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Renaissance der Utopie

Renaissance der Utopie

Beitrag zu diesem Buch: Maresch, Rudolf / Rötzer, Florian (Hrsg.): Renaissance der Utopie, Suhrkamp, 2004


Es wäre unbedingt ein Leben mit mehr Sinn

Businessplan für imaginäre Unterhaltungs-Umwelten von „Senseful Recreation Services“

I. Executive Summary

Unser Produkt „imaginäre Unterhaltungs-Umwelt“ (iUU) befriedigt zwei von kommerziellen Anbietern bisher weitgehend unbeachtete Bedürfnisse. Diese resultieren aus der wenig effizienten Verteilung von Sinn und Zeit durch das derzeitige Wirtschaftssystem: Die Arbeitskraft eines großen Bevölkerungsteils ist nicht mehr profitabel einzusetzen. Deshalb haben diese Menschen viel Zeit – für eine materiell wenig befriedigende Existenz, die sie oft als sinnfrei empfinden. Umgekehrt verhält es sich bei der anderen Bevölkerungsgruppe. Hier kann trotz materiellen Überflusses auf individueller Ebene meist nicht einmal das Minimum an Aufmerksamkeit für die volle Nutzung der aktuellen, überwiegend zeitintensiven Unterhaltungsangebote aufgebracht werden. Unsere Lösung ist eine Umverteilung der beiden entscheidenden Ressourcen Zeit und Geld durch „Senseful Recreation Services“ (SRS). Indem wir in den
iUUs sowohl Möglichkeiten für die Gewinnung als auch den Verbrauch dieser Ressourcen und vor allem einen Marktplatz zum Handel mit denselben bereitstellen, ergeben sich für unser Unternehmen SRS mehrere Möglichkeiten, Profit abzuschöpfen.

II. Markt und Produkt

1) Bedarf an Sinn

Die Zahlen sind seit langem bekannt, doch wurde in ihnen bisher – aus nur scheinbar offensichtlichen Gründen – nicht das eigentliche Marktpotential erkannt: Ein Drittel der weltweit rund drei Milliarden Menschen im erwerbsfähigen Alter ist laut dem Weltbeschäftigungsbericht der International Labor Organization (ILO) arbeitslos oder unterbeschäftig.
Dass ein Teil dieser Arbeitslosigkeit nicht mehr durch Deregulierung und Ausweitung der Niedriglohnsektoren zu
beseitigen ist, wird zwar nicht öffentlich eingestanden, aber dennoch akzeptiert. Es dominiert allerdings weiterhin das längst antiquierte soziale Leitbild der vollen Erwerbstätigkeit sowohl im politischen und gesellschaftlichen Diskurs als auch in der individuellen Lebensplanung.

Der gesellschaftliche Wert der Arbeitslosen wird gering bemessen, was sich am deutlichsten in ihrer materiellen Versorgung ausdrückt. Zahlreiche Untersuchungen zeigen auch eine geringe Eigenwertschätzung.

Es überrascht daher nicht, dass die Selbstmordrate weltweit seit Mitte der fünfziger Jahre um 60 Prozent gestiegen ist. Sie liegt laut World Health Organization (WHO) weltweit bei einer Million Toten im Jahr. Dass eine Kausalität zwischen Arbeitslosigkeit und Suizidrate besteht, zeigt Litauen, das Land mit der höchsten Selbstmordrate der Welt. Hier
sind die meisten Selbstmordfälle in jenen ländlichen Gebieten mit der höchsten Arbeitslosenrate zu beobachten.

Es besteht also hoher Bedarf nach einem Angebot, das als sinnvoll wahrgenommene Aufgaben und Tätigkeiten vorgibt, den Alltag strukturiert, einen Großteil der Lebenszeit beansprucht, ein – bestenfalls leistungsabhängiges Einkommen – sichert und einen auch außerhalb des zu schaffenden Subsystems der iUUs geltenden sozialen Status definiert.

Das grundlegende Problem bei diesen Bedürfnissen ist die Finanzierung der Angebote. Aufgrund mangelnder Werberelevanz arbeitsloser Menschen scheidet eine Mischfinanzierung aus Werbeerlösen und Abonnementgebühren aus. Dieses Problem muss durch die Form des Angebots selbst gelöst werden.

2) Bedarf an Zeit und neuen Unterhaltungsformen

Eine Perspektive auf eine solche Lösung eröffnet ein anderes unbefriedigtes Bedürfnis: Jenes der arbeitenden Bevölkerung nach Medienangeboten, die bei einer relativ geringen Investition von Aufmerksamkeit hohe Individualisierung und starkes Involvement bieten. Auch hier sind die Zahlen längst bekannt, aber nicht genügend analysiert: Trotz Kurzarbeit aufgrund der lahmenden Konjunktur schätzt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung die Anzahl der geleisteten bezahlten Überstunden in Deutschland auf knapp 1684 Millionen für das Jahr 2002. Die Arbeit verbraucht konstant hohe, wenn nicht sogar steigende Anteile des Aufmerksamkeitsbudgets der Erwerbstätigen: Während in den siebzigerJahren die Eltern einer Mittelklassefamilie etwa 3000 Stunden im Jahr arbeiteten, sind es heute 3335 Stunden – mit steigender Tendenz. Zugleich steigt – scheinbar paradoxerweise – der Medienkonsum, sowohl in der Gesamt- als auch in der Teilpopulation der Erwerbstätigen. Analysten, beispielsweise von Mercer Management Consulting, schätzen, dass sich die zeitliche Nutzung von Medien je Person auf 505 Minuten täglich im Jahr 2001 auf 529 Minuten pro Tag im Jahre 2006 erhöhen wird. Die Ausgaben sollen je Haushalt von 60,06 auf 70,57 Euro steigen. Das größte Anteilswachstum am zeitlichen und finanziellen Budget werden dabei Film und Fernsehen verzeichnen.

Zwei Gründe für diesen Anstieg sind von besonderem Interesse für die Gestaltung von iUUs. Zum einen die zunehmende Individualisierung des Medienkonsums, beziehungsweise das wachsende Bedürfnis nach einer solchen. Es wurde schon Anfang der
siebziger Jahre erwartet, wobei Wissenschaftler wie Maxwell McCombs noch davon ausgingen, dass sich nicht die Art der Produktion, sondern allein die Art und Weise des Konsums ändern würde. Interessant ist für SRS auch die Bedeutung des steigenden Bedürfnisses nach parasozialer Interaktion für den expandierenden Medienkonsum. Obwohl die Gültigkeit der Konzepte eines aktiven Publikums, das bewusst Inhalte zur Befriedigung bestimmter Bedürfnisse wählt, zweifelhaft ist, kann als sicher gelten, dass Menschen zwar habituell handeln, aber hierbei auch von ihren Bedürfnissen beeinflusst werden. Beim Medienkonsum sind dies beispielsweise Entspannung, Information, Gewohnheit, Zeitvertreib, Spannung, Eskapismus und – für SRS besonders – interessant persönliche Identität, persönliche Beziehungen und Kontrolle der Umgebung.

Da sich die Produktion der Medieninhalte tatsächlich wenig geändert hat, werden diese Bedürfnisse nach Individualisierung und parasozialer Interaktion nicht ausreichend befriedigt. Und weil allgemein zugängliche Alternativen nicht existieren, steigt der Medienkonsum aufgrund der beschriebenen Bedürfnisse: Die durch Daily Soaps, Serien und Shows ermöglichte parasoziale Interaktion bewegt sich ebenso wie die eröffneten Indvidualisierungspotentiale des Konsums und das Involvement auf einem qualitativ sehr niedrigen Niveau, wenn man es mit elitäreren Angeboten wie Onlinerollenspielen vergleicht.

Der Erfolg von Onlinerollenspielen wie „Everquest“ oder „Lineage“ zeigt, dass konzeptionell völlig neue Angebote sehr stark genutzt werden, wenn sie die beschriebenen Anforderungen – zumindest teilweise – erfüllen. Die heute bestehenden Angebote sind hochprofitabel: Einnahmen von 100 Millionen Dollar im Jahr bei einer Gewinnspanne von 20 bis 40 Prozent sind bei Spitzentiteln normal. Die fünf größten Onlinerollenspiele haben zusammen etwa vier Millionen Abonnenten.

Die Faszination dieser Spiele hängt damit zusammen, dass die Realität in ihnen so intensiv wie bei keinem anderen Spielgenre wirkt. Denn es ist eine soziale: Sie entsteht durch die Kommunikation und das gemeinsame Erleben mit anderen Spielern. Ein anderer wichtiger Motor dieser Spiele ist der soziale Aufstieg. Ein ausgeklügeltes, ständig von professionellen Mitarbeitern modifiziertes Aufstiegs- und Belohnungssystem hält den Reiz des Spiels auf einem konstant hohen Level.

Das Konzept von Onlinerollenspielen erfüllt also bereits ansatzweise einige der Anforderungen, welche die beschriebenen Zielgruppen an neue Unterhaltungskonzepte richten: Alltagsstrukturierung, hohe Aufmerksamkeitsbindung, ein zumindest innerhalb des Subsystems erreichbarer sozialer Status. Drei Probleme verhindern jedoch derzeit eine breitere Anwendung dieses Konzepts. Die notwendigen Investitionen in Hard- und Software sind zu hoch. Das verlangte technische Verständnis ist nicht allgemein verbreitet. Die für ein befriedigendes Spielerlebnis nötige Aufmerksamkeit kann nur von wenigen aufgebracht werden: ein durchschnittlicher Spieler verbringt 20 Stunden je Woche mit Onlinerollenspielen.

3) Lösung

a) Struktur

Visionen neuer, den gestiegenen Ansprüchen auf dem stark umkämpften Aufmerksamtkeitsmarkt entsprechender Medienangebote werden schon seit längerem entworfen. Allerdings ausschließlich für vermögende Zielgruppen. Der Autor James Graham Ballard beschrieb Ende der neunziger Jahre in den Romanen „Super-Cannes“ und „Cocaine Nights“ die Inszenierung von Kriminalität als Angebot zur Sinn-, Identitäts- und Gemeinschaftsproduktion. Ähnlich wie David Finchers „The Game“ wird hier aber von einer Inszenierung in der bestehenden Umwelt ausgegangen. Dieser Weg ist für kommerzielle Angebote, welche oben beschriebene Zielgruppen fokussieren, weder finanzierbar noch interessant, weil die Struktur der bestehenden sozialen Umwelt vollkommene Kontrolle nicht zulässt, können soziale Prozesse nicht annähernd so gut kanalisiert werden wie bei Onlinerollenspielen. Die Folge: Wesentliche Anforderungen an das Produkt – wie beispielsweise die Statusgenerierung – können nur schwer realisiert werden. Aufgrund der Möglichkeit, die Umwelt den Bedürfnissen der in ihr agierenden Kunden anzupassen, ist eine Lösung in Form eines Computerspiels vorzuziehen. Besonders interessant ist dabei aufgrund der nutzbaren sozialen Dynamik im besonderen die Form eines Onlinerollenspiels.

b) Markt für aggregierte Unterhaltungerfahrung

Unser Modell eines Marktplatzes für in virtuellen Objekten aggregierte Spielzeit und Unterhaltungserfahrung ist ansatzweise bereits erfolgreich erprobt. Eine noch kleine, aber stetig wachsende Gruppe von „Everquest“-, „Ultima Online“- und „Lineage“-Spielern finanziert bereits ihren Spielkonsum durch den Verkauf von Spielcharakteren und Gegenstände aus der Spielwelt an andere Spieler, die nicht über genügend Zeit verfügen, den angestrebten Spielstatus durch Investition eigener Aufmerksamkeit zu erreichen. Hier ist in nucem ein Teil des Marktes entstanden, der oben beschrieben wurde: Spielende finanzieren ihr Spiel durch den Verkauf aggregierter Unterhaltungserfahrung an Spielwillige mit geringem Zeitbudget. Die derzeitige Größe dieses Marktes ist schwer zu definieren. Der Wirtschaftswissenschaftler Edward Castranova hat allerdings interessante Orientierungspunkte geliefert: Mittels der bei Onlineauktionen erzielten Preise für Spielgüter berechnete er den Wert der von Spieler aggregierten Spielerfahrung. Demnach schafft ein Everquest-Spieler je Spielstunde einen Mehrwert von 3,42 Dollar. Rein rechnerisch könnten also bereits heute mit den bei den fünf größten Onlinerollenspielen geschaffenen Werten 13,2 Milliarden Euro im Jahr erzielt werden – vorausgesetzt, die eine durschnittliche Wochenspielzeit liebt bei 20 Stunden und die Preise bleiben auf dem von Castranova bestimmten Niveau. Doch der Markt für diese geschaffenen Werte ist nicht groß und nicht perfekt genug. Die Produzenten von Onlinerollenspielen haben bisher die Chancen dieser Aktivitäten nicht erkannt. Sie tolerieren sie bestenfalls, der „Everquest“-Betreiber „Verant“ geht sogar mit Hilfe des Urheberrechts gegen den Handel mit Spielgegenständen vor. Dabei wäre das Urheberrecht ein ideales Werkzeug zum Abschöpfen von Umsatzbeteiligungen bei solchen Transaktionen. SRS muss also zunächst eine professionelle Handelsplattform schaffen, auf denen Spieler exklusiv Objekte, Charaktere und Dienstleistungen aus den von SRS angebotenen imaginären Unterhaltungs-Umwelten (iUUs) verkaufen.

c) Strategien zur Nachfragesteigerung

Neben einer solchen Plattform muss die Nachfrage nach den dort angebotenen Gütern enorm gesteigert werden. Die Struktur heutiger Onlinerollenspiele muss stark an die Bedürfnisse der Zielgruppe gut verdienender aber aufmerksamkeitsarmer Arbeitnehmer angepasst werden. Und zwar in einem Ausmaß, das es zum einen professionellen Spielern ermöglicht, ihren Lebensunterhalt allein durch Interaktionen in den iUUs von SRS zu bestreiten, und andererseits SRS einen angemessenen Gewinn sichert. Die einzelnen Möglichkeiten zur Gewinnabschöpfung werden in III.2. beschrieben. Hier soll es allein um die notwendige Angebotsstruktur von iUUs für eine starke Nachfrage der gut verdienenden aber aufmerksamkeitsarmen Zielgruppe gehen.

d) Gefühl absoluter Macht

Natürlich geht allein schon von der Möglichkeit, in einen Spielcharakter zu schlüpfen, ein enormer Reiz aus. Hierbei muss bedacht werden, dass sich die Spielcharaktere in den iUUs von SRS grundsätzlich von den heutigen unterscheiden: Sie werden tagtäglich von professionellen Spielern gelebt. Sich über unsere Handelsplattform die absolute Macht über einen solchen Spielcharakter zu kaufen oder zu mieten ist deshalb eher mit der Kontrolle eines Lebewesens als einer Spielfigur zu vergleichen. Das hieraus resultierende Machtgefühl ist eine einzigartige Qualität unseres Produkts.

e) Individualisierte Charakterzüchtungen

Doch das Schlüpfen in andere Spielfiguren ist nicht das zentrale Angebot unserer imaginären Unterhaltungs-Umwelten. Es sollte den Kunden überlassen sein, wie sie in das Spiel eingreifen, ob sie selbst aktiv spielen oder eher Anweisungen geben und beobachten. Das Bedürfnis nach Individualisierung und Involvement lässt sich im Angebot einer gesteuerten Züchtung eines Spielcharakters vereinen. Hier beauftragt ein Kunde einen professionellen Spieler mit der Entwicklung und Führung eines spezifischen, nach seinen Vorgaben erschaffenen und sich entwickelnden Spielcharakters. Um das Involvement auch bei geringem Aufmerksamkeitsbudget aufrecht zu erhalten, ist eine konstante Videoüberwachung der Aktionen des Spielcharakters in der Spielwelt möglich. Der Kunde kann so jederzeit über ein Mobiltelefon, einen Computer oder einen Fernseher mit entsprechender digitaler Set-Top-Box das Leben des von ihm in Auftrag gegebenen Spielcharakters beobachten. Selbstverständlich sind bei solchen Angeboten auch spezifische Handlungsanweisungen möglich. Es hängt allein vom Kunden ab, ob er eher aktiv oder passiv an dem von ihm gekauften Leben partizipieren will. Als Vorbild für die Adoption von Spielcharakteren sind jene Kinderhilfsprojekte denkbar, die als Gegenleistung für eine Spende Statusberichte über die Entwicklung des Hilfsobjekts anbieten, so dass eine emotionale Bindung entsteht.

f) Schicksalsauktionen

Denkbar sind aber auch Eingriffe in das Leben von nicht durch den Kunden beauftragte Spielcharakterzüchtungen. So kann ein Kunde, der an einem bestimmten mietbaren Spielcharakter Gefallen gefunden hat, hier eine bestimmte Entwicklung oder auch nur eine einzige Handlung in Auftrag geben. Reizvoll wäre eine solche Eingriffsmöglichkeit aber auch bei Spielcharakteren, die ein anderer Kunde gekauft, in Auftrag gegeben oder dauerhaft gemietet hat. Dies ließe sich durch Auktionen realisieren. Die temporäre Kontrolle über einen Spielcharakter würde dabei an den Höchstbietenden versteigert. Solche Schicksalsauktionen und feindlichen Übernahmen müssen aber technisch auf dafür ausgewiesene Gebiete der Spielwelt beschränkt bleiben, da sie ansonsten die Spielfreude an Zeit und Geld ärmerer Kunden beeinträchtigen könnten.

g) Pornographische Performances

Natürlich ist über die Handelsplattform auch der Erwerb von Dienstleitungen denkbar, die bisherigen Rezeptionsarten ähneln. Interessant dürfte hier wegen der heute möglichen photorealistischen Graphik der Bereich der pornographischen Performances sein. Natürlich müssen diese Angebote streng von den übrigen der iUUs getrennt werden, damit das Image des Produkts nicht verzerrt wird. Trotzdem dürfte dieser Teilbereich sowohl den professionellen Spielern als auch SRS enorme Profite bringen. Denkbar sind beispielsweise gekaufte Shows, bei denen ein oder mehrerer Spielcharaktere entsprechend den Vorgaben des Kunden agieren. Inwieweit solche in der Darstellung rein virtuellen Angebote durch die Rechtssprechung den bestehenden Schranken unterworfen werden, ist nicht abzusehen. Doch selbst bei restriktivster Rechtssprechung dürften diese Angebote für spezielle Zielgruppen höchst attraktiv bleiben.

h) Fazit

Die Gesamtheit dieser Angebotsstruktur ermöglicht es dem immer kleiner, vermögender und aufmerksamkeitsärmer werdenden arbeitenden Bevölkerungsteil, in imaginären Unterhaltungs-Umwelten bedürfnisgerechte Unterhaltung zu erfahren – ohne dafür zwingend zu viel Aufmerksamkeit investieren zu müssen. Im Gegenzug wird durch diese Angebote ein Raum geschaffen, indem der wachsende arbeitslose Bevölkerungsteil sich nicht nur sinnvolle Lebensinhalte, sondern auch eine materielle Versorgung erspielen kann. Ein Teil der Bevölkerung erlebt Freizeit zum Teil stellvertretend, vor allem aber unterstützend für den anderen und finanziert so seine Existenz.

III. Wettbewerb und Geschäftsmodell

1) Wettbewerb

Das Produktkonzept der imaginären Unterhaltungs-Umwelten ist einmalig, Konkurrenz zu SRS existiert bisher nicht.

2) Profitmöglichkeiten

Eine fixe Abonnementgebühr wird sowohl von professionellen Spielern als auch von anderen Kunden verlangt. Allerdings ist sie bei Hardcore-Spielern nur in moderater Höhe sinnvoll, da sonst die kritische Spielermasse nicht schnell genug zu erreichen ist. Die kostenlose Abgabe der Spielsoftware ist nur in der Anfangsphase sinnvoll, später kann ein Preis in der Höhe heutiger Onlinerollenspieltitel von allen Kunden verlangt werden. Die anteilsmäßig größten Einnahmen werden durch die prozentuale Umsatzbeteiligung an den auf dem professionellen Markplatz der iUUs verkauften Waren, Charaktere und Dienstleistungen erzielt: Eine weitere lukrative Einnahmequelle sind Abonnementgebühren für Zusatzleistungen für nicht-professionelle Spieler. Beispielsweise: Permanente Videoüberwachung der gekauften oder gemieteten Spielcharaktere, Zusammenstellung der Ereignisse aus der Spielwelt zu audiovisuellen Berichten, Erhöhung der Berichtfrequenz über den mit der Grundgebühr abgegoltenen Basiswert hinaus.

VI. Marketing und Vertrieb

Beim Marketing muss zwischen dem Produkt imaginäre Unterhaltungs-Umwelt für die Zielgruppe der gut verdienenden aber aufmerksamkeitsarmen Arbeitnehmer und dem Produkt imaginäre Unterhaltungs-Umwelt für die Arbeitslosen unterschieden werden.

1) Zielgruppe der aufmerksamkeitsarmen Arbeitnehmer

Für die erste Zielgruppe lassen sich klassische Vermarktungsstrategien qualitativ und preislich hochwertiger Unterhaltungsprodukte anwenden. Form und Inhalt drückt stellvertretend dieser konservative Claim aus: „Ein Geschenk für den, der alles hat“. Nicht der Unterhaltungswert des Produkts sollte akzentuiert werden, denn es leistet ja weit mehr als das. Stattdessen sind zu betonen: Professionalität, Innovation, Qualität, ein wenig Exklusivität und Mysterium.

2) Zielgruppe der aufmerksamkeitsreichen Arbeitslosen

Schwerer ist die Strategie gegenüber der Zielgruppe der Arbeitslosen festzulegen. Ihr fehlt zunächst überhaupt das Bewusstsein, überhaupt eine Zielgruppe zu sein. Deshalb muss dieses Gefühl im ersten Schritt der Kampagne aufgebaut werden. Arbeits-, Nutz- und Sinnlosigkeit sind schwer kommunizierbar. Hier kann sich die Marketingstrategie an Kampagnen für Lifestyle-Medikamente orientieren. Denn auch hier wird ein unerwünschter, stigmatisierender Zustand kapitalisiert, so beispielsweise höchst erfolgreich beim Antidepressivum Prozac. Die Vermarktung muss in mehreren Stufen ablaufen. Als erstes wird Arbeitslosigkeit thematisiert. Scheinbar nicht zusammenhängende Ereignisse müssen zu einem wiedererkennbaren Phänomen kombiniert werden, zum Beispiel Antriebslosigkeit, Erkrankungen, Suizidgefahr, Kriminalität und Ähnliches. Im nächsten Schritt muss die soziale Unerwünschtheit dargestellt werden. Die nächsten drei Stufen des Marketings ermöglichen dann die Umdeutung des Stigmas in ein Lebensstil-Angebot. Diese folgenden Stufen der Epidemisierung, Operationalisierung und Pop-Kulturalisierung hat Franz Liebl exemplarisch in seinem Aufsatz „Depression und die Strategien ihrer Vermarktung“ durchgespielt. Sein Ergebnis gilt ebenso für die imaginären Unterhaltungs-Umwelten von „Senseful Recreation Services“ und die Zielgruppe der Arbeitslosen: „Vom ‚Point of No Return’ zum ‚Point of Sale’.

V. Chancen und Risiken

Risiko und Chance resultieren beide aus der Neuartigkeit des Produkts „imaginäre Unterhaltungs-Umwelt“. Diese muss schnell genug einer kritischen Masse von professionellen Spielern und an iUUs interessierten Arbeitnehmern vermittelt werden. Wächst eine der beiden Kundengruppen zu langsam, wird das Finanzierungskonzept nicht greifen können. Gelingt dies aber, wird die Umsatzrendite mindestens ebenso hoch wie bei den heute führenden Onlinerollenspielen sein, die absoluten Gewinne von SRS dürften die heutigen Angebote aber um ein Vielfaches übertreffen. Denn SRS wird mit seinen iUUs zur zentralen Schnittstelle zwischen Sinnproduktion und Zeitverteilung innerhalb der Gesellschaft werden.