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20 Jahre digitaler Mobilfunk: Zwei Kilo Handy für 3000 Mark (Spiegel Online, 30.6.2012)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

20 Jahre digitaler Mobilfunk

Zwei Kilo Handy für 3000 Mark

2,2 Kilo – so schwer waren “tragbare” Handys, als vor 20 Jahren der digitale Mobilfunk in Deutschland startete. Die Telefonate waren teuer, die Geräte klobig, und dennoch wurde das D-Netz zum Erfolg. Eine Antiquitätenschau von StarTac bis zum iPhone 2G.

Spiegel Online, 30.6.2012

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Der digitale Mobilfunk war ein Flop in Deutschland – zumindest in den ersten Monaten. Im Frühjahr 1991 warb die Telekom, Tochter der Deutschen Bundespost, mit ganzseitigen Anzeigen für ein Produkt namens “Telekom D1”. Der Werbetext erklärte: D steht für digitalen Mobilfunk, 1 für “den ersten der Welt”. Eigentlich sollte es in Deutschland Mitte 1991 losgehen, doch der Start musste verschoben werden .

Es gab keine amtlich zugelassenen Handys, mit denen man im neuen Netz hätte telefonieren können.

Wegen der Lieferprobleme der Handy-Hersteller (das waren damals Nokia, Orbitel, Motorola, Panasonic und Siemens) ging es ein Jahr später los als geplant. Vor 20 Jahren, am 1. Juli 1992 stellte die Telekom das D1-Netz in den Regelbetrieb um, Telekom-Chef Helmut Ricke klagte über 20 bis 30 Millionen Mark Verlust wegen der Verspätung. Das Konkurrenzangebot D2 hatte der damalige Betreiber Mannesmann Mobilfunk (heute Vodafone) schon Mitte Juni 1992 in den Normalbetrieb umgeschaltet – D2 hatte aus der Testphase beim Start schon 5000 Mobilfunkkunden im neuen Netz.

80 Mark Grundgebühr

Die Preise waren hoch: 79,80 D-Mark Grundgebühr im Monat verlangte die Bundespost. Das sind umgerechnet 40 Euro – die Inflation zwischen 1991 und 2012 ignoriert man allerdings bei dieser einfachen Umrechnung. Ein Anruf kostete beim Staatsunternehmen damals 1,68 D-Mark je Minute (zwischen 7 und 20 Uhr), nachts nur 0,52 D-Mark. Mannesmann D2 war nicht wesentlich günstiger.

Die Vorteile des Digitalfunks beschrieb eine Rezensentin damals im “Hamburger Abendblatt” so: “Wegen eines einheitlichen europäischen Mobilfunkstandards können zudem erstmals die Telefone auch jenseits der deutschen Grenzen genutzt werden. Dank einer verbesserten Technik schrumpfen die Geräte zudem auf Westentaschenformat.”

Die analogen C-Netz-Funktelefone waren erheblich größer, sie funktionierten nicht im Ausland und waren teuer, da die Technik exklusiv für die zu Spitzenzeiten gerade mal 300.000 Analog-Mobilfunker in Deutschland entwickelt werden musste. Billig waren die D-Netz-Telefone anfangs allerdings auch nicht. Das günstigste Nokia-Autotelefon zum Festeinbau, das als erstes D-Netz-Handy die Post-Zulassung bekam, kostete Mitte 1992 knapp 2900 D-Mark – (umgerechnet gut 1480 Euro, die Inflation einmal ignorierend).

Das tragbare Siemens-Handy wog 2,2 Kilo

Das tragbare Siemens-Handy P1 portable (2,2 Kilo leicht) kostete 3259 D-Mark (1666 Euro) – heute gib es Exemplare zu Liebhaberpreisen von 75 Dollar bei Ebay. Ein Motorola International 1000 gab es im Sonderangebot manchmal sogar schon für nur 1600 D-Mark (818 Euro). “Über kurz oder lang wird eine Auswahl von 23 Geräten am Markt angeboten werden”, prognostizierte Mitte 1992 das Fachmagazin “Funkschau”.

Die Anfangsprobleme des digitalen Mobilfunks waren bald vergessen. Anfang 1993 hatten die beiden D-Netze 203.000 Kunden in Deutschland, Ende 1993 waren es 969.000 – eine Vervierfachung binnen eines Jahres. Ende 2011 gab es in Deutschland 112 Millionen Mobilfunkverträge, schon seit 2006 gibt es in Deutschland mehr Handyverträge als Einwohner, laut den Statistiken der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) liegt Deutschland hier vor Japan und den Vereinigten Staaten.

So sehr die Technik sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten verändert hat, einige Sorgen sind erstaunlich gleich geblieben. Die “taz” skizzierte 1991 besorgt dieses Szenario für die Mobilfunkzukunft: “Der Leistungsdruck steigt, gleichzeitig wird das Ausweichen vor der Kommandostruktur im Betrieb durch ‘Nichterreichbarkeit’ um einiges schwieriger. Im privaten Bereich vergrößern sich die Möglichkeiten der sozialen Kontrolle.” Die Sätze könnten von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen stammen, sie hatte im Mitte Juni 2012 klare Regeln zum Umgang mit Smartphones, Handys und Computern gefordert. Es müsse festgelegt werden, zu welchen Uhrzeiten ein Mitarbeiter erreichbar sein müsse und wann er dafür einen Ruheausgleich bekomme.

An E-Mail (oder gar ans Web!) dachte 1991 kaum jemand, wenn die Rede von Mobilfunk war. Die “taz” stellte sich den Handy-Terror 1991 so vor: “Die Lastwagenflotten von Speditionen lassen sich per Mobilfunk dirigieren, schriftliche Aufträge werden per drahtlosem Fax direkt ins Brummi-Führerhaus geschickt.”

15 Jahre später kam das erste iPhone in den Handel und machte das Web mobil.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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