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US-Forscher suchen Zeitreisende im Netz

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen
US-Forscher suchen Zeitreisende im Netz

Kaum eine Entdeckung dürfte die Menschheit mehr durcheinanderbringen als ein Beweis für Zeitreisen. Angesichts der Tragweite sollte man ruhig Spuren suchen, so unwahrscheinlich es auch sein mag. Zwei Physiker schlagen eine einfache Methode vor: Spurensuche im Netz.

Spiegel Online, 2.1.2014

In Zeitreise-Filmen wie “12 Monkeys” oder dem Piloten der neuen “Doctor Who”-Serie von 2005 sind die Menschen aus der Zukunft leicht auszumachen: Sie tauchen auf historischen Fotos auf, immer dasselbe Gesicht bei Aufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg, von Kennedys Ermordung oder anderen historischen Ereignissen. Solche Recherchemethoden sind angesichts des World Wide Web reichlich antiquiert. In einem Aufsatz schlagen zwei US-Physiker eine neue Methode zur Suche nach Zeitreisenden vor: Spurensuche im Web.

Die These des Physikprofessors Robert J. Nemiroff und seiner Doktorandin Teresa Wilson von der Michigan Technological University: Die enorme Fülle im Web archivierter expliziter (Twitter-Postings) und impliziter (Suchanfragen) Äußerungen ist der größte zugängliche Fundus zur Suche nach Spuren aus der Zukunft, den es je gegeben hat. Die Physiker schlagen vor, im Netz nach Inhalten zu suchen, die zu der Zeit, als sie veröffentlicht wurden, nicht bekannt sein dürften.

Die beiden Physiker haben diese Suchbegriffe genutzt:

  • “Comet ISON”: Der Komet wurde am 21. September 2012 entdeckt und dann benannt. Wenn jemand vor diesem Datum nach “Comet ISON” suchte oder über ihn schrieb, könnte das die Spur eines Zeitreisenden aus der Zukunft sein.
  • Am 16. März 2013 wurde Jorge Mario Bergoglio zu Papst Franziskus – Suchanfragen und Erwähnungen dieses Namens vor dem Stichtag sind verdächtig.

Die Forscher haben mit diesen Suchanfragen exemplarisch einige Recherchequellen ausprobiert, um Zeitreisende – oder zumindest die Probleme bei der Spurensuche zu finden. Zum Beispiel:

  • Mit Hilfe des Twitter-Archivsdienstes Topsy suchten sie nach dem Auftauchen des Hashtags #cometison und #popefrancis – ohne Ergebnis allerdings. Einen #popefrancis-Tweet fanden die beiden, der vor dem 16. März 2013 abgesetzt wurde, allerdings spekulierte in dem da beworbenen Blog-Eintrag nur jemand über die Namenswahl möglicher Papst-Kandidaten.
  • Google Trends ist nach den Erfahrungen der Forscher nicht verlässlich genug für die Spurensuche nach Zeitreisenden. Dieser kostenlose Dienst zeigt die Intensität bestimmter Suchanfragen im Zeitverlauf an. Allerdings verrät Google der Öffentlichkeit nicht alles, was der Konzern gespeichert hat. Selbst wenn Google für einen bestimmten Monat angibt, es habe keine Suchanfragen gegeben, kann es doch ein oder zwei gegeben haben. Google zeigt keine absoluten Werte an.
  • Auf Facebook und Google+ war eine historische Recherche unmöglich – die Unternehmen geizen mit dem Zugang zu ihren Daten.
  • Die Forscher untersuchten Suchanfragen bei der Nasa-Website mit den Astronomiefotos des Tages nach dem Begriff Ison. Tatsächlich fanden sie einige Anfragen nach Ison aus der Zeit vor dem 21. September 2012, allerdings ließen sich alle diese Anfragen bei der Nachrecherche durch Vertipper auf externen Webseiten erklären.

Auf den ersten Blick ist das Ergebnis der Studie banal: Es gibt in den ausgewerteten Quellen keine Hinweise auf Zeitreisende aus der Zukunft. Das kann viele Gründe haben (von dem einen mal abgesehen, das Zeitreisen unmöglich ist): Es könnte Zeitreisenden physikalisch unmöglich sein, Spuren in der Vergangenheit zu hinterlassen. Sie könnten sich gut tarnen, sie könnten nach anderen Dingen gesucht haben.

Konzerne kontrollieren die Datenschätze

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass eine der wichtigsten historischen Quellen unserer Gegenwart nur sehr eingeschränkt zugänglich ist und miserabel archiviert wird. Es ist besorgniserregend, dass es heute schon unmöglich ist, derartige historische Recherchen im Datenbestand von Facebook und Google zu starten.

Die Zeitreise-Untersuchung der Physiker hat ein brisantes Ergebnis: Wenn Forscher heute schon nicht in der Gesamtheit der Facebook-Posts und Google-Sachanfragen der vergangenen Jahre nach Spuren von Zeitreisenden suchen können, wie sollen dann Historiker in 20, 30, 40 Jahren diese Daten für Forschung nutzen? Für viele Forschungsfragen könnte Äußerungen im Netz eine ausgezeichnete Quelle sein: Wie haben Menschen außerhalb politischer Instutionen die NSA-Spähaffäre erlebt? Wie konstituierte sich damals im Netz Widerstand? Wie erlebten Bürger die griechische Staatskrise, wie formierten sich neue politische Gruppierungen?

Dass die Wissenschaftler nun ihre Recherchemethoden veröffentlicht haben, stellt Zeitreise-Forscher vor ein neues Paradoxon: Wenn nun öffentlich bekannt wird, wie man 2013 nach Zeitreisenden suchte, müsste diese Verfahren Menschen in der Zukunft bekannt sein. Würde ein Besucher in der Vergangenheit mit diesem Wissen wirklich #popefrancis twittern?

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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