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Leistungsschutzrecht: Die wahren Probleme der Verlage

Konrad Lischka
Konrad Lischka
6 minuten gelesen

Leistungsschutzrecht

Die wahren Probleme der Verlage

Die Verlegerverbände wollen ein Gesetz, um ihr Online-Geschäft aufzubessern: eine Google-Steuer, das Leistungsschutzrecht. In Frankreich hat Google sich mit den Verlagen auf einen Deal geeinigt – beides aber löst nicht die grundlegenden Probleme der Medienhäuser im Netz.

Spiegel Online, 22.2.2013 (mit Ole Reißmann)

Die deutschen Verlegerverbände VDZ und BDZV haben ein Problem ausgemacht: Google bedroht online ihr Geschäftsmodell. Verleger-Lobbyist Christoph Keese stellt es so dar: Suchmaschinen treten in direkte Konkurrenz zu den Nachrichtenseiten der Verleger. Dazu nutzen sie Auszüge von diesen Angeboten kostenlos. Das wollen die Verlage ändern, deshalb lobbyieren sie für ein sogenanntes Leistungsschutzrecht. Mit diesem neuen Recht wollen Verlage beispielsweise von Google dafür Geld verlangen, dass in Suchergebnissen und bei anderen Google-Diensten mehr als nur Überschrift und Link eines Artikels stehen.

Die Debatte wird heftig geführt, inzwischen gehen Politiker der Regierungsfraktion auf Distanz zu dem Gesetzesvorhaben. Vizekanzler Philipp Rösler (FDP) sagte, viele Abgeordnete hätten ihm mitgeteilt, “dass sie das Gesetz im Moment nicht passieren lassen wollen”. Der CDU-Rechtspolitiker Siegfried Kauder sagte an diesem Freitag, er habe verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Gesetz, das er schon einmal einen “Taschenspielertrick” nannte. Die Verlegerverbände stellen es so dar, als sei ohne Leistungschutzrecht Online-Journalismus nicht finanzierbar.

Tatsächlich wird auch in Deutschland ein Leistungsschutzrecht, sollte es denn in Kraft treten, an den wirtschaftlichen Problemen der Verleger im Netz nichts ändern. Es eignet sich vielleicht, um Google unter Druck zu setzen, wie das Beispiel Frankreich zeigt. Doch die eigentlichen Probleme sind andere: Verlagen fehlen gute mobile Werbeformate, Online-Riesen haben enorme Reichweiten, und Aggregatoren wie Flipboard konkurrieren als Themenlotsen mit den Startseiten der Online-Medien um das Publikum.

Werbeformen, Zielgruppen, Reichweiten – die Probleme im Überblick, an denen das Leistungsschutzrecht nichts ändert.

Adblocker – Immer mehr Online-Nutzer blenden Werbung aus

Das Problem: Eine Online-Redaktion kostet Geld, das meist über Werbung verdient werden muss. Aber nicht alle Nutzer akzeptieren das: Etliche Leser von SPIEGEL ONLINE haben die Werbung ausgeschaltet. Vor allem Firefox-Nutzer schalten ab. Die Nutzer haben dazu eine spezielle Software installiert, die Banner werden gar nicht erst geladen – das lässt sich messen. SPIEGEL ONLINE kann also weniger Werbung verkaufen, die Finanzierung der redaktionellen Arbeit wird schwieriger, wenn sie weiterhin kostenlos abrufbar sein soll.

Den Verlagen bleibt dann nur der Appell an die Nutzer, im Adblocker eine Ausnahme für ihre Website einzurichten. Technisch ist den Adblockern nur schwer beizukommen: Verlage haben nur eine begrenzte Kontrolle darüber, wie ihre Websites bei den Nutzern zu sehen sind. Sie liefern HTML-Dateien aus, die von unterschiedlichen Browsern unterschiedlich dargestellt werden. Einen Anspruch auf eine bestimmte Darstellung von Websites gibt es nicht. So hat zum Beispiel Apple bei seinem mobilen Safari-Browser auf das Flash-Plug-in verzichtet, ein Zusatzprogramm für Multimedia. In diesem Format werden viele Anzeigenbanner ausgeliefert. Auf dem iPhone werden sie schlicht nicht angezeigt.

Der Zwiespalt: Eine App würde den Verlagen Kontrolle bieten – müsste aber vom Nutzer installiert werden, wenn es denn eine passende Version für sein Gerät gibt. HTML-Dateien kann praktisch jedes Internetgerät anzeigen, das verspricht maximale Reichweite.

Man kann versuchen, Werbung technisch nicht vom eigentlichen Inhalt unterscheidbar zu machen. Für Videos existieren zum Beispiel solche Lösungen. Verbieten kann man Adblocker kaum: Adblock-Firmen könnte man noch mit neuen rechtlichen Regelungen drohen, doch zum Teil steht solche Software als Open Source frei verfügbar im Netz. Vor allem aber gilt: Wie ein Nutzer seinen Browser erweitert und einrichtet, kann man ihm nicht vorschreiben. Letztlich schaden Adblocker-Nutzer den Websites, die sie aufsuchen – und sorgen auf diesem Umweg mittelfristig womöglich dafür, dass journalistische Angebote online doch kostenpflichtig werden, weil sie sich mit Werbung nicht refinanzieren lassen.

Ideen: Neue Werbeformen. YouTube zum Beispiel lässt seine Besucher viele Werbevideos nach ein paar Sekunden überspringen. Die Werbekunden zahlen nur, wenn die Nutzer weitergucken. In der Theorie sorgt das auch für bessere Werbeclips.

Umstritten ist eine Idee von Werbekunden. Sie drängen auf sogenanntes Content Marketing, Werbung, die informativ und unterhaltend daherkommt – und von redaktionellen Inhalten kaum zu unterscheiden sind. Die US-Seite BuzzFeed zeigt seinen Nutzern beispielsweise zwischen den eigenen Artikeln die von Werbepartnern an. “The Greatest Unexpected Team-Ups Of Our Childhoods“, heißt so ein Beitrag, bezahlt wurde er von einer Autofirma. Viele Verlage – auch der SPIEGEL – lehnen solche Werbung ab, weil sie die Unterscheidbarkeit von redaktionellem Inhalt und Reklame sicherstellen wollen.

Mobile Werbung – neue Werbeformen für neue Geräte

Das Problem: Den größten Publikumszuwachs haben Online-Medien bei Mobilnutzern. Bei SPIEGEL ONLINE haben sich die Visits von Mobilgeräten 2012 von Januar bis Oktober fast verdoppelt, die Mobil-Reichweite von SPIEGEL ONLINE stieg laut Arbeitsgemeinschaft Online Forschung um 67 Prozent von 2011 zum zweiten Halbjahr 2012. Klar, in der U-Bahn lesen viele Pendler auf dem kleinen Bildschirm ihres Smartphones. Für Verlage, die an ihren Digitalmedien allein mit Werbung verdienen, ist das eine Herausforderung.

In der Schweiz und in Dänemark erreichen manche Nachrichtenseiten 50 Prozent ihrer Leser auf Mobilgeräten. Die Werbeerlöse kommen da bislang nicht hinterher. Das beschreibt Frédéric Filloux, Digitalmanager der französischen Wirtschaftszeitung “Les Echos” in einer lesenswerten Analyse. Er kennt die Umsatzzahlen eines europäischen Verlags, der bei einer seiner Nachrichtenseiten inzwischen 50 Prozent des Publikums auf Mobilgeräten erreicht. Die Mobilwerbung macht bei dieser Firma nur 6,25 Prozent des gesamten Digital-Werbeumsatzes aus.

Der Zwiespalt: Die Bildschirme der Smartphones sind wesentlich kleiner als bei Desktop-Rechnern, Flash (das dominierende Werbeformat bei vielen Online-Medien) ist auf Mobilgeräten gescheitert. Die Verlage müssen für Mobilwerbung ganz neue Werbeformate entwickeln, und sie müssen dafür die Mediaagenturen gewinnen. Das dauert lange, während die Mobil-Reichweiten explodieren, sind in vielen Apps und auf vielen Mobilseiten vorgeschaltete, pixelige Banneranzeigen zu sehen.

Für Tablets bräuchte es wiederum andere Formate, die der entspannten Lesesituation entgegenkommen. Google, Facebook oder Twitter haben bessere Mobil-Werbeformate. Verlage und Mediaagenturen müssen Alternativen schaffen. Gesetze helfen da nicht weiter.

Ideen: Facebook hat 2012 vorgemacht, wie man mit mobilen Nutzern Geld verdient. Die Firma führte neue Werbeformate ein, Anfang des Jahres die sogenannten sponsored stories (von Firmen bezahlte Mitteilungen in Facebooks-Benachrichtigungsstrom). Dieses Format ist erfolgreich: Nutzer klicken laut einer Analyse der Beratungsfirma TBG die Anzeigen auf dem Smartphone eher an als am Rechner (1,29 Prozent statt 0,057 Prozent). Der Anteil von Facebooks mobilen Werbeumsätzen an den Gesamteinnahmen wächst schnell: 14 Prozent betrug er im dritten Quartal 2012, 23 Prozent im vierten.

Eine Alternative: Verlage können gute Zusatzdienste auf Mobilgeräten verkaufen. Menschen zahlen zum Beispiel schon jetzt Musikdiensten wie Spotify Geld für die Offline-Funktion in Mobil-Apps. Neue Werbeformate können natürlich nur helfen.

Reichweiten – Alles für alle funktioniert online sehr selten

Das Problem: Alle Online-Medien stehen beim Verkauf von Anzeigen im Wettbewerb mit Riesen wie Google und Facebook. Die haben um ein Vielfaches höhere Reichweiten. Zu den teuersten Werbeplätzen bei Google zählen die neben Suchtreffern zu Versicherungen, Krediten, Anwälten. Damit verdient Google seine Milliarden, daran ändert das Leistungsschutzrecht nichts.

Google dominiert den Internet-Werbemarkt, mehr als die Hälfte des Online-Umsatzes fließt steueroptimiert an den US-Konzern. Bei allen großen Online-Konzernen können Anzeigenkunden inzwischen lokale Zielgruppen erreichen – das ist vor allem für Regionalverlage ein Problem. Der Bäcker vor Ort macht keine Online-Werbung, die großen, auch lokal vertretenen Konzerne suchen sich online (Suchmaschinen) wie offline (Discounter-Prospekte in Direktverteilung) günstigere Vertriebswege. Viel mehr bleibt nicht an potentiellen Online-Werbekunden.

Der Zwiespalt: Alle möglichen Inhalte für alle möglichen Nutzer in einer bestimmten Region anzubieten, genügt nicht mehr als Distinktionsmerkmal. Überregionale Online-Medien haben ein anderes Problem: Der Online-Werbemarkt wächst, aber die Umsätze landen bei Google und wenigen, reichweitenstarken Online-Medien. Von dem Rest kann man große Redaktionen kaum finanzieren.

Dazu kommt, dass das Internet auch den Wettbewerb zwischen den Verlagsangeboten verschärft: Nur wenige Print-Leser hatten mehr als eine überregionale Zeitung abonniert, online sind die Angebote der Konkurrenten jedoch stets nur ein Lesezeichen weit entfernt.

Ideen: Medien müssen sich gezielt einen Platz im Netz-Werbemarkt schaffen, den die Online-Konzerne so nicht besetzten. Einige Anbieter wie SPIEGEL ONLINE oder die “New York Times” erreichen etwa eine hohe Reichweite, bei der eine für Werbekunden besonders interessante Zielgruppe überrepräsentiert ist (überdurchschnittliches hohes Einkommen, hohe Bildungsabschlüsse).

Die meisten Online-Medien können sich in zwei Richtungen entwickeln, um einen Platz im Online-Werbemarkt zu finden. Sie können eine spezielle, für bestimmte Werbekunden attraktive Zielgruppe binden und so höhere Anzeigenpreise verlangen, wie zum Beispiel die “Financial Times”. Sie können aber auch möglichst günstig mit attraktiven Inhalten von allgemeinem Interesse enorme Reichweite aufbauen, wie zum Beispiel “Huffington Post” und Bild.de.

Aggregatoren – Flipboard, Pulse und Co. ersetzen die Homepage

Das Problem: Apps wie Flipboard verschmelzen Leseempfehlungen von Facebook- und Twitter-Freunden, Artikel aus Blogs und von Online-Medien zu schicken Tablet-Magazinen. Die Darstellung dieser Aggregatoren erfüllt dieselbe Funktion wie die Startseiten großer Web-Medien: Sie geben einen Überblick über die derzeit wichtigsten, interessantesten aktuellen Geschichten. Viele Themen, die wichtigsten stehen oben – eine bunte Mischung aus allen Ressorts mit großen Fotos und Anreißertexten. Diese Sprungbrett-Funktion wollen auch andere Anbieter erfüllen: Twitter baut seine Plattform zu einem Geschichtenstrom um, Facebook hat das längst getan. Wenn immer mehr Nutzer diese Angebote als Sprungbrett zu den Geschichten in Online-Medien nutzen, verlieren die Angebote womöglich Publikum für ihre wertvollsten Werbeflächen.

Der Zwiespalt: Einerseits bescheren die Aggregatoren Online-Medien neue Leser, die zuvor das Angebot vielleicht gar nicht genutzt haben. Allerdings landen diese Neukunden direkt auf Artikelseiten. Diese Entwicklung könnte auf Dauer die Startseiten von Online-Medien entwerten, auf denen bislang die Werbeplätze sehr attraktiv sind, weil enorm viele unterschiedliche Nutzer die Anzeigen sehen. Einerseit bringen Aggregatoren also neue Leser, andererseit ersetzen und entwerten sie womöglich die wertvolle Homepage der Online-Medien.

Ideen: Medien können mit Personalisierung experimentieren, ihren Nutzern soziale Funktionen anbieten und Empfehlungen geben lassen – die “New York Times” experimentiert zum Beispiel damit. Vielleicht hilft es auch, das eigene Angebot in einer eigenen App auf Tablets so schön zu präsentieren wie Flipboard das tut. Die App sieht weniger aus wie eine Nachrichtenseite und gleicht eher einem eleganten Magazin. In den USA arbeiten Verlage zudem bereits mit den Entwicklern von Aggregatoren-Apps zusammen, Artikel des “Wall Street Journal” gibt es in Pulse, der “New York Times” in Flipboard zu lesen. Die “New York Times” blendet nun innerhalb von Flipboard beispielsweise beim Blättern ganzseitige Anzeigen ein. Abonnenten der Zeitung können das vollständige Digitalangebot innerhalb von Flipboard lesen, Nicht-Abonnenten bekommen nur Auszüge zu sehen. In eine ähnliche Richtung stößt Summly, eine App, die Nachrichten automatisch kürzt und schön aufbereitet.

Solche Präsentationsformen sind attraktiv für Sofaleser – und auch attraktiv für Werbekunden.

Mitarbeit: Christian Stöcker

 

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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