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Bahnstreik und Bahntarif - gut zu wissen

Konrad Lischka
Konrad Lischka
6 minuten gelesen
Bahnstreik und Bahntarif - gut zu wissen

Inhaltsverzeichnis

Was mich nervt: Aktuelle Happen in der Berichterstattung, ohne Einordnung und Hintergrund - zum Beispiel beim Bahnstreik. Viel Aufregung, viele Zitate, aber wenig Rahmen, um das einzuordnen. Ich hätte gerne in jedem Beitrag zum Thema einen Werkzeugkasten, um das gerade Aktuelle einordnen zu können. Bei der Tarifauseinandersetzung zum Beispiel: Wie hoch war die Inflation, was warf einheitlich der letzte Tarif ab, was wurde von wem wann angeboten und welche Abschlüsse haben andere Arbeitgeber gerade vereinbart. Online sollte so ein Set an Fakten und Links doch leicht in jedem Text verlinkbar sein zum Thema, wenn man die Absätze zur Einordnung nicht immer reinpasten will. Das Set hier habe ich mir selbst zusammengesucht. Als Service meine kleine Materialsammlung mit Zahlen zu Abschlüssen, Reallohnentwicklung, Forderungen und Angeboten. Ich wollte einfach wissen, was denn nun Sache ist. Quellen sind verlinkt. Als Hilfe zur Recherche und zum Einordnen.

Entgelt für Lokführer/innen

  • Laut der Statistik der Bundesagentur für Arbeit lag 2022 das mittlere monatliche Vollzeit Bruttoentgelt (Median) in Deutschland für Triebfahrzeugführer/innen im Eisenbahnverkehr bei: 3.735 Euro
  • Die DB selbst gibt gegenüber Stern.de (1/2024) an, dass Brutto mit Zuschlägen die Spannen bei 3700 bis 4450 Euro im Monat liegen, bei einem Durchschnittsgehalt von 4200 Euro.
  • Das  Durchschnittsgehalt von Vollzeitbeschäftigten in Deutschland lag im April 2023 in Deutschland bei 4323 Euro brutto laut Statistischem Bundesamt.

Bisheriger Tarif, Inflation, Reallohnentwicklung

  • Der aktuellste Verbraucherpreisindex für Deutschland liegt im November 2023 bei 117,3 Punkten. Die Basis ist der Verbraucherpreisindex für 2020 mit 100 Punkten. Sprich: 17,3 Prozentpunkte liegen wir drüber derzeit.
  • Der Tarifvertrag GDL – Bahn ist Oktober 2023 ausgelaufen. Er lief 32 Monate, also seit März 2021. Als tabellenwirksame Steigerung vereinbart waren damals: 1,5 Prozent in 12/2021 und 1,8 % in 3/2023.
  • Ganz simple Rechnung also: Im November 2023 nehmen die Menschen nach GDL-Bahn-Tarifvertrag 3,3 Prozent mehr Gehalt ein als Anfang 2020, bezahlen aber 17,3 % mehr für den Lebensunterhalt. Das heißt: Der Reallohnverlust liegt rechnerisch bei 14%. 

Forderungen, Angebote, Streik

Kurzübersicht (Tabelle)

(in Klammern meine Anmerkungen)

Datum Partei Entgeltänderungen und -prämien Arbeitszeitänderungen und -bedingungen Laufzeit
8.11.23 GDL
Forderung
+555 Euro
(14,8% des Median-Monatsgehalts 2022);
Einmalig 3.000 Euro
35-Stunden-Woche (Schichtarbeiter),
Freiwillig auf 40 Stunden erhöhbar
12 Monate
9.11.23 DB
Angebot
11% mehr Lohn gestückelt;
Einmalig bis zu 2.850 Euro
Kein Angebot 32 Monate
14.12.23 Abschluss
NETINERA
+ 210 EUR / Monat 01.03.2024
+ 210 EUR / Monat 01.12.2024
(=420 Euro mehr im Monat,
das entspricht 11,2 % des
Median-Monatsgehalts 2022)
Inflationsausgleichsprämie:
3000 EUR pro Mitarbeiter
Reduzierung auf 35 Stunden/ Woche
bis zum 01.01.2028
Nach spätestens fünf Schichten hat
Arbeitnehmer Anspruch auf
48 Stunden frei
24 Monate
(Entgelt)
5.1.24 DB
"Angebot"
11% mehr Lohn gestückelt;
Einmalig bis zu 2.850 Euro
Wahlmodelle bei Arbeitszeit;
Nutzung der App "Meine Zeit"
32 Monate
5.1.24 Abschluss
Go-Ahead
+ 210 EUR / Monat 01.03.2024
+ 210 EUR / Monat 01.12.2024
(=420 Euro mehr im Monat,
das entspricht 11,2 % des
Median-Monatsgehalts 2022)
Inflationsausgleichsprämie:
3000 EUR pro Mitarbeiter
Reduzierung auf 35 Stunden/ Woche
bis zum 01.01.2028
Nach spätestens fünf Schichten hat
Arbeitnehmer Anspruch auf
48 Stunden frei
24 Monate
(Entgelt)
19.1.24 DB
*Angebot"
+10,04% insgesamt über 32 Monate;
Einmalig bis zu 2.850 Euro
38 Std./Woche (+2,7% zum 1.1.2026);
oder 37 Std./Woche - aber unter Vorbehalt
32 Monate
5.2.24 Abschluss Transdev + 210 EUR / Monat 01.03.2024
+ 210 EUR / Monat 01.12.2024
(=420 Euro mehr im Monat,
das entspricht 11,2 % des
Median-Monatsgehalts 2022)
Inflationsausgleichsprämie:
3000 EUR pro Mitarbeiter
Reduzierung auf 35 Stunden / Woche
in Stufen bis 01.01.2028
(1.1.2029 bei Trans Regio)
24 Monate
(Entgelt)

19.1.2024: Angebot Arbeitgeberseite DB

Mein Kommentar: Das ist ein neues Angebot. Beim Entgelt nähert die DB sich mit 13% zumindest dem Ausgleich der Reallohnverluste an. Bei der Arbeitszeit gibt es eine gewaltige Einschränkung: Das Angebot zieht nur, wenn die Bahn genügend neues Personal zu dem Zeitpunkt hat. Zumindest lesen sich so die öffentlich bekannten Einschränkungen. Auf Einstellungem hat allerdings nur der Arbeitgeber Einfluss. Das ist so, also würde ich mein Auto an jemanden verkaufen und in den Vertrag reinschreiben: Verkauf und Bezahlung werden in zwei Jahren abgewickelt - aber nur, wenn der Käufer das Geld dann verfügbar hat.

  • Entgelt: +4,8 % (1.8.2024), +5 % (1.4.2025) = 10,04 % insgesamt über 32 Monate, weil jede Steigerung auf das bereits erhöhte Gehalt angewendet wird)
  • Entgelt & Arbeitszeit: 37 Stunden / Woche ab 1.1.2026. Vielleicht. "Die Wahloption zum 1.1.2026 steht unter dem Vorbehalt, dass dann genügend Lokführer:innen und Zugpersonal an Bord sind. Ist das nicht der Fall, fällt die Wahloption weg"
  • Entgelt & Arbeitszeit: 38 Stunden / Woche wie bisher und nur für diese +2,7 % zum 1.1.2026 ( = 13% insgesamt über 32 Monate, weil jede Steigerung auf das bereits erhöhte Gehalt angewendet wird)
  • Einmalig Inflationsausgleichsprämie: bis zu 2.850 Euro
  • Laufzeit: 32 Monate
  • Quelle

5.1.2024: Angebot Arbeitgeberseite DB

Mein Kommentar: Das ist kein neues Angebot im Wortsinn. Einzige Änderung zum 9.11.23: Irgendwie könnte die App "Meine Zeit" bei der Schichtplanung genutzt werden und es könnte "Wahlmodelle" bei der Arbeitszeit geben. Konkretes sehe ich da nicht in den Veröffentlichungen der DB. Sonst alles wie am 9.11.23:

  • Entgelt: 11 % mehr Lohn (über die gesamte Laufzeit von 32 Monaten gestückelt).
  • Einmalig Inflationsausgleichsprämie: bis zu 2.850 Euro
  • Laufzeit: 32 Monate
  • Arbeitszeit: kein konkretes Angebot ("Nun könnten für die Beschäftigten im Schichtdienst weitere Wahlmodelle hinzukommen. Diese erfordern in jedem Fall einen größeren zeitlichen Vorlauf. Die DB hat der GDL außerdem vorgeschlagen, die bei den Mitarbeitenden sehr beliebte App „Meine Zeit“ künftig auch in Betrieben zu nutzen, in denen die GDL-Tarifverträge zur Anwendung kommen. Mit dem digitalen Schichtwunsch-System können persönliche Schichtwünsche in 80 Prozent der Fälle umgesetzt werden“)
  • Quelle

9.11.2023: Angebot Arbeitgeberseite DB

  • Entgelt: 11 % mehr Lohn (über die gesamte Laufzeit von 32 Monaten gestückelt).
  • Einmalig Inflationsausgleichsprämie: bis zu 2.850 Euro
  • Laufzeit: 32 Monate
  • Arbeitszeit: kein Angebot. ("geforderte Arbeitszeitverkürzung" = „falscher", „nicht machbar“)
  • Quelle

8.11.2023 Forderung Gewerkschaft GDL

  • Entgelt: allgemeine Entgelterhöhung um 555 Euro (Anmerkung: das entspricht 14,8 % des Median-Monatsgehalts 2022 für die Berufsgruppe laut Bundesagentur für Arbeit)
  • Einmalig Inflationsausgleichsprämie: 3.000 Euro für Voll- und Teilzeitarbeitskräfte
  • Laufzeit: 12 Monate
  • Arbeitszeit: Absenkung der Arbeitszeit auf die 35-Stunden-Woche für Schichtarbeiter. Freiwillig kann diese bis auf 40 Stunden erhöht werden. Natürlich mit entsprechender Entgeltanpassung von 2,8 % pro Stunde.
  • Weitere Forderungen: Einführung der Fünf-Schichten-Woche bzw. einer Arbeitsphase von maximal fünf Tagen, anschließend ein Ruhetag von mindestens 48 Stunden
  • Quelle

Tarifabschlüsse bei anderen Bahnunternehmen

5.2.2024 Transdev-Gruppe

  • Entgelt: 210 EUR / Monat mehr zum 01.03.2024 und 210 EUR / Monat mehr zum 01.12.2024 (=420 Euro mehr im Monat, das entspricht 11,2 % des Median-Monatsgehalts 2022 für die Berufsgruppe laut Bundesagentur für Arbeit)
  • Inflationsausgleichsprämie: 3000 EUR pro Mitarbeiter (unter Anrechnung der bereits als Abschlag gezahlten 1.100 Euro)
  • Arbeitszeit: Reduzierung von aktuell 38 Stunden/Woche auf 35 Stunden/Woche bis zum 01.01.2028 (Ausnahme Trans Regio: von 39 Stunden / Woche auf 35 Stunden / Woche bis zum 01.01.2029) für die in Schicht arbeitenden Mitarbeiter:innen. Stufenweise:
    • ab 01.01.2025: 37,5 Std. / Woche
    • ab 01.01.2026: 36,5 Std. / Woche
    • ab 01.01.2027: 35,5 Std. / Woche
    • ab 01.01.2028: 35 Std. / Woche
  • Laufzeit Entgelt: bis 30. Juni 2025, Laufzeit Arbeitszeit: Bis Ende 2027
  • Quellen: Transdev, GDL

5.1.2024 Go-Ahead

  • Entgelt: 210 EUR / Monat mehr zum 01.03.2024 und 210 EUR / Monat mehr zum 01.12.2024 (=420 Euro mehr im Monat, das entspricht 11,2 % des Median-Monatsgehalts 2022 für die Berufsgruppe laut Bundesagentur für Arbeit)
  • Inflationsausgleichsprämie: 3000 EUR pro Mitarbeiter
  • Arbeitszeit: Reduzierung von aktuell 38 Stunden/Woche auf 35 Stunden/Woche bis zum 01.01.2028. für die in Schicht arbeitenden Mitarbeiter:innen. Nach spätestens fünf Schichten hat der Arbeitnehmer Anspruch auf mindestens 48 Stunden frei.
  • Laufzeit Entgelt: 24 Monate, Laufzeit Arbeitszeit: Bis Ende 2027
  • Quellen: GDL, Go-Ahead

14.12.2023: NETINERA

  • Entgelt: 210 EUR / Monat mehr zum 01.03.2024 und 210 EUR / Monat mehr zum 01.12.2024 (=420 Euro mehr im Monat, das entspricht 11,2 % des Median-Monatsgehalts 2022 für die Berufsgruppe laut Bundesagentur für Arbeit)
  • Inflationsausgleichsprämie: 3000 EUR pro Mitarbeiter
  • Arbeitszeit: Reduzierung von aktuell 38 Stunden/Woche auf 35 Stunden/Woche bis zum 01.01.2028. für die in Schicht arbeitenden Mitarbeiter:innen. Nach spätestens fünf Schichten hat der Arbeitnehmer Anspruch auf mindestens 48 Stunden frei.
  • Laufzeit Entgelt: 24 Monate, Laufzeit Arbeitszeit: Bis Ende 2027
  • Quellen: GDL, Netinera
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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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