten oder simulieren. So wie ein Einkaufszentrum. Die Alternative sind Allmenden wie OSM.
Und, was kann man da jetzt machen?
Den zweiten Satz von KPCB ernst nehmen und das Netz verändern. Das ist ganz einfach und tatsächlich gibt es eine App dafür: Den hervorragenden OSM-Editor Go Map installieren und das größte öffentliche digitale Modell unserer physischen Welt verbessern. Und hier Alternativen: für Android, für den PC und vielleicht auch ganz hilfreich die Übersicht zum Mitmachen. Öffnungszeiten eintippen. Bücherschränke kartieren. Ladeninfos aktualisieren. Märkte verzeichnen. Und so weiter. Das geht am Smartphone unterwegs hervorragend, dauert wenige Sekunden, macht Spaß und den öffentlichen Raum im Netz (und damit die Welt) ein wenig besser. Das Bild hier unten ist die Auflösung des Bildes oben: Ich habe einen Altpapier-Container kartiert. Hat fünf Sekunden gedauert.