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"Downloads sind die Peitsche für den Künstler"

Konrad Lischka
Konrad Lischka
26 minuten gelesen
"Downloads sind die Peitsche für den Künstler"

Inhaltsverzeichnis

Der Musikmarkt schrumpft, die Branchenriesen jammern – Schuld hat angeblich das Internet. Das aber soll gerade Kleinen auch Chancen bieten: SPIEGEL ONLINE fragt unabhängige Musiker, Booker und Labelgründer, was sie aus der Krise machen und wie man heute von Musik lebt.

Spiegel Online, 17.8.2010

Zum Special auf Spiegel Online (Interaktive Grafik, Statistiken, Hörproben, O-Ton-Protokolle):

Musik ist viel mehr als ein Geschäft, aber sie ist eben auch eines. Darüber, wie sich dieses Geschäft entwickelt, gibt es viele Meinungen. Besonders laut und oft wird dieser “common senf” vorgetragen: Das Internet macht die Musikindustrie kaputt! Oder das Gegenstück: Die Musikindustrie hat das Internet nicht verstanden!

Stimmt das? Im Vergleich zur Verlags- und Filmindustrie versorgt die Musikbranche die Kunden inzwischen mit sehr vielen Digitalangeboten. Aus Konsumentensicht gibt es eine wirklich neue und fundamentale Entwicklung: Wer Musik liebt, wollte sie früher nicht nur hören, sondern horten.

Inzwischen verliert bei jungen Vielhörern der Musikbesitz an Bedeutung. Ein bestimmtes Album mit Booklet oder eine besondere Single sind längst nicht mehr für alle Musikfans das Objekt der Begierde.

Deshalb stehen bei Streaming-Plattformen nicht mehr einzelne Titel im Mittelpunkt, die man für immer besitzen kann. Stattdessen erhält man gegen einen Pauschalbetrag Zugriff auf den gesamten Musikbestand.

Was diese Entwicklung für den Musikmarkt bedeutet, ist noch unklar. Die Umsatzzahlen zeigen erst einmal in eine Richtung – nach unten. Allerdings gibt es große regionale Unterschiede. Die wichtigsten Erkenntnisse aus den Zahlen (detaillierte Verlaufsdiagramme in der Fotostrecke unten):

Im Klartext heißt das: Kunden glauben, monatlich für ein fixes Datenvolumen zu bezahlen, über dessen Nutzung sie bestimmen dürfen. Tatsächlich sehen die Verträge des Providers aber so aus, dass bestimmte Datenpakete dann doch nicht eingeschlossen sind.

  • Seit 2004 schrumpft der Musikkaufmarkt in Deutschland, allerdings erheblich langsamer als in den USA, Frankreich und Großbritannien.
  • Die Umsätze mit digitaler Kaufmusik wachsen, fangen aber den Verlust bei den Tonträgern nicht auf.
  • Während die Kaufmusik-Einnahmen sanken, stiegen die Umsätze mit Livemusik-Veranstaltungen in Deutschland jedes Jahr, allerdings brachen 2008 die Liveumsätze erstmals ein.
  • Den stärksten Umsatzeinbruch musste der deutsche Musikkaufmarkt 2003 hinnehmen – da schrumpfte der Markt um 17 Prozent. Von 1999 bis 2009 gab es 42 Prozent Verlust.

Die Statistik zeigt: Der Markt schrumpft, die deutsche Musikindustrie kommt aber vergleichsweise gut davon. Wie sehr die großen Musiklabels über die Krise und Raubkopien klagen, liest man überall. Wie sich der Musikkonsum geändert hat, weiß jeder Nutzer aus eigener Erfahrung. Aber wie erleben Musiker, Labelgründer und Booker den Wandel? Jene Mehrheit im Musikgeschäft, die keine Millionen verdient und unabhängig von Casting-Shows, Marketing-Budgets und Fernseh-Kooperationen Musik macht?

SPIEGEL ONLINE hat die Kleinen und Mittelgroßen der Branche gefragt, was sie aus der Krise machen und protokolliert, wie man heute von Musik lebt.

Musiker Olli Schulz: “Ich will nicht hauptberuflich Geschäftsmann sein”

60 Live-Auftritte im Jahr, Nebenjobs als Moderator, Gema-Einnahmen: Olli Schulz, 36, erzählt, wovon ein Independent-Musiker lebt, warum er auch mal auf Silvester-Partys auftritt und sein nächstes Album erstmal auf eigene Rechnung produziert.

Ich habe zu spät angefangen, meine erste Platte kam mit 28. Da gehst du nicht mehr rein mit der Haltung, wir werden die neuen Superstars. Sondern du sagst, ja mal gucken, wie das läuft. Du freust dich, dass du Musik machen kannst. Das war 2003. Ich hab das Glück, dass ich mir über die Jahre ein paar Fans angesammelt habe, die zu den Konzerten kommen, die sich die CD kaufen. Das sind in Deutschland vielleicht 10.000 Leute, die sich heute sicher die neue Olli-Schulz-CD kaufen. Das wären in den Neunzigern vielleicht 50.000 gewesen, aber man kann ja nicht nostalgisch werden und den alten Zeiten nachtrauern.

Meine ersten beiden Platten habe ich beim kleinen Independent-Label Hotel van Cleef gemacht. Dann wollte ich meine Studiomusiker bei der dritten Platte auch mal richtig bezahlen, das Album richtig mischen. Die ersten beiden wurden am Heim-Rechner für ungefähr 3500 Euro gemacht. Und dann haben wir die dritte bei der EMI mit vielen Gastmusikern wie zum Beispiel einem 16-köpfigen Streicherensemble für eine fünfstellige Summe produziert. Das ging von meinem Vorschuss ab. Ich fand den Vorschuss ansehnlich, Bands aus den Neunzigern lachen darüber, aber das war eine andere Zeit. Von dem Betrag habe ich meine Musiker bezahlt, den Produzenten und natürlich versuchst du, so viel wie möglich privat zu behalten. Da ist eine kleine Summe übrig geblieben.

Die genauen Verkaufszahlen kenne ich nicht. Die erste Platte wird sich so 18.000 Mal verkauft haben, die zweite und die dritte bei der EMI-Tochter Labels weniger und die vierte bei der Sony Columbia Berlin bis jetzt 10.000 Mal. Und das, obwohl von Jahr zu Jahr mehr Leute zu meinen Konzerten kommen. Es ist halt immer einfacher, eine Tauschbörse anzuwerfen, das ist eine absolute Selbstverständlichkeit.

Live-Auftritte finanzieren den Unterhalt

Gagen für Live-Auftritte sind die wichtigste Einnahmequelle, davon bestreite ich im Moment meinen täglichen Unterhalt. Ich spiele so 50, 60 Konzerte jedes Jahr. Dann gibt es alle drei Monate eine Gema-Abrechnung. Wenn ich Glück habe, sind meine Songs im Radio gespielt worden, dann gibt es dafür Geld.

Wenn du deine Gema-Live-Bögen fleißig ausfüllst, gibt es für Auftritte auch Gema-Geld, und einmal im Jahr kommt noch die GVL-Abrechnung (siehe Glossar links) für die Zweitverwertungen der Aufnahmen, die ich als Musiker im Studio eingespielt habe und für Live-Auftritte, bei denen fürs Fernsehen gefilmt wurde. Das ist vergleichweise wenig. Ich mache auch noch viel kleines Zeug, Radio, Moderationen bei Veranstaltungen, Texte. Du nimmst auch Aufträge für Veranstaltungen an, wo du nicht unbedingt spielen möchtest. Ich habe auch Sachen wie die HR3-Silvesterparty 2008 in Kassel gemacht. Da gab’s eine tolle Gage. Aber du spielst da vor Leuten, die kein Interesse an dir haben.

2008 war extrem, da bin ich sechs Wochen am Stück getourt, weil ich mal in den Urlaub fliegen wollte. Ich hatte diesen Traum, durch die USA zu fahren mit einem Mietwagen für zwei Monate. Das habe ich damit finanziert, Urlaub brauchte ich dann aber auch. Trotzdem immer noch geil, wenn man überlegt: Du geht abends auf die Bühne und hast, wenn es gut läuft 1000 Euro. Okay, 15 Prozent kriegt dein Booker. Wenn du mit Band und viel Zeug unterwegs bist, gehen dann noch vielleicht 200 für den Wagen und so weg, du hast einen Schlagzeuger und einen Keyboarder zu bezahlen und vom Rest die Steuern. Aber was dann übrig bleibt, dafür gehen viele Leute eine Woche lang arbeiten. Deswegen bin ich niemand, der sich darüber beschweren würde. Das ist ein Leben, das man leben kann.

15 Prozent Anteil für die Booking-Agentur, 40 für den Musikverlag

Man darf sich heute nicht zu lange ausruhen auf einer erfolgreichen Tour. Du musst rechnen, was du machen willst, wie viel du investieren musst für Projekte, wie viel du zum Leben brauchst und woher du das Geld bekommst. Dieses Jahr wollte ich eigentlich komplett aussetzen. Man braucht mal eine Pause, das geht den Leuten ja auch irgendwann auf die Nerven, wenn man immer und überall ist. Aber ich mache doch ein paar Konzerte.

Ich bin Vater, ich hab eine kleine Tochter, ich muss mit den Einnahmen zurecht kommen wie jeder Freiberufler. In Berlin, wo ich wohne, geht das noch alles. Ich habe eine günstige Miete, ein günstiges Auto, für meine Krankenversicherung zahle ich bei der Künstlersozialkasse. Ich habe Sehnsucht nach Hamburg, ich bin hier in Eimsbüttel groß geworden, voriges Jahr habe ich eine Wohnung gesucht, aber nichts Bezahlbares gefunden.

Ich habe ein professionelles Booking, die kriegen 15 Prozent meiner Gagen. Und einen Verlag, der verwaltet meine Urheberrechte an den Songs und Texten, macht meine Gema-Abrechnung und kriegt dafür 40 Prozent der Einnahmen. Das ist eine leichte bürokratische Sache für die, aber du selbst würdest das nicht hinkriegen, so genau deine Gema-Bögen für jeden Auftritt auszufüllen. Die machen auch noch Radio-Promo, die kümmern sich darum, dass die Sachen gespielt werden, damit Gema-Geld rumkommt. Bei meinem Verlag ist das sehr individuell: Neulich brauchte ich schnell Geld, weil mein Wagen total kaputt war. Der Verlag hat mir binnen einer Woche genug für einen Gebrauchten überwiesen und das mit der nächsten Gema-Abrechnung verrechnet.

Produktionskosten: acht Songs auf eigene Rechnung

Die neue Platte habe ich erstmal auf eigene Rechnung angefangen. Ich weiß nicht, ob das auf dem Label etwas wird damit. Ist eine schwierige Situation gerade für so ein Album. Ich mache Gitarrenmusik. Keine Ahnung, wohin der Zeitgeist geht, aber viele fahren jetzt mehr auf Elektro ab als auf Gitarrenmusik, da musst du auch immer gucken, ob du im Zeitgeist deine Nische findest bei einem Label.

Wir machen eine Low-Budget-Platte. Akustikgitarre, Schlagzeug, wir spielen noch einen Bass ein. Da wirst du durch die wirtschaftlichen Zwänge und die technischen Möglichkeiten auch erfinderischer. Ich habe mir überlegt, ob ich die Platte komplett allein rausbringe. Da musst du Promo machen, da musst du dir ein Presswerk suchen, da musst du die Finanzierung machen. Du grübelst und denkst irgendwann: Ich will Musiker sein, nicht so sehr Geschäftsmann. Ich versuche das so weit wie möglich abzustoßen und mich auf die Musik zu konzentrieren. Wenn ich als Künstler jetzt ständig überlege: Wo bringe ich denn meine Platte raus? Was könnte jetzt ein massentauglicher Song sein? Das führt nirgends hin.

Beim Musikmachen versuche ich mir etwas zu bewahren, was mich als Kind und Jugendlicher glücklich gemacht hat. Auf Tour hast du die Gelegenheit: Da machst du eine Mix-CD für den Bus, dann hängst du ab, hörst Musik, quatschst darüber. Das kann dir schnell kaputt gemacht werden, wenn du ständig daran denkst, wie du damit Geld verdienen kannst.

Du musst pragmatisch sein, Sachen angehen, die dir vielleicht nicht so viel Spaß machen. Man kann ja nicht erwarten, dass der Traum wahr wird, einfach nur Musik zu machen. Man muss die Zeichen der Zeit erkennen. Ich liebe Musik, das ist meine Berufung, aber ich habe da auch keine Skrupel, einen anderen Job zu machen, wenn ich einmal merke, jetzt wird es wirklich gefährlich, jetzt kann meine Familie nicht mehr davon leben.

Ein alter Freund von mir, mit dem ich gestern was trinken war, ist Hörgeräte-Akustiker. Der ist glücklich, verdient gutes Geld. Wenn mir jetzt einer einen Job als Hörgeräte-Akustiker anbietet – ich weiß nicht. Würde ich vielleicht machen.

Einmann-Label Audiolith: “T-Shirts kannst du nicht einfach runterladen”

Sieben Jahre Arbeit, 1200 Euro im Monat: Lars Lewerenz, 33, erzählt, wie er das Elektropunk-Label Audiolith aufgebaut hat. Ohne den Kontakt zu Fans übers Netz hätte das nie geklappt. Audioliths sicherste Einnahmequelle ist der Verkauf von T-Shirts – denn die kann man nicht runterladen.

Das Label hat nebenbei angefangen: Ich veröffentlichte 2003 eine Single von Freunden. Ich hatte damals einen festen Job als Betreuer, gelernt habe ich Anlagenmechatroniker und Erzieher. Ich betreute damals einen Schwerbehinderten und verdiente 960 Euro im Monat, machte Musik und dann immer mehr Produktionen nebenbei und steckte da mein Geld rein.

Ich hatte nie einen Haufen Geld als Startkapital. Ich hab etwas von meinem Geld genommen, Platten gepresst, CDs gepresst, rumgeschickt, und dann wurde das immer größer. Klar, meine Freundin hat mir auch mal ein paar tausend Euro geliehen, die sie zurückgekriegt hat. Ich habe nie Schulden gemacht. Über die Jahre sind die Stückzahlen gewachsen: Wir legen zwischen 500 und 1000 LPs von jeder Veröffentlichung auf und zwischen 1000 und 6000 CDs. Plus MP3-Verkäufe.

Vor zweieinhalb Jahren habe ich gemerkt, dass ich nicht mehr vor allem Musik mache, sondern Musik verkaufe. Ich habe da eine Existenzgründung gemacht, mir war da klar, dass das ein Job ist, dass ich mehrere Positionen gleichzeitig habe – A&R, Promoter, Produktmanager, all das, was bei großen Labels aufgeteilt ist. Seit zwei Jahren gehe ich von montags bis freitags fürs Label arbeiten, ich mache keinen zweiten Job mehr. Am Wochenende betreue ich Bands oder lege als DJ auf, die Gagen dafür fließen dann auch ins Label.

Fixkosten: Jeden Monat 2500 Euro reinbekommen

Mein Arbeitstag, das sind Sachen wie Buchhaltung, Steuer, Krankenversicherung, Lizenzabrechnung, Jahresplanung, wann kommt was wie raus, welche Singleauskopplung wird es geben, welches T-Shirt-Design machen wir mit welchem Gestalter, plus den ganzen Wahnsinn, den man sich nebenher ausdenkt, um im Gespräch zu bleiben. Ich zahle mir 1200 Euro im Monat aus. Ich habe einen freien Mitarbeiter, der kriegt 800, der Praktikant kriegt 100, das Büro kostet 300. Internet, Telefon und so was kommt noch dazu. Damit sich das trägt, muss man jeden Monat zwischen 2500 und 3000 Euro einnehmen.

Ich hab Kalkulationen immer Pi mal Daumen gemacht und auch viel Geld in den Sand gesetzt. Bei meinem Vertrieb stehen immer noch 5000 Tonträger von Veröffentlichungen rum. Ich habe 85 Veröffentlichungen gemacht, da bleibt schon was liegen. Das ist das Risiko: Man produziert vorab und hat dann schlimmstenfalls totes Kapital. Wir haben letztens Inventur gemacht, LPs, CDs und T-Shirts. Da hatten wir einen Warenwert von 30.000 Euro, der einfach rumliegt.

Aber CDs und Vinyl muss man machen. Es gibt noch genug Leute, die das gerne kaufen. Bei Vinyl hast du die kleinste Marge, bei CDs ist die besser, bei MP3 sehr gut. Wenn ein Song bei iTunes 99 Cents kostet, schicken die 71 an den Vertrieb raus, und ich krieg dann 50. Das ist bei den Portalen natürlich unterschiedlich, wenn das Flatrate-Dinger sind wie Napster, da kriegst du nur ein paar Cents. Aber das ist ja besser als gar nichts.

Einnahmen: 1700 Euro Gewinn mit T-Shirts

Das Label finanziert sich über die Mischung aus Musikverkauf, Urheberrechtsverwaltung über den Verlag, da versuchen wir das Repertoire der Künstler unterzubringen in Film, Fernsehen, in Werbung als Hintergrundmusik und so etwas. Und das Merchandise-Geschäft, das ist sehr groß. Die Leute kaufen wie wild T-Shirts. Die kannst du auch nicht runterladen, das ist unersetzbar. Da bedrucken wir jetzt so 100 Prozent ökologische Earth-Positive-Dinger, die kosten 5 bis 6 Euro im Einkauf, die verkaufen wir für 15. Nettogewinn von sieben Euro bei den Label-T-Shirts. Von den neuen Audiolith-T-Shirts haben wir in zwei Wochen 250 Stück verkauft. Das funktioniert, weil die Leute sich mit dem Label identifizieren.

Wir machen für Bands auch ungewöhnliche Sachen – Jutebeutel, Aufnäher, Schlüsselbänder, sogar Spiegel. Bei Merchandise wie den Bandshirts und Tonträgern haben wir mit den Bands einen 60/40-Deal nach Break-Even. Wenn alle Ausgaben drin sind, bekommt das Label 60 Prozent, aber nur bei Sachen, die wir über unseren Shop direkt verkaufen. Merchandise für Konzerte kriegt die Band zum Einkaufspreis von uns, und sie behalten den Gewinn komplett.

Live-Auftritte sind heute sehr, sehr wichtig für den Namen, die Verkäufe, Einnahmen. Jeder kann heute ein Album pressen. Es geht nicht nur um die Musik, live ist ein Teil von dem Ding. Die Bands müssen das Commitment geben, dass sie sich den Arsch abspielen. Man muss jedes Jugendzentrum und jede verpisste Matratze gesehen haben. Das muss man stetig aufbauen, das dauert Jahre. Das ist wichtig, auch damit eine Band weiß, woher sie kommt. So war das bei der Band Frittenbude am Anfang, die sind mit der Regionalbahn zu Konzerten gefahren, habe ihre Verstärker in die Bahn mitgeschleppt. Das nimmt denen keiner mehr.

Der Job des Labels ist: gute Leute an den Start bringen und denen den Rücken freihalten. Wenn es heute heißt, jetzt braucht keiner mehr Labels, weil man es ja selbst direkt bei iTunes einstellen kann – ja, dann macht das doch! Mach deinen eigenen Webshop, mach deine eigene Promo, bemustere die ganzen Blogs und Magazine doch, aber schimpf nicht auf die Labels. Und Alter, wenn deinen Scheiß keiner hören will, dann will den auch keiner hören.

Das Netz: “Wir müssen Geld verdienen, um ein gutes Produkt zu liefern”

Das Netz hat uns sehr geholfen, das Label aufzubauen. Die Leute auf dem Land kennen uns aus dem Netz. Ein Album rausbringen, das reicht nicht. Man muss neue, ungewöhnliche Sachen machen, auf die die Leute abfahren, da läuft viel über Mundpropaganda. Wichtig ist das Audiolith-Street-Team-Blog. Das macht eine Kollegin von mir ehrenamtlich, weil sie Bock hat, uns zu unterstützen. Da bieten wir Leuten an: Wollt ihr über ein Konzert schreiben, Fotos machen? Wir setzen euch auf die Gästeliste. Wollt ihr Sticker? Schicken wir. Da gibt’s viel Angriffsfläche zum Mitmachen. Mach ein T-Shirt-Design für uns, komm im Büro vorbei, trink ein Bier mit uns.

Ich kann dieses ganze Krisengerede nicht hören. Jetzt mal ehrlich, die großen Labels haben durch den Formatwechsel von Vinyl auf CD so viel Asche gemacht… Klar, jetzt bricht das alles weg. Aber wenn es einfacher ist, einen Rapidshare-Link anzuklicken, als einen Song zu kaufen, dann ist das so. Da mache ich den Leuten keinen Vorwurf. Andererseits, wenn mir einer erzählt, dass er unser Zeug gut findet und alles gesaugt hat, dann muss man das den Leuten sagen: Wenn ihr denkt, alles ist für alle da und zwar umsonst, dann habt ihr euch geschnitten. Das ist ein Unternehmen, wir müssen Geld verdienen, um euch ein gutes Produkt zu liefern.

“Du musst weniger Geld raushauen als früher”

Aber das geht. Du kann mit No-Budget oder Low-Budget Sachen nach vorne bringen, die die Leute berühren. Man braucht nicht die Plakatkampagne für 20.000 oder so viel Euro. Du musst weniger Geld raushauen als früher und mehr verdienen als du ausgibst.

Klar macht das Netz auch Sachen kaputt. Der stationäre Handel bricht weg. Ich glaube, ein paar kleine gute Plattenläden werden vielleicht überleben, wenn sie Online-Mailorder machen. Das ist schade, aber hey – wenn du 24 Stunden sieben Tage die Woche online Musik hören kannst oder bei Amazon etwas bestellst und das wird dir ab 20 Euro portofrei geschickt – ist doch klar. Das ist halt so.

Den Unterschied zwischen einer MP3 mit 320 Kilobit und einer CD, den hört doch eh niemand. Es gibt natürlich Freaks, die haben den dicken Plattenspieler mit der goldenen Nadel, aber das sind die wenigsten. Die Leute wollen es auf ihrem iPod beim Joggen hören oder mit dem Laptop an der Anlage. Und warum sollte sich jemand ein Album kaufen, der nur ein, zwei Songs gut findet? Das ist natürlich eine Peitsche für den Künstler, der vielleicht ein Konzeptalbum geschrieben hat. Aber das ist Revolution, ne?

Special digitale Musik

Wie sich der Musikkonsum geändert hat, weiß jeder Nutzer aus eigener Erfahrung. Wie sehr die großen Musiklabels über die Krise und Raubkopien klagen, liest man überall. Aber wie erleben Musiker, Labelgründer und Booker den Wandel? Jene Mehrheit im Musikgeschäft, die keine Millionen verdient und unabhängig von Casting-Shows, Marketing-Budgets und Fernseh-Kooperationen Musik macht?

Indie-Label Tapete: “Tausend verkaufte Newcomer-Alben – das ist ein Erfolg”

Tapete Records ist eines der größten Independent-Label Deutschland, hat auch US-Künstler unter Vertrag. Mitgründer Gunther Buskies, 35, erklärt, warum er sich trotzdem jeden Monat nur 500 Euro auszahlen kann und warum die Download-Einnahmen klein, aber wichtig sind.

Der Unterschied zwischen Independent und Major-Label? Ich kenne ja beides, ich war früher bei Universal und habe da bei einem Projekt Dirk Darmstaedter kennen gelernt. Wir beide kannten Künstler, die wir klasse finden, aber die kein Label hatten. Für die haben wir Tapete Records gegründet. Wir versuchen bei Tapete, nicht einfach so Sachen hochzuwerfen, um zu gucken, ob sie von alleine fliegen. Wir arbeiten langfristig. Wir richten die Sache so aus, dass man, wenn die erste Platte floppt, eine zweite und eine dritte machen kann.

Wir wollten den ökonomischen Druck und die damit verbundene heiße Luft rausnehmen. Wir kalkulieren realistisch: So und so viel darf eine Platte kosten, damit man ohne Bauchschmerzen sagen kann, wir haben jetzt vielleicht Geld verloren, aber wir können weitermachen. Wenn du sagst: Prima yippie yeah, ich investiere so viel, dass ich 20.000 Stück verkaufen muss, damit das ein Erfolg wird, dann ist das ein immenser Druck, und man manövriert eine Künstlerkarriere mit so etwas in eine Gefahr. Denn leider ist Erfolg in unserem Geschäft nicht immer planbar. Playlists und Plakatwände garantieren nichts.

Wir führen unsere Firma so, dass wir realistische Ziele mit den Künstlern vereinbaren. Wenn ein Newcomer meint: Joah, 5000 CDs ist ein Erfolg, dann muss man da gleich mal sagen: Die Realität sieht anders aus. Wenn wir es schaffen, von einem Newcomer 1000 CDs zu verkaufen, dann ist das super. Das muss man als Erfolg betrachten. Und wenn man dann leider nur 500 verkauft, ist es natürlich traurig, aber man kann die Zusammenarbeit fortsetzen.

15 Prozent der Verkaufsumsätze online

Natürlich finden wir als Menschen, die in den Achtzigern groß geworden sind geiler, wenn da 140 Platten im Regal stehen und du sagen kannst, die gäbe es ohne unser Dazutun wahrscheinlich nicht.

Der Online-Vertrieb ist für kleine Label sehr attraktiv, weil wir da kein Warenrisiko haben. Deshalb lassen sich Online- und Tonträger-Umsätze auch nicht so leicht vergleichen. Bei Tonträgern fallen ganz andere Stückkosten an, zum Beispiel für die Herstellung und die Gema, die fällig ist, egal ob du die CD verkaufst oder nicht. Das Risiko, auf diesen Fixkosten sitzen zu bleiben, ist also immer gegeben. In unserem Büro stehen 3000 CDs eines Albums mit Bonus-DVD rum, die in der Herstellung mit Gema schätzungsweise je vier Euro gekostet haben. Diese 12.000 Euro sind erstmal futsch.

Deshalb sind Downloadverkäufe großartig, und wir geben unseren Künstlern von diesen Einnahmen auch einen höheren Anteil ab als bei physischen Tonträgern. Da fließen 35 Prozent an die Künstler, was ich für einen fairen Deal halte. Anders als bei vielen anderen Firmen gibt es bei uns auch keine versteckten Kosten oder Abzüge in unseren Verträgen, womit scheinbar hohe Künstleranteile klein gerechnet werden. Da werden zum Teil für digitale Verkäufe Verpackungs- und Technikkosten abgezogen. Leute, welche Verpackung?

Jahresbilanz: 600.000 Euro Umsatz, 8.000 Euro Verlust

2009 haben sich bei Tapete die beiden großen Bereiche Label und Booking finanziell getragen. Wir hatten einen Umsatz von knapp 600.000 Euro und einen Verlust von 8.000 Euro. Es war bisher immer so, dass wir uns von Jahr zu Jahr zwischen ein bis zwei Prozent Verlust und Gewinn bewegen.

Das zeigt, und das soll kein Eigenlob sein, dass wir ein sehr realistisch kalkulierendes Unternehmen sind. Wir machen eine Jahreskalkulation, sobald ich weiß, welche Platten kommen. Dann ist klar: Wir haben drei Newcomer, dann kommt die neue Anajo oder Tele und dann brauche ich im zweiten Halbjahr noch ein paar Platten in der und der Größenordnung. Daraus mache ich einen Jahresplan mit drei Szenarien: Worst Case, realistisch und das Alles-läuft-super-Szenario. Das Worst-Case-Szenario muss so aussehen, dass die Firma daran nicht zu Grunde geht.

132.000 Euro Fixkosten

Die Firma verursacht momentan 11.000 Euro im Monat an Fixkosten, auch wenn wir gar keine Platten veröffentlichen und kein einziges Konzert buchen. Bei Tapete arbeiten jetzt die zwei Inhaber, drei Festangestellte, zwei quasi Fulltime-Freelancer, die kurz vor einer Festanstellung stehen und zwei Praktikanten. Das ist von der Manpower wohl eines der größten Indie-Labels in Deutschland. Es gibt aber leider auch nicht mehr viele. Wir bringen im Jahr 15 bis 18 Platten raus, das ist ein Output, den eigentlich sonst niemand hat. Von diesen Veröffentlichungen und den Konzerten muss jeden Monat das Team bezahlt werden, die Miete, das Telefon…

Natürlich verkauft man bei Newcomern selten genug, um allein mit den Tonträgerverkäufen die Fixkosten zu bezahlen. Deshalb haben wir eine Mischkalkulation: Die Einnahmen aus dem Musikverlag kommen dazu, die Einnahmen aus der Booking-Agentur. Trotzdem ist es so, dass etwa 80 Prozent der Newcomer-Alben sich hinten und vorne nicht rechnen.

Wir haben keine Rücklagen. Woher auch? Wenn etwas übrigbleibt, nimmt es dir das Finanzamt weg, und wenn du nichts hast, ist da eben – nichts. Wer in unseren kleinen Größenordnungen ehrlich wirtschaftet, hat keine Chance, Rücklagen zu bilden, so kommt mir das zumindest vor.

Bei Liquiditäts-Problemen hilft der Vertrieb

Die Jahresbilanz zeigt, dass wir über die Runden kommen, aber das Problem sind die Wellenbewegungen. Wenn es mal zwei Monate einen Liquiditätsengpass gibt, weil wir nicht genug verkaufen und die Fixkosten höher sind als die Einnahmen, müssen wir das irgendwie überbrücken. Wir haben zum Glück super Geschäfts-Partner: mit unserem Vertrieb arbeiten wir schon sehr lange und gut zusammen. Mittlerweile sind wir wichtig genug für die und wenn es mal einen Engpass gibt, sagen die Kollegen auch manchmal: “Wir wissen, dass die Platten in zwei, drei Monaten kommen und überweisen einen Teilbetrag vorab.”

500 Euro Monatsgehalt für den Mitinhaber

Nun ja, wer viel Geld ohne großes Risiko verdienen will, sollte was anderes machen. Das geht aber allen Indie-Labels so. Alle verdienen viel zu wenig, dafür haben sie aber einen Job, der ihnen Spaß macht und Erfüllung gibt. Aber bei uns ist das Ziel auf jeden Fall: Gegen den Trend wachsen. Denn wenn die Firma wächst und mehr Geld übrig ist, dann können wir auch die Gehälter der Mitarbeiter erhöhen.

Sechs Jahre lang haben Dirk und ich für Tapete ohne Bezahlung gearbeitet, ich habe mich über freie Jobs für große Labels finanziert und meine eigenen Backkatalog-Projekte, dafür habe ich ein eigenes Reissue-Label aufgebaut. Im Moment zahlen wir uns 500 Euro im Monat aus. Mit den Einnahmen aus dem Reissue-Label komme ich über die Runden und kann meine Familie, zwei Kinder, finanzieren. Eine Rentenversicherung gibt es nicht. Im Vergleich zur Festanstellung bei Universal bedeutet all das eine Halbierung des Lebensstandards. Das muss man in Kauf nehmen und eine Familie haben, die das akzeptiert.

Die Firma wächst in den letzten Jahren vor allem international. Wir haben schwedische, amerikanische, englische Künstler gesucht, um international attraktive Musik zu veröffentlichen. Eines unserer Ziele war von Anfang an, dass ein Künstler wie Lloyd Cole mal seine Platte bei uns rausbringen möchte. Und jetzt erscheint im September sein neues Album bei uns, das ist für uns ein wichtiger Meilenstein und hilft uns international, weil wir davon sehr viel im Ausland verkaufen werden.

Booking ist ein risikoarmes, notwendiges Zusatzgeschäft

Live-Geschäft und umfassende Rechte an der Musik sind sehr wichtig für die Firma. Wir können keinen Newcomer an das Label binden, der nicht bei uns im Verlag und im Booking ist. Booking ist ein vergleichsweise risikoarmes Geschäft. Wenn ich als Label ein Newcomer-Album mache, muss ich erst mal recht viel ausgeben und viel Zeit reinstecken, um das anzuschieben. Eine reine Booking-Agentur hat solche Anschubinvestitionen in der Regel nicht und kann sich im Idealfall an eine gut laufende Veröffentlichung mit den Konzerten dranhängen. Booking und Verlag sind für uns notwendige Zusatzeinnahme, bei denen man zusätzlich etwas davon ernten kann, was man als Label zuvor reingesteckt hat.

Die langfristigen Rechte sind wichtig, um irgendwann einen größeren Teil des Umsatzes mit der Zweitverwertung der Musik erwirtschaften zu können. Also dass Volkswagen in zehn Jahren den Song ‘Du kannst mich an der Ecke rauslassen’ von Niels Frevert für einen Spot verwenden möchte. Da haben wir mittlerweile einen Pool von 2000 Songs, die wir für solche Zwecke anbieten können.

Wir haben nicht genug Geld, um jemanden hinsetzen zu können, der den halben Tag versucht, Songs in der Werbung unterzubringen. Da ist mir die Promo bei Medien wichtiger. Ich hoffe lieber auf begeisterte Redakteure, die unsere Künstler entdecken und vorstellen, weil die Musik ihnen gefällt. Dass jemand findet, der Song könnte gut Autos verkaufen… Das ist eigentlich ein Geschäft, das meinem vielleicht konservativen Verständnis von Labels widersprich. Wenn ich darauf angewiesen bin, dass meine Songs bei Grey’s Anatomy laufen, dann möchte ich den Job nicht mehr machen.

Digitalvertrieb Finetunes: “Das Musikgeschäft war noch nie besser”

Indie-Labels können ihre Musik kaum direkt bei iTunes und Co. vertreiben: Sie sind zu klein, um gute Konditionen und Platzierungen zu erstreiten. Da hilft der Digitalvertrieb Finetunes. Mitgründer Oke Göttlich (34) erzählt, wie er 20 Millionen Euro an deutsche Independent-Labels ausgeschüttet hat.

Finetunes sollte eigentlich ein Downloadshop werden. Ist es immer noch, aber vor sechs Jahren war das unser einziges Geschäftsmodell – der erste europäische Downloadshop für Independents. Ich war da Sportreporter bei der “taz” und hatte das Label Nonplace für Neo-Folk und habe gemerkt, dass man digital etwas tun muss. Mein Partner Henning Thieß hatte sein Wirtschaftsinformatikstudium abgebrochen.

Wir haben dann auch ein paar Downloads verkauft und monatliche Abrechnungen von 23 Cents an die Labels geschickt. Die sagten, sie hätten lieber 23 Euro. Glücklicherweise ist es für die meisten inzwischen wesentlich mehr. Wir sind zum Digitalmusik-Auswerter geworden, wir vertreiben die Musik unserer Kunden über digitale Plattformen. Wir waren einer der ersten europäischen Independents, der Musik direkt an iTunes liefern konnte.

Finetunes vertritt heute ein Drittel der unabhängigen Plattenfirmen in Deutschland. Wir verkaufen auf dem Finetunes-Shop etwa eine Millionen Titel und wir vertreiben mehr als 300.000 Titel im Auftrag über andere Plattformen. Jede Woche kommen etwa 100 Veröffentlichungen dazu, die dann auch auf die jeweiligen Server geladen werden müssen. Wir lizenzieren die Musik dorthin, wo gekauft wird. Wir benutzen aber auch freie Dienste wie Soundcloud oder Fairtilizer, um eine gewisse Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Labels laden die neuen Stücke in unser System, tragen die Metadaten ein, dann wird besprochen, was man damit wo machen kann.

Digitalvertrieb braucht gut geplante Verkaufsbooster

Manchmal kann es ein Wunsch sein, dass man Musik frei verfügbar macht, ohne zu verdienen. Das entscheidet der Urheber: Möchte ich, dass mich fünf Millionen Leute wahrnehmen? Oder möchte ich, dass 5000 Leute ein digitales Album von mir kaufen? Jede Veröffentlichung ist anders. Das gilt auch für die Plattformen, wo die verkauft werden. Für die Metalplatte ist der schwedische Markt sehr wichtig. Da würde ich sagen: CDon und TDC und iTunes Schweden. Wenn wir ein deutsches Schlagerthema haben, dann Amazon und Musicload. Es gibt nicht die Formel, wir können nicht für jeden Song einen Soundcloud-Remix-Wettbewerb machen. Man muss genau gucken, wohin was passt.

Für manche Veröffentlichungen ist ein Frei-Download ein Verkaufsbooster, für andere nicht. Zum Beispiel eine Jazz-Veröffentlichung, die wird eher langfristig verkauft, durch lange Werthaltigkeit, eine iTunes LP mit aufwendigen Booklet zum Beispiel. Ein trashiger Elektro-Remix wird eher in die Welt gepumpt. Da gibt es ganz merkwürdige Effekte. Bei iTunes US gibt es zum Beispiel eine Single der Woche, die eine Woche lang als Download verschenkt. Man kann ziemlich sicher sein, dass dieser Track in der Woche darauf einer der bestverkauften ist.

Im Idealfall wird acht Wochen vor Veröffentlichung zu den Plattformen hochgeladen. Dann besprechen wir mit denen, wie wo was platziert werden kann, was sich für besondere Präsentationen eignet, wo man vielleicht besondere Angebote bündelt.

20 Prozent vom Online-Umsatz für den Vertrieb

Wir teilen uns den Erfolg und das Risiko einer Veröffentlichung. Wir verdienen eine Marge an dem Betrag, den wir von den Plattformen an die Labels weitergeben. Wir stellen die Musik nicht nur in die Shops ein und rechnen ab – wir verhandeln Konditionen, Platzierung, wir vermarkten.

Ein kleines Label wie Audiolith als Beispiel könnte mit Amazon schlechter bis gar nicht verhandeln und würde in jedem Fall schlechtere Konditionen bekommen als Finetunes. Dadurch, dass wir die Rechte kollektiv wahrnehmen, sind wir relativ wichtig und man gibt uns relativ anständige Konditionen.

Wir haben regelmäßig Gespräche mit den Plattformen, sagen: Das ist interessant, hört euch das mal an. Die Redakteure, die die Seiten bestücken, können sich das bei uns vorab anhören, jeder hat eine individualisierte Startseite, weil wir deren Musikgeschmack schon etwas kennen. Wir bemustern auch Musikblogs. Dort wird über Musik gesprochen, also bekommen sie die Musik über das Promo-Tool zur Verfügung gestellt.

Seit 2004 hat Finetunes etwa 20 Millionen Euro an Label ausgeschüttet

Wir haben die Firma ohne Wagniskapital hochgezogen. Wir haben 150.000 Euro von Freunden und Familien zusammengeklaubt.

80 Prozent unseres Umsatzes kommen aus dem Vertriebsgeschäft, davon reichen wir 80 Prozent an die Label weiter. Wir haben in den sechs Jahren knapp 20 Millionen Euro an die unabhängige Labellandschaft in Deutschland ausgeschüttet.

Musikindustrie hat online mehr ausprobiert als Verlage und Studios

Wir geben nur Geld aus, das wir einnehmen. Die Mitarbeiter kosten am meisten Kohle, 60 bis 70 Prozent. Der Rest der Ausgaben sind Miete, Server, Netz. Ohne 150 Gigabit-Anbindung kannst du nicht anfangen, bei den Datenmengen, die wir zu den Plattformen hochladen, kosten allein die Uploads so um die 3000 Euro im Monat.

Es gibt keine Industrie, die im Digitalen so viel ausprobiert hat wie die Musikindustrie – jetzt lassen wir mal dahingestellt, ob freiwillig oder nicht. Die drei großen Refinanzierungsmodelle abonnierte, werbefinanzierte und à la carte- Downloads gibt es schon seit zwei, drei Jahren, die haben sämtliche Bezahlmethoden erprobt, wo die Hörbuch-, Verlags- und Filmwelten noch ihre Berührungsängste haben.

Digitialwachstum kann Verluste nicht ausgleichen

Die Einnahmen aus dem Digitalgeschäft fangen den Niedergang bei Tonträgern nicht auf – jetzt noch nicht zumindest. Aber wir sind da noch am Anfang, glaube ich. À la Carte war immer der Umsatzbringer, aber die Streaming-Angebote holen sehr schnell auf. Man sieht heute interessante Entwicklungen, bei Special-Interest-Portalen zum Beispiel. Weil wir bei elektronischer Musik sehr stark sind, haben wir natürlich Verträge mit allen da relevanten Special-Interest-Läden wie Beatport, Boomkat oder Juno. Da wird ein Stück ohne weiteres für 1,49 oder 1,99 Euro verkauft, weil DJs schnell und bequem an das Stück kommen wollen.

Einigen gefällt die Digitalisierung nicht, andere profitieren davon. Für eine Firma wie Finetunes mit rein digitalem Auswertungsansatz ist die Entwicklung natürlich gut. Wir können gar nicht klagen, weil wir die Zeiten aus der physikalischen Welt gar nicht kennen.

Wer verkaufen will, soll das tun können

Ich bin vielleicht ein grenzenloser Optimist. Aber ich mache das jetzt seit sechs Jahren und ich finde: Es war noch nie besser als heute. Es hat sich gesellschaftlich wahnsinnig viel getan. Es entsteht ein Bewusstsein, dass zumindest kreative Schöpfung nicht immer einfach frei verfügbar sein kann im Sinne von ohne Refinanzierung.

Diese Variante ist sinnvoll, wenn es um aus öffentlichen Mitteln finanzierte Forschung geht. Das ist auch der Gründungskern der Piratenpartei: Da geht es um die weltweite Verteilung von Wissen – darum, dass ein Wissenschaftler in Afrika genauso schnell an publizierte Erkenntnisse anderer kommt wie die Kollegen in Europa oder den Vereinigten Staaten. Das ist sinnvoll, um globales Wissen zu verbreiten.

Ob es ein Musiker, ein Wissenschaftler oder ein Journalist ist, die Möglichkeiten Werke frei zu verteilen, global, waren noch nie so groß wie heute. Aber das geht nur, wenn der Urheber das möchte – das ist mir wichtig. Wer so überzeugt ist von seinem Werk, dass er es verkaufen möchte, der soll das tun können.

Booker Artur Schock: “Gut finden und kaufen steht in keinem Verhältnis”

200 Konzerte im Jahr, sechs Arbeitstage die Woche: Artur Schock, 25, organisiert Konzerte für Elektropunk-Bands wie Egotronic. Der Booker kennt die Tricks der Veranstalter. Er war früher selbst einer im autonomen Jugendzentrum – damals waren Booker für ihn der Inbegriff des Bösen.

Booker bin ich zufällig geworden. Ich bin mit 18 aus Bayern weggezogen in eine Stadt mit einem Autonomen Zentrum (AZ). Ich kannte da Leute, da habe ich Konzerte mitorganisiert und gelernt, wie man das abrechnet, wie man eine Band richtig bucht, wie man als Veranstalter seinen Anteil hochdrückt – jetzt bin ich auf der anderen Seite. Mich haben Freunde gefragt, ob ich das nicht für sie mache, Egotronic waren das. Dann habe ich für die Konzerte gebucht, das lief ganz gut, und dann sind nach und nach andere Bands dazugekommen, Egotronic sind größer geworden und das Label Audiolith auch.

Ich mache das nun drei Jahre. Ich betreute zehn Künstler fest und mache im Jahr so 300 Bookings, davon vielleicht 200 Konzerte. Da sind auch viele kleine Sachen dabei mit 70, 150 Leuten. Oder Partys, wo DJs gegen Festgage gebucht werden.

Ich glaube, es gibt zwei Arten von Booking. Bei den großen Agenturen, die die richtigen Stars unter Vertrag haben, ist es nicht das Problem, eine Halle zu finden, da geht es vor allem um Organisation und Finanzierung. Sehr bekannte Künstler mit großen garantierten Zuschauerzahlen sagen: Ich spiele gerne in Hamburg, aber ich will dafür zum Beispiel 50.000 Euro fest. Dann musst du als Konzertagentur rechnen, wie du mehr Einnahmen kriegst als die 50.000 Euro und die Kosten für die Miete und Security. Du musst mit dem Budget hinkommen und Gewinn machen.

Kleinere Booker wie wir treten als Makler auf. Du sagst: Hallo, ich hab hier diesen Künstler am Start und der geht auf Tour und dann findest du Veranstalter, handelst Gagen aus. Bei kleinen Bookings, so wie wir sie auch machen, kann von Budget gar keine Rede sein. Da geht es nur darum, die Veranstalter zu überzeugen, dass sie deine Band spielen lassen, die kaum jemand kennt. Das wird immer schwieriger, finde ich.

Arbeitswoche: Drei Tage Büro, drei Tage Tourneebetreuung

Was wir machen, ist mehr als ein Vollzeitjob. Ich fahre noch viel rum, weil ich die Leute, mit denen wir arbeiten, kennenlernen will. Ich mache das auch, um die Leute auf Konzerten zu erleben, damit ich sehe, warum ich das mache, wie die das flasht, die Energie zu spüren, die hinter dem Ganzen steckt. Ich schaue mir die Clubs an, die machen die Abrechnung unterwegs, damit das stimmt. Montag, Dienstag, Mittwoch arbeite ich im Büro in Berlin, Donnerstag, Freitag, Samstag fahre ich mit Bands mit, sonntags verbringe ich verkatert auf der Autobahn.

Wir alle, also auch die Künstler, sind so aufgestellt, dass wir unterwegs arbeiten können mit Internetstick und Laptop. Manche von den geilsten Songs sind irgendwo auf der Autobahn entstanden, genauso wie die fettesten Sachen vielleicht auf einem Parkplatz vor einem Jugendzentrum über SMS eingetütet wurden.

Bei uns ist das noch so, dass die Künstler ihr Honorar direkt mit dem Veranstalter abrechnen und uns dann für die Vermittlung davon bezahlen. Wir bekommen Prozente für die Arbeit. Meine Künstler ziehen von ihren Einnahmen erst mal die Fahrtkosten ab, und vom Rest kriegen wir dann den Anteil. Das ist erst mal das Geld der Firma. Davon bezahlen wir die Promoplakate und so, die ich den Veranstaltern schicke und viel anderes Zeug, laufende Kosten halt. Zum Schluss wird dann das Gehalt ausgezahlt. Das ist kein fester Betrag, sondern je nach Monat mal mehr, mal weniger.

Ich kann davon leben. Mein Büro ist in einer Bürogemeinschaft, ich zahl da wenig Miete. In Berlin kannst du mit so einer Arbeit wunderbar überleben. Meine Krankenversicherung kann ich bezahlen. Ich gebe jeden Monat mindestens 500 Euro an die Bahn, um irgendwo auf ein Konzert zu fahren oder eine Band irgendwo zu treffen.

500 Besucher, 2000 Euro Umsatzbeteiligung für Band und Booker

Bei den größeren Hallen kommen wir mit Bands durchaus auf ein paar tausend Euro Einnahmen pro Konzert. Seit einem Jahr kommen da 500 Leute zum Konzert, auch wenn die Sachen nicht im Radio laufen. Das läuft alles übers Internet. Wir können da zwar nicht die Geschichte vorweisen wie eine Indie-Band, die Jahre dabei ist und ohne Probleme 2000 Euro Festgage kriegt, aber wir kommen da mit unseren Umsatzbeteiligungen auch raus.

Bei einer Gewinnbeteiligung kriegen die Musiker einen Anteil von allen Ticketeinnahmen, nachdem die Kosten des Veranstalters gedeckt sind, oder der Veranstalter bezahlt die Kosten von seinem Anteil. Du kriegst vorher eine Kalkulation der Kosten von dem Veranstalter. Da kann alles drin sein, du schaust als Booker drüber und sagst, was okay ist. Security so und so viel, Personal für die Bar so und so viele, Anlage so und so viel. Das sind natürlich die Punkte, wo du als Veranstalter deine Kosten etwas höher rechnen kannst, um einen besseren Schnitt zu machen. Bei Hallen mit weniger als tausend liegen die Kosten zwischen 600 bis 800 Euro. Uns ist außerdem sehr wichtig, den Eintrittspreis niedrig zu halten. Die Konzerte sollten schon erschwinglich bleiben.

Du gehst das durch und legst mit dem Veranstalter fest, wo die Gewinnzone beginnt. Der Veranstalter kriegt die Einnahmen an der Bar, das ist sehr wichtig für die. Wir machen da nie Umsatzbeteiligungen, ist bei Konzerten nicht üblich, wenn man Partys irgendwo organisiert, könnte man das machen, aber machen wir nicht. Wichtig ist, dass die durchnummerierte Karten verkaufen und damit eine detaillierte Abrechnung machen.

Plakate zahlt der Booker

Die Veranstalter machen theoretisch auch die Promo vor Ort, die rufen beim Radio an, bei der Zeitung, machen online was, damit die Leute wissen, was da kommt. Das ist aber sehr unterschiedlich, wie viel da passiert. Das erarbeiten wir eng mit ihnen zusammen. Ein Veranstalter kriegt 50 oder hundert Plakate, wir zahlen für die Herstellung von tausend Plakaten 150 Euro. Wir schlagen das nicht auf die Veranstalter um, wir schicken denen das auch nicht unfrei, sondern zahlen das Porto. Das ist mir zu viel Stress, die Kosten da reinzurechnen und deswegen zu nerven.

Das meiste, was reinkommt, geben wir auch wieder aus für Promo, Plakatdruck, Anzeigen im “Intro”, “Unclesallys”, Web-Banner in Blogs, Facebook mit regionalen Einstellungen und so etwas. Da kannst du für Konzerte gut werben, auf Stadt und Altersgruppe abgestimmt. Aber viel läuft da direkt über die Fans, übers Netz.

Die Musik ist den Menschen wichtig, die Platten nicht

Audiolith hätte sich nicht so entwickelt ohne das Internet. In der Presse waren wir am Anfang lange gar nicht, das lief bei uns übers Netz. Das hat dem ganzen auch so einen Underground-Touch gegeben vielleicht. Es war cool, weil es eben nirgends stand in den Medien. Das kennen halt nur die Leute, die Bock drauf haben, und man wird nicht überall damit zugebombt. Es ist eine Szene, die du erst finden musstest.

Mit dieser Krise, da werden ja wir immer gefragt, wie wir das machen. Ich weiß es nicht, wir kennen das ja nicht anders. Klar, vielleicht hätte man mit der Menge an Leuten, die zu unseren Konzerten kommen, vor zehn Jahren extrem viele Platten verkauft, vielleicht würden wir dann alle Porsche fahren. Keine Ahnung.

Du merkst live auf jeden Fall, dass den Leuten die Musik wichtig ist, aber nicht der Besitz. Wir haben Konzerte gehabt, wo die Platte neu rauskam und niemand das Album haben konnte. Da waren auf der Release-Party dann 800 Leute, die richtig steil gegangen sind, denen das wirklich gut gefallen hat, und dann haben wir da zehn Alben verkauft. Das steht in keinem Verhältnis – gut finden und kaufen.

Auf vier verkaufte Alben kommen 30 T-Shirts

T-Shirts gehen viel besser als CDs. Bei einem Konzert mit 500 Leuten verkaufen wir vielleicht 30 T-Shirts und vier Alben. Das ist bei anderen Band mit anderen Fans sicher anders. Da verkauft man vielleicht mehr Alben. Aber die Musik hören sie ja trotzdem, die haben sie zu Hause. Ich finde das nicht so fürchterlich deprimierend, die Musik ist den Leuten ja trotzdem wichtig, auch wenn sie die irgendwo runtergezogen haben. Es ist ja nicht banal für die. Denen sind halt andere Sachen wichtiger, als die CD zu Hause zu haben. Zum Beispiel das T-Shirt.

Booking ist ein feiner Job. Vielleicht der beste im ganzen Musikgeschäft. Du produzierst nichts Physisches, das heißt, du hast kein Warenrisiko, du nimmst nur Geld, wo welches da ist. Du kannst natürlich viel falsch machen, aber wenn du gut organisierst, fair mit allen umgehst und den Überblick behältst, kann das ganz gut laufen. Vielleicht mache ich mal eine Ausbildung in dem Bereich.

Früher, als ich noch Konzerte als Veranstalter gemacht hab, war der Booking-Agent der Inbegriff des Bösen. Wenn eine Band einen Agenten hatte, war das sehr verdächtig. Und wenn die dann noch ein Hotel haben wollten – das war der Inbegriff der Kommerzialisierung. Da hat man nicht gesehen, dass das total sinnvoll ist und dass die Leute genauso Penner sind wie man selbst, aus denselben Strukturen kommen und am Anfang vielleicht in so einem kleinen Jugendzentrum Konzerte organisiert haben und in dem Job hängengeblieben sind, weil sie nichts Anständiges gelernt haben

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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