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15 Jahre Newton: Wie Apple den iPhone-Opa beerdigte (Spiegel Online , 5.8.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

15 Jahre Newton

Wie Apple den iPhone-Opa beerdigte

Ein winziger Überall-Computer mit berührungsempfindlichen Bildschirm – klingt nach iPhone. Doch die Idee ist 15 Jahre alt. In Jahr 1993 präsentierte Apple stolz seinen PDA Newton. Das Gerät sollte die IT-Welt verändern, floppte aber nach üblen Technik-Pannen.

Spiegel Online , 5.8.2008

Tom Clancy war da, Tom Selleck auch – und ein paar Hundert
aufgeregte IT-Manager, Reporter und Apple-Mitarbeiter: Vor 15 Jahren
stellte Apple-Boss John Sculley in Boston den Urahnen des iPhones vor.
Er hielt auf der Bühne ein schwarzes Plastikkästchen in
Taschenkalendergröße über seinen Kopf und verkündete: "Newton ist
hier!" Das Zeitalter des PDA, des "persönlichen digitalen Assistenten",
hatte begonnnen. Zumindest stellte Apple sich das damals so vor.


Das Tamtam war enorm: Der Newton werde das "digitale Zeitalter
definieren", ließ sich Apple-Boss John Sculley damals zitieren. Fünf
Jahre lang habe man bei Apple am Newton gearbeitet, beteiligt waren
Star-Entwickler, die zuvor für Unternehmen wie Hewlett-Packard tätig
gewesen waren. Das Ergebnis, so Sculley: "eine Revolution für die
Jackentasche".

Der Überall-Computer war zu dick

Ein Problem dabei: Die Jackentasche, in die ein Original-Newton
passt, muss ziemlich geräumig sein. Denn Apples
Möchtegern-Überall-Computer Newton war ein echter Klops: fast 19
Zentimeter hoch und zwei Zentimeter dick, gut 11 Zentimeter breit und
400 Gramm schwer.

Das Gerät sollte immerhin 250 Adressbuch- und 500 Kalendereinträge
speichern, außerdem 200 Notizen. Das Beste: Was immer ein Newton-Nutzer
notieren will, schreibt er einfach wie auf einem Blatt Papier in ganz
normaler Handschrift auf den Newton, das Gerät erkennt die Handschrift
und digitalisiert die Notizen.

So hätte der Newton zumindest funktionieren sollen. Ein Reporter des
US-Magazins "Home Office Computing" berichtete allerdings damals von
der großen Newton-Show: "Ich konnte ein Vorführgerät erst nach fünf
Minuten dazu bringen, das Wort Apple zu erkennen."

Pannenstart: Der Newton versteht die Nutzer nicht

Die Macken bei der Schrifterkennung waren so gravierend und gemessen
am Vorab-Tamtam um das Gerät so peinlich, dass Apple für den Newton zu
Beginn vor allem Häme kassierte. Der Comicstrip-Zeichner Gary Trudeau
spottete zwei Wochen nach der Newton-Show in seinem in US-Zeitungen
millionenfach gedruckten Doonesbury-Strip
über die Spracherkennung des Geräts. Den Satz ""I am writing a test
sentence" interpretiert der Newton erst als "Siam fighting atomic
sentry", dann als "Ian is riding a taste sensation".

Mit den Schrifterkennungsmacken des Newton schaffte Apple es sogar
in eine Folge der Simpsons: Der Schulrüpel in der Comicserie lässt
seinen Lakaien "Schlag Martin zusammen (Beat up Martin)" als Aufgabe
notieren, der Newton legt das als "Iss Martha (Eat up Martha)" aus,
worauf der frustrierte Rüpel dem armen Martin das 400 Gramm schwere
Apple-Monster einfach an den Kopf wirft.

"Hochgeschwindigkeitszüge ohne Schienen"

Dieses Versagerimage wurde der vorab so gefeierte Newton nie los –
zu dick, zu dumm und dafür ziemlich teuer. Dabei besserte Apple nach,
ein gutes Jahr später erkannten die Newtons dank einer neuen Version
des Betriebssystems viel zuverlässiger Handschrift, aber auch
ausgeschriebene Druckbuchstaben.

Viel zu spät machte die neue Software aus dem Newton dann doch noch
einen beinahe brauchbaren Überall-Computer. Beinahe, weil die
wichtigste Voraussetzung für echte Mobilität damals noch fehlte. Wie
das US-Magazin "Home Office Computing"
schon 1994 in einem PDA-Test analysierte: "Die Menschen müssten mit
diesen Geräten überall Daten senden und empfangen können (Texte, Faxe,
vielleicht auch Audio- und Videodateien), Datenbanken aufrufen und
Online-Dienste nutzen können."

Die Redakteure erträumten sich da all das, was man dank gut
ausgebauter Mobilfunknetze heute mit jedem besseren Smartphone tun
kann. Vor 15 Jahre allerdings musste "Home Office Computing" aber
bilanzieren: "Leider ist das noch nicht möglich. PDAs sind
Hochgeschwindigkeitszüge ohne Schienen."

Apple war mit dem Newton zu früh dran

Teuer, klobig, klapprig – Apples erster Newton blieb erfolglos,
angeblich sollen nur 80.000 der Geräte verkauft worden sein. Die
Newtons wurden in den folgenden sechs Jahren zwar deutlich besser, die
Verkaufszahlen aber offenbar nicht. Im Februar 1998 ließ der damals als
Interim-Chef angetretene Steve Jobs die Produktion einstellen,
angeblich wurden 30.000 nicht ausgelieferte Geräte auf einer
Apple-Müllhalde entsorgt.

Der Newton war einfach zu
früh dran. Statt klobiger, teurer Überall-Rechner waren Mitte der
Neunziger eher günstige, einfache Digitalnotizbücher gefragt. Das
demonstrierte der Palm Pilot, der das PDA-Konzept in ein Massenprodukt
verwandelte. Der Grund für den Erfolg: Palm-Erfinder Jeff Hawkins
machte ein paar entscheidende Dinge anders als Apple. Hawkins hatte
durch Flops mit Tablet-PCs gelernt, dass diese Unterwegscomputer
schlicht zu groß und zu teuer waren. Sein Fazit: "Hemdentaschen-Größe".

Apple gibt 1998 auf

Bei der Entwicklung des Palm Pilot entwarf Hawkins folglich erst das
Gehäuse, legte die Größe und die Bedienelemente fest. Danach mussten
die Ingenieure die Technik anpassen. Hawkins trug wochenlang ein aus
Balsaholz geschnitztes Modell seines Wunsch-PDAs mit sich herum und tat
in Konferenzen so, als würde er Termine und Notizen eintragen – so
jedenfalls die von ihm immer wieder erzählte Legende.

Außerdem verpasste Hawkins dem Palm eine simplere, aber dafür
günstigere und zuverlässigere Eingabemethode, als Apples Newton sie
hatte: Statt die Handschrift der Besitzer zu lernen, wie es der Newton
zumindest theoretisch tat, verlangte der Palm Pilot den Nutzern ein
paar Standardschreibweisen ab. Das funktionierte so gut, dass Hawkins
Schrifterkennungsprogramm Graffiti als Zusatzprogramm für den Newton
recht gefragt war.

Als Apple 1998 die Newton-Produktion stoppte,
urteilte DER SPIEGEL,
jetzt mache Palm niemand "mehr den Rang des coolsten
Elektronik-Accessoires streitig. Marktführer waren die
PalmPilot-Modelle ohnehin schon."

Und ein paar Jahre später kam das iPhone.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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