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Reiz und Reaktion

Votrag, gehalten am Institut für Jugendarbeit Gauting am 19.3.2003

Computerspiel als Medium vs. Computerspiele in den Medien

These 1: Alle älteren Medien vermitteln ein extrem verengtes Bild vom neuen Medium Computerspiel.

Eine Kritik, welche Potenzial und Realität der Bildgrammatik, Metaphorik, Synästhesie, Perspektive von Computerspielen analysiert und darauf basierend ein ästhetisches Urteil trifft, existiert nicht. Immer mehr, immer ältere Menschen investieren immer mehr ihrer Aufmerksamkeit in dieses Medium – doch anstatt mit ihm wie mit Film, Fernsehen, Theater und Literatur kritisch umzugehen, umgeht die Kritik das Medium Computerspiel.

Thematisiert werden Computerspiele allein in Krisensituationen. Dabei scheint die Berichterstattung eher Inszenierungsanforderungen der berichtenden Medien zu folgen als den zu vermittelnden Fakten. So führte offenbar das Bedürfnis nach einer reizvollen, starken Bebilderung der Bild-Zeitung nach den Morden von Erfurt zur Verwendung besonders drastischer Screenshots aus dem Spiel „Soldiers of Fortune“. Insgesamt folgt die Form der Berichterstattung klassischen Mustern der totalen Ablehnung von anstatt einer Auseinandersetzung mit neuen Medien. So griff 1583 der Puritaner Philip Stubbes Shakespeares Theater, weil es „zu morden, zu töten, zu schinden“ lehre. Ähnlich schrieb Robert Gaupp in den Süddeutschen Monatsheften gegen das Kino an, das zum Kannibalismus anstifte. Ein ähnlich ideologisch beladener Umgang mit dem Medium Computerspiel scheint einen Großteil der über die Morde in Erfurt berichtenden Medien erfasst zu haben.

Ein Beispiel dafür ist die reine Fokussierung auf so genannte „Killerspiele“, mit denen eine „Hassindustrie“ satte Gewinne einstreiche. Wie sich die Einnahmen auf verschiedene Spielgenres verteilen, ist zwar schwierig festzustellen, denn es fehlen eindeutige und verbindliche Klassifizierungen. So viel ist aber klar: In Deutschland sind vor allem Produkte beliebt, die auf Strategie setzen, und erzählerische Genres wie Abenteuer- oder Rollenspiele. Im Jahr 2000 fielen von hundert PC-Spielen, die über den Ladentisch gingen, 22 in die Rubrik Strategie – genauso wie das bislang mit mehr als 400 000 Exemplaren meistverkaufte PC-Spiel “Anno 1602”. Damit dürfen sich auch Sechsjährige vergnügen, sagt die “Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle”. Die freiwillige Einrichtung der Wirtschaft arbeitet seit 1994 im Auftrag der Produzenten. Inzwischen prüft sie 90 Prozent der erhältlichen Spiele. Von 1994 bis Ende 2001 haben sich die Tester 6610 Titel angeschaut. Vier Prozent davon wollten sie nur Erwachsenen zumuten, lediglich 11,3 Prozent waren Actionspiele mit dreidimensionalen Darstellungen und militärischen Simulationen. Auch wenn man dem Selbstkontrollorgan und den Interessenverbänden gewisse Ungenauigkeiten bei der Alterseinstufung und Klassifizierung von Titeln unterstellt, kann nicht davon die Rede sein, dass die Spielindustrie einen Großteil ihrer Umsätze mit extremer Gewaltdarstellung oder simplen Hau-drauf-Mustern verdient.

These 2: Die Gründe für diese Berichterstattung sind eine Generationenkluft, ein Generationenkonflikt und die spezifische, schwer in anderen Medien vermittelbare Form des Computerspiels.

Die Hälfte der Computerspieler in Deutschland ist 18 bis 39 Jahre alt und damit wesentlich jünger als Ressortleiter und Chefredakteure mit Richtlinienkompetenz über die Berichterstattung. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass bei den Entscheidern zum großen Teil die eigene Anschauung des Objekts der Berichterstattung fehlt.

Dass neben dieser kulturellen Kluft ein kultureller Konflikt besteht, ist plausibel, erklärt aber nicht, warum Medien sich differenziert mit der Figur Eminem auseinander setzen, jedoch kaum mit der Inszenierungsleistung des neuen Medium Computerspiel.

Hier scheint zusätzlich ein Wahrnehmungs- und Darstellungsproblem zu wirken. Der Form des Computerspiels ist eigen, dass der Spieler Teil eines emergenten Prozess wird, in dem er bestimmte Variablen verändert und der Computer nach vorgegebenen Regeln die Konsequenzen berechnet, die dann wiederum Ausgangsmaterial der nächsten Manipulation werden. Deshalb ist das Experimentieren mit den Gesetzen des Spiels, ein oft neu ansetzendes, nach alternativen Lösungen suchendes und oft eher abstraktes Erlernen der Struktur des Spiels jenseits aller Narration diesem Medium eigen. In linearen, nicht-prozesshaften Medien darstellbar ist es jedoch kaum.

These 3: Aber man muss es versuchen. Das Medium Computerspiele braucht eine eigene Kritik, die sich mit spezifischen Defiziten und Leistungen konkreter Formen auseinander setzt, statt das Medium allgemein abzulehnen.

Das ist nötig, weil derzeit ein kreativer Stillstand in der Spielindustrie bedroht. Entwickler wie Ernest Adams bemängeln, technische Innovationen seien wichtiger geworden als ungewöhnliche Ideen. Die Gewinne sind zwar gewachsen, doch die Produktionskosten ebenso sehr. Bis zu zehn Millionen US-Dollar verschlingt ein Spitzentitel. Aber nur wenige der etwa 2000 Produkte jährlich werden zu Bestsellern. Das finanzielle Risiko ist groß, also entscheiden Publisher und Produzenten sich zunehmend für Fortsetzungen erfolgreicher Reihen, Add-On oder klassische Genre-Titel, deren Alleinstellungsmerkmal allein technische Kennzahlen sind.

Nötig ist eine Kritik des Computerspiels auch, weil ohne aufmerksame Analyse ihrer Form eigentlich bedenkliche Entwicklung verborgen bleiben. Spiele müssen Gewinn und Verlust definieren. Deshalb beinhalten sie – wie groß auch immer Bild- und Ereignisraum sind – systematisierte wertende, weltanschauliche Grenzen – also eine Ideologie. Diese ist abstrakt im Ereignisraum des Spiels kodiert. Um sie offen zu legen, braucht es eine leidenschaftliche Kritik – und Gehör für sie.