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Wie ein deutsches Start-up mit Wagniskapital die Marktlücke für lokalen Digitaljournalismus schließen will

Konrad Lischka
Konrad Lischka
8 minuten gelesen
Wie ein deutsches Start-up mit Wagniskapital die Marktlücke für lokalen Digitaljournalismus schließen will

Ein Start-up, das in Deutschland bei Investoren Kapital für digitalen Lokaljournalismus eingeworben hat? Gibt es, in Mainz. Seit Juli 2015 ist dort das rein digitale Angebot Merkurist online. Mir sind an der Seite vier Dinge aufgefallen:

1. Die Gestaltung ist slick.

Sieht eher nach einem guten US-Techblog aus als nach einem Lokalmedium: gekonnt, elegant, durchdacht und funktional. Die Anmeldung zum Beispiel ist in weniger als einer Minute erledigt. Gut.

2. Merkurist hat gute Ideen, um Leser als Quellen einzubinden.

Mit den sogenannten Snips können Menschen schnell Themen anstoßen, das sie für aktuell halten und das Journalisten oder andere Leser weitererzählen. Zum Beispiel: Hubschraubereinsatz! Daraus werden dann auch Artikel. Ich kenne nur wenige Angebote im Digitaljournalismus, die solche Werkzeuge für die Interaktion mit Lesern bieten. Lokalkompass ist eines der wenigen Beispiele. Dabei dürften ein nutzerfreundliches CMS und slicke Technik die Voraussetungen dafür sein, Menschen vor Ort zu aktivieren.

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3. Merkurist misst Leserinteresse über Themenabos.

Die Idee ist richtig gut. Per Mausklick auf den Schalter “O-Ha” in einem Artikel oder Snip abonnieren Leser Updates zu diesem Thema. So eine explizite Äußerung hat mehr Aussagekraft über das Interesse als reine Abrufzahlen. Diese Signale nutzt das Merkurist auch, um das Interesse an bestimmten Artikeln und Themen zu beurteilen. Wenn ein Snip viel Aufmerksamkeit bekommt, wird ein Journalist auf die Recherche angesetzt. Und die Themenabos scheinen auch die Präsentation auf den Seiten zu beeinflussen – je mehr O-Has, desto höher die Chance auf prominente Platzierung.

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4. Da ist Werbung von lokalen Unternehmen auf der Seite!

Banner und Content Marketing, kein Geblinke von den Resterampen der Vermarkter.

Das Neuste

Einen guten Überblick der Inhalte der Mainzer Ausgabe gibt die Top Ten der meistgelesenen Artikel des Jahres 2015 – der Protest des Staatstheaters gegen eine AfD-Kundgebung, Blaulicht, Events.

Warum sieht das so gut aus? Das Content Management System von Merkurist ist eine Eigenentwicklung. Man merkt dem Angebot an, dass zu den Gründern ein Informatiker und ein Betriebswirt zählen. Manuel Conrad, Geschäftsführer der Mercurious GmbH (dem Betreiber von Merkurist) erzählt, dass er und die anderen Mitgründer fast eineinhalb Jahre lang die Plattform entwickelt haben: »Tatsächlich ist unsere Plattform mitsamt des Konzepts und der Technologien universell für jede Art von Content einsetzbar. Der Fokus auf den Lokaljournalismus hat sich eher aus der aktuellen Marktsituation und dem korrespondierenden Business Plan ergeben.«

Das langfristige Ziel dieses Plans erscheint mir ebenso logisch wie größenwahnsinnig: Auf der Website des Merkurist zeigt das Unternehmen unter »Vision« eine Karte der gut 200 Städte und Regionen in Deutschland, wo nur eine tägliche Lokalzeitung erscheint. Da sehen die Merkurist-Gründer eine Marktlücke. Conrad: »Oftmals gibt es in vielen Regionen nur noch einen regionalen Player, der wirklich ernstzunehmenden Journalismus anbietet und diese sind oftmals digital nicht auf der Höhe und versuchen mit der Brechstange eine Pay Wall einzuführen.«

Fragen und Antworten zum Geschäftsmodell

Hier beantwortet Mercurious-Geschäftsführer Manuel Conrad meine Fragen zu Geschäftsmodell, Finanzierung und Zielen seiner Firma:

Was ist Merkurist und was ist das Besondere daran?

Manuel Conrad: Merkurist ist in seiner Art und Weise bisher einzigartig auf der Welt und unterscheidet sich in zwei wesentlichen Merkmalen von klassischen journalistischen Plattformen.

Zum einen versuchen wir, den Leser zu aktivieren und bestmöglich in den journalistischen Prozess miteinzubeziehen im Sinne eines Social Journalisms. Jeder Leser hat die Möglichkeit lokale Themen, die er interessant und wichtig findet, bei Merkurist anzustoßen sowie Material (Bilder, Videos, Fragen, Meinungen) zuzuliefern. Und dann gibt es bei uns den o-ha! Button: Wenn ein Thema auch bei anderen Lesern genügend Interesse hervorruft und sie das durch einen Klick auf den o-ha! Button kundtun, wird es durch einen professionellen Journalisten in einem längeren Artikel fundiert ausgearbeitet. Wir versuchen also, dort Journalismus zu produzieren, wo wir eine kritische Masse an interessierten Leser messen.

Eigene Software, um journalistische Prozesse zu automatisieren

Der zweite große Unterschied sind unsere selbst-entwickelten Technologien. Hier kann ich mittlerweile sicher behaupten, dass wir allen großen deutschen Verlagen mehrere Schritte voraus sind. Wir tracken das Leserverhalten sehr dezidiert und können darüber die Qualität von Artikeln, die aktuelle Relevanz und den Erfolg von journalistischen Beiträgen automatisiert bestimmen und prognostizieren. Wir nutzen diese Technologien überwiegend dazu, um journalistische Prozesse zu automatisieren und Inhalte besser für die Leser aufzubereiten. Wir werkeln immer weiter an unseren Technologien. Vor kurzem haben wir zum Beispiel ein Tool entwickelt, mit dem man Schwachstellen in Texten auf Basis des Leserverhaltens sehr genau identifizieren kann. Oder ein Tool, dass aus verschiedenen Überschriften und Bildern für einen Text, die beste Kombination automatisch heraussucht. Mit unseren Technologien haben wir auch ganz neue Möglichkeiten, neuartige Werbeprodukte zu entwickeln, die wir regionalen Unternehmen anbieten können.

Wie sieht die publizistische Bilanz von Merkurist heute aus?

Manuel Conrad: Überwiegend kriegen wir ein sehr positives Feedback von Lesern und lokalen Stakeholdern (Institutionen, Unternehmen, Politiker). Unsere Qualität hat sich seit unserem Start im Juli jeden Monat spürbar verbessert und von Tag zu Tag werden wir relevanter für die Mainzer Bürger. Manchmal sind wir noch ein bisschen langsamer als die lokale Verlagskonkurrenz und können in der Quantität der täglich publizierten Artikel nicht mithalten. Wir konzentrieren uns derzeit auf rund 6 neue Artikel pro Tag und 12 Snips und sind der Meinung, damit ein ausreichendes Angebot für die lokal-interessierten Leser zu schaffen. Oftmals profilieren wir uns mit eigenen Themen schon ganz gut. Hier geht unser journalistisches Konzept mit der direkten Einbindung der Leser sehr gut auf. Es entstehen spannende Themen, die nah an den Lesern sind, und die es normalerweise nie in die Redaktionskonferenz der lokalen Zeitung schaffen würden. Hier stellen wir mittlerweile fest, dass unsere Konkurrenz ab und an bei uns abschreibt. Auch der o-ha!-Button kommt sehr gut bei den Lesern an und ist zu einem tollen Alleinstellungsmerkmal für uns geworden. Nur kommentiert werden unsere Artikel und Snips noch zu selten. Hier grast Facebook oftmals viel von der Interaktion der Leser schon ab, das versuchen wir noch zu verbessern. Insgesamt sind wir aber sehr zufrieden mit unserer Bilanz nach sechs Monaten. Noch ein paar konkrete Zahlen dazu: Wir hatten im Dezember über 180.000 Visits, wir haben rund 2.000 registrierte Leser und auf Facebook haben wir über 12.000 Fans.

40.000 Euro Werbeumsatz im ersten Halbjahr in Mainz

Und wie fällt die geschäftliche Bilanz des Merkurist bislang aus (Umsatz/Gewinn-Verlust)?

Manuel Conrad: Noch schreiben wir Verluste, das haben wir auch nicht anders erwartet und wird sich bei unseren Wachstumsplänen in den nächsten Jahren vermutlich erstmal nicht ändern. Generell ist es unser Ziel, mit einer Stadt den operativen Break-Even 2 Jahre nach Launch zu erreichen. In Mainz haben wir in den ersten 6 Monaten einen Umsatz von 40 TEUR realisiert und haben weitere 60 TEUR in der Auftrags-Pipeline. Das reicht natürlich noch nicht, um unser Modell nachhaltig zu finanzieren, unsere Investoren und ich sind aber sehr optimistisch gestimmt, dass wir die Umsätze weiter ausbauen.

Was sind die Herausforderungen dabei, lokal Onlinewerbung zu verkaufen? Und was macht Merkurist hier anders, um erfolgreich zu sein?

Manuel Conrad: Es gibt eine Reihe an Vor- und Nachteilen im lokalen Werbemarkt. Zunächst zu den Vorteilen: Man findet als Startup leichter Zugang zu den Entscheidungsträgern lokaler Unternehmen.

Vorteil lokaler Digitalwerbung: höhere TKP-Preise

Die Margen und TKP-Preise, die man realisieren kann, sind sehr viel höher als im nationalen Markt, der durch große Mediaagenturen dominiert wird, und die den Großteil der Marge abgreifen. Durch einen Direktvertrieb kann man lokale Kunden leichter und langfristiger an sich binden.

Die Nachteile: Umsätze, die man mit einem regionalen Kunden machen kann, sind sehr viel geringer; der Abwicklungsaufwand ist sehr viel höher, weil man die Kunden zusätzlich unterstützen muss; die Kunden sind sehr vorsichtig und skeptisch zu Beginn; Es kostet einfach Zeit, Vertrauen und Relevanz bei den Kunden aufzubauen.

Tatsächlich ist der Vertrieb unserer Werbeprodukte die größte Herausforderung und hier wird sich mittelfristig entscheiden, wie erfolgreich sich Merkurist entwickeln kann. Wir nutzen auch hier unsere Technologien, um attraktivere Werbeprodukte anbieten zu können als die Konkurrenz. Hierzu gehört zum Beispiel das Feature, dass wir eine Werbeimpression nur dann abrechnen, wenn Sie mindestens 2 Sekunden im Sichtfeld des Lesers war. Der Werbende weiß also ganz genau, wie viele Sichtkontakte er tatsächlich für sein Geld erhält. Gesponserte Artikel rechnen wir zudem nach dem gelesenen %-Anteil ab. Nach meinen Informationen sind solche Abrechnungsmodelles bisher einzigartig in Deutschland. Im einzelnen macht es auch hier am meisten Sinn, unsere Werbeprodukte konkret am Beispiel zu zeigen, dann wird sehr viel schneller deutlich wo die Unterschiede / Vorteile liegen. Melde Dich also hier, wenn Du Interesse hast, mehr über unsere Werbeprodukte zu erfahren.

Wie viele Menschen verdienen heute mit Merkurist ihren Lebensunterhalt? Wie viele sollen es Ende 2016 sein?

Manuel Conrad: Zur Zeit arbeiten 10 feste Mitarbeiter und 6 Studenten an Merkurist mit. Innerhalb der ersten 6 Monate konnten wir uns zudem einen Pool an über 30 freien Autoren aufbauen. Mit der geplanten Expansion in weitere Städte werden natürlich weitere Mitarbeiter. Wenn die Expansion so wie geplant läuft, sollten wir insgesamt auf rund 30 Mitarbeiter kommen.

Wenn du dir Merkurist-Leser vorstellst: Wie sieht er, wie sieht sie aus?

Manuel Conrad: Der Merkurist-Leser ist digital-affin und interessiert sich für Nachrichten / Themen aus seiner Stadt. That’s it. Viel genauer wollen wir unsere Zielgruppe gar nicht definieren, schon gar nicht aus thematischen Gründen.

Die treuesten Leser sind zwischen 26 und 54 Jahre alt

Wir wollen einem breiten Publikum ein breites lokaljournalistisches Angebot liefern. Individuelle Geschmäcker differenzierter Zielgruppen können wir über unseren Personalisierungs-Algorithmus gerecht werden.

Wir haben eine Marktstudie gemacht und hier festgestellt, dass unsere treusten Leser derzeit zwischen 26 und 45 Jahre alt sind. Erst bei den über 50 Jährigen geht unsere Bekanntheit merklich zurück und bei den Über-65-jährigen sind wir gänzlich unbekannt. Die hängen an ihrer Tageszeitung und hier wird es sehr schwierig sein, diese Altersgruppe von einem neuartigen Konzept zu überzeugen.

Was sollten mehr Menschen wissen?

Manuel Conrad: Ich vertrete hier eine andere Meinung als die klassischen Vollblut-Journalisten, die in der Aufbereitung und Kuratierung von Themen oftmals einen gesellschaftlichen Auftrag sehen, nach dem Motto, wir entscheiden, was den Leser zu interessieren hat. Mit dem Internet sind die Anzahl der Möglichkeiten, mit denen die Menschen ihre Zeit verbringen können, rapide gestiegen. Es geht für mich also gar nicht um die Frage, „was sollten die Menschen wissen“, ich kann es schließlich nicht beeinflussen. Wir versuchen stattdessen die Menschen mit relevanten Inhalten anzusprechen und eine Beziehung mit Ihnen aufzubauen.

Wie ist der Plan für 2016 – was soll Merkursit publizistisch, was geschäftlich Ende des Jahres erreicht haben?

Manuel Conrad: Publizistisch wollen wir zu einer etablierten Marke für Lokaljournalismus im Rhein-Main Gebiet, in Mainz, Wiesbaden und Frankfurt, werden. Wir wollen die Interaktion mit unseren Lesern weiter optimieren, weil hierin stecken ungeahnte Potentiale. Unsere Vertriebsstrukturen müssen wir weiter professionalisieren, dann steigen die Umsätze ganz automatisch. Umsatzmäßig wollen wir uns Ende 2016 in etwa verfünffachen.

Woher kommt das Startkapital?

Manuel Conrad: Wir sind mittlerweile in der dritten Runde durch Venture-Capital finanziert.

Kannst du mehr sagen dazu – wer investiert, in welchem Umfang?)

Es sind zwei Business Angels aus der IT-Branche. Den Namen möchte ich nicht nennen, sie haben aber ein rein unternehmerisches Interesse und halten sich inhaltlich komplett raus.

Bisher steckt ein mittlerer sechsstelliger Betrag in Merkurist

Zum Finanzierungsvolumen kann ich soviel sagen, dass die nächste Phase einen siebenstelligen Finanzbedarf benötigt. Bisher steckt ein mittlerer sechsstelliger Betrag in Merkurist. Wir sind jetzt gerade in der dritten Runde, um die Expansion in zwei weitere Städte zu finanzieren. Ist im Prinzip so gut wie sicher, wir überlegen, ob wir noch einen weiteren Externen mit ins Boot holen.

Blog

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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