Die Menschheit in der Kooperationsfalle
Inhaltsverzeichnis
Kerngedanken: Kulturelle Evolution in eine Sackgasse
Dieser Gedankengang ist düster, aber darum interessant: Die Evolution hat die Menschheit in eine Engstelle, vielleicht in eine Sackgasse entwickelt. Das Paper ist im peer-reviewten Journal „Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences“ veröffentlicht. Lesenswert auch das Interview mit einem der Autoren hier. Kurz zusammengefasst die Kerngedanken des Papers in meinen Worten:
(1) Die Menschheit dominiert als Spezies den Planeten. Sie hat diese Dominanz insbesondere durch kulturelle Evolution erreicht.
„One is culture, our ability to react to the environment, and then to pass on the socially learned information or behavior we’ve accumulated, to modify and improve it, test it, and pass it on again. So that gives us cultural inheritance, which we have used to adapt more rapidly to the environment than other species.“ (Tim Waring, Co-Autor des Papers in Nautilus )
(2) Kulturelle Evolution machte es möglich, als Gruppe Organisationsformen, Fertigkeiten usw. (Technologie, Wirtschaft, Recht) zu entwickeln und über die Zeit und über einzelne Individuen hinweg weiterzutragen und zu entwickeln.
„Because of the way we share information and cooperate, we’re really good at exploiting our shared knowledge as a group to do better than other species can. To not just capture one buffalo, but capture many. To divide up our labor and do agriculture.“ (Tim Waring, Co-Autor des Papers in Nautilus)
(3) Diese kulturelle Evolution hat Gruppen von Menschen (z.B. Nationen) hervorgebracht, die die Umwelt als Gruppe immer stärker im Eigeninteresse kontrollieren.
„Evidence indicates the growth of the human niche has been facilitated by group-level cultural traits for environmental control.“ (Paper "Characteristic processes of human evolution caused the Anthropocene and may obstruct its global solutions")
(4) Bisher war die Erfolgsformel: Je größer die Kontrolle einer Gruppe über die Umwelt ist, umso mehr Einfluss hat sie über andere Gruppen gewonnen.
Das Argument machen die Autoren zwar nicht explizit. Aber nach meinem Verständnis ist das die implizite Annahme für die folgende These im Artikel:
(5) Die Kooperation über Gruppen hinweg wurde in der kulturellen Evolution bislang nicht gestärkt. Je besser Kooperation innerhalb der Gruppe ist, desto größer die Dominanz und desto weniger nötig scheint Kooperation über Gruppen hinweg.
„First, selection on groups operates against cooperation between groups. Second, the population structure problem described above suggests that accumulating adaptive variation in global cultural traits is unlikely.“ (Paper)
(6) Diese Dynamik hat allerdings ein Ausmaß an Kontrolle über die Umwelt befördert, das für die Menschheit insgesamt schädlich ist.
Was die kulturelle Evolution über Jahrhunderte befördert hat, wird zur Gefahr. Die Spezies Mensch muss die langjährigen Muster der kulturellen Evolution ändern, um Umweltkatastrophen und einen eskalierenden Wettbewerb zwischen Gruppen zu vermeiden.
Im Großen und ganzen denkt und fühlt die Menschheit in viel zu kleinem Maßstab (national oder noch kleiner) verglichen mit dem Maßstab, in dem sie als Spezies und als Gruppen handelt (global).
„We conclude that our species must alter longstanding patterns of cultural evolution to avoid environmental disaster and escalating between-group competition.“ (Paper)
Die Autoren sind pessimistisch. Sie sehen eine sich verstärkende Dynamik der Nicht-Kooperation:
„Growing competition between societies over environmental resources accelerates the evolution of traits for direct competition and conflict. This undesirable path has significant evolutionary momentum. As we have detailed, much of recent human evolution has been characterized by between-group competition driving the growth of within-group cooperation and hierarchy. (...) More problematic is that path B creates a self-reinforcing (positive) feedback system which selects for ever more competitive human groups.“ (Paper)
Potenziale für Alternativen zu dieser sich selbstverstärkende Dynamik der Dominanz, Konkurrenz, Ausbeutung und Zerstörung erkennen die Autoren in globaler Kultur, Handel und globalen Institutionen – gleichwohl machen sie da wenig Hoffnung, zumindest lese ich die spärlichen Sätze so. Das ist sehr deprimierend.
Und nun? Etwas subjektive Hoffnung
Hoffnungsvoll stimmt mich: Wenn man die These des Papers einmal als gegeben annimmt, öffnet das eine neue Perspektive. Vielleicht müssen Lösungen für die globale Krise beim Bewusstsein jedes Einzelnen, bei der Haltung zur Welt und der Wahrnehmung ansetzen. Wir als Menschen haben evolutionsbedingt bislang keine relevante handlungsleitende Wahrnehmung der Mitmenschen am anderen Ende der Welt oder der Menschen, die in 100 Jahren an unserem aktuellen Heimatort leben werden. Unser Handeln beeinflusst aber beide Gruppen ganz gewiss in größerem Ausmaß als unsere Wahrnehmung ihnen gilt.
Wir haben eine Jahrtausende alte Gegenbewegung, die diese Grenzen der Wahrnehmung überwinden kann. Auch wenn sie oft genug für Lagerbildung genutzt wurde. In diesem lesenswerten (leider kostenpflichtigen) Artikel beschreibt Robert Vorholt über die soziale Zusammensetzung der frühchristlichen Gemeinden, über Frauen und Männer aus unterschiedlichen Schichten und mit unterschiedlichsten Migrationsgeschichten, die auf Augenhöhe zusammenwirken in einer Bewegung:
„Eine Notiz, die sich im Galaterbrief des Paulus findet, aber vermutlich noch viel älter ist, bringt die Hausordnung auf den Punkt: „Hier zählt nicht mehr Jude oder Grieche, unfrei oder frei,männlich oder weiblich; alle sind ‚einer' in Christus" (vgl. Gal 3,28). Die Familie Gottes, die im multikulturellen Mehrgenerationenhaus der Kirche versammelt ist, sprengt ethnische, gesellschaftliche und geschlechtliche Unterschiede. Über die soziale Zusammensetzung einer frühchristlichen Gemeinde informiert der Erste Korintherbrief in eindrucksvoller Weise. Der Hinweis, das Evangelium sei nicht von besonders vielen Gebildeten, Mächtigen oder Vornehmen angenommen worden, erlaubt zwei Schlüsse: Zum einen, dass die werdende Kirche deutlich genug auch für einfache Schichten attraktiv war; zum anderen, dass einige der Gebildeten, Mächtigen und Vornehmen eben doch dazugehörten.“
Meta: Wie ChatGPT den Text analysiert
Highlights & Lowlights
- Die Textzusammenfassung in Kernthesen durch ChatGPT 3.5 ist unbrauchbar. Das Tool schwenkt in allgemeines Blabla, einerseits - andererseits und an den Kerngedanken des Textes vorbei. Nämlich, dass die Vorteile der kulturellen Evolution bisher (immer stärkere Umweltkontrolle) in Nachteile umschlagen.
- Die Zusammenfassung in Kernthesen durch ChatGPT 4.0. ist viel besser. Der Kerngedanke ist der nachteiligen Dynamik kultureller Evolution ist enthalten.
- Was mich beeindruckt hat: Ich war mir unsicher, ob die Autoren explizit das Argument bringen, dass stärkere Kontrolle der Umwelt auch zu stärkerer Dominanz über andere Gruppen führt. Ich habe den Text nochmal gelesen und die Aussage nicht gefunden. Und ich habe ChatGPT 4 gefragt. Und dieselbe Antwort erhalten.
ChatGPT Protokoll
Fragen
Frage: Machen die Autoren das Argument, dass stärkere Kontrolle der Umwelt auch zu stärkerer Dominanz über andere Gruppen führt?
ChatGPT 4: Die Autoren argumentieren, dass die Evolution menschlicher Gruppen durch kulturelle Merkmale, welche die Umwelt intensiver nutzen und verändern, geprägt ist. Dies führte zur menschlichen Dominanz über die Umwelt. Sie diskutieren jedoch nicht explizit die Verbindung zwischen stärkerer Umweltkontrolle und der Dominanz über andere Gruppen. Ihr Fokus liegt mehr auf der Evolution der menschlichen Kultur und deren Auswirkungen auf die Umwelt, weniger auf zwischenmenschlichen Gruppendynamiken.
Zusammenfassung ChatGPT 3.5:
Veränderungen im Laufe der Menschheitsgeschichte: Der Artikel hebt hervor, wie sich die menschliche Spezies im Laufe der Geschichte entwickelt hat und wie verschiedene Faktoren, darunter Umweltveränderungen und soziale Strukturen, die evolutionären Prozesse beeinflusst haben.
Kognitive Fähigkeiten und soziale Kooperation: Die Autoren betonen die Rolle von kognitiven Fähigkeiten und sozialer Kooperation in der Evolution des Menschen. Diese Faktoren haben es der Menschheit ermöglicht, komplexe Gesellschaften und Technologien zu entwickeln.
Technologische Fortschritte und ihre Auswirkungen: Der Artikel diskutiert, wie technologische Entwicklungen und die Nutzung von Ressourcen die menschliche Evolution vorantreiben. Gleichzeitig weist er auf die potenziellen negativen Auswirkungen hin, die diese Fortschritte auf die Umwelt und die menschliche Gesellschaft haben können.
Die Herausforderungen der Moderne: Es wird betont, wie die modernen Lebensweisen und die exponentielle Zunahme von Informationen und Technologie neue Herausforderungen schaffen, die die evolutionären Anpassungen des Menschen möglicherweise überfordern.
Die Notwendigkeit der Anpassung: Der Artikel schließt mit der Betonung, dass die Menschheit vor der Herausforderung steht, sich aktiv an die Veränderungen anzupassen und Lösungen für die aktuellen globalen Probleme zu finden, indem sie bewusst ihre kognitiven Fähigkeiten einsetzt.
Bewusstsein für Umweltauswirkungen: Die Autoren unterstreichen die Bedeutung eines gesteigerten Umweltbewusstseins und einer nachhaltigen Lebensweise, um die negativen Folgen der menschlichen Evolution auf die Umwelt zu mildern.
Ausblick auf die Zukunft: Der Artikel fordert dazu auf, die Entwicklung der menschlichen Spezies aktiv zu gestalten, indem man die Lehren aus der Evolution nutzt und gemeinsam daran arbeitet, eine nachhaltige Zukunft zu schaffen, die den evolutionären Fortschritt des Menschen berücksichtigt
Zusammenfassung ChatGPT 4:
Menschliche Evolution, gekennzeichnet durch wachsende Gruppengrößen und zunehmende Umweltausbeutung, trieb die globalen Umweltkrisen des Anthropozäns voran.
Kulturelle Gruppenmerkmale haben die menschliche Dominanz über die Umwelt erleichtert.
Die Entwicklung globaler kultureller Merkmale, wie rechtliche und technische Systeme, wird als notwendig für die Erhaltung der Biosphäre angesehen.
Die Autoren argumentieren, dass die menschliche Populationsstruktur nicht förderlich für die Entwicklung solcher globaler kultureller Merkmale ist.
Dies schafft eine Herausforderung: Muster der menschlichen Kulturevolution, die zum Anthropozän führten, könnten kollektive Lösungen für Umweltprobleme behindern.
Der Artikel schlägt vor, dass eine Änderung der Muster kultureller Evolution wesentlich ist, um Umweltkatastrophen zu vermeiden.
Ein angewandtes Forschungs- und Politikprogramm wird vorgeschlagen, um diesen Herausforderungen zu begegnen und negative Ergebnisse zu verhindern