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20 Jahre Sonic: Der schnellste Igel der Welt (Spiegel Online, 28.6.2011)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

20 Jahre Sonic

Der schnellste Igel der Welt

Sonic, neben Super Mario der wohl bekannteste Videospielheld der Welt, wird 20. Er hat Sega gerettet, war einmal berühmter als Mickey Mouse und rennt immer noch schneller als der Schall. Nur seine blonde Freundin haben ihm die Sega-Manager gestrichen – aus Angst vor prüden US-Kunden.

Spiegel Online, 28.6.2011

{jumi [*3]}

Ein blauer Igel, der so schnell rennt, dass er sogar Schallwellen überholen kann – das ist schon mal ein guter Anfang für eine Kultfigur. Als der Spielehersteller Sega am 23. Juni 1991 seinen Igel Sonic in Europa und den Vereinigten Staaten ins Rennen gegen Nintendos Videospielhelden Super Mario schickte, standen die Erfolgschancen dennoch nicht besonders gut.

Damals, vor 20 Jahren, hatte Nintendos Spielkonsole NES einen Marktanteil von fast 90 Prozent weltweit. In den Vereinigten Staaten soll in jedem vierten Haushalt ein NES gestanden haben. Der knuffige KlempnerMario war damals ein Superstar. Das war die Übermacht, gegen die Sega mit einem Überschall-Igel antrat.

Entstanden ist die Figur bei einem Ideenwettbewerb unter Sega-Mitarbeitern. Ein Maskottchen suchte die Firma, einen Star, der es mit Mario aufnehmen und nebenbei Segas schnelle Konsole Mega Drive (in den Vereinigten Staaten Genesis genannt) aufnehmen konnte. Fast 200 Zeichnungen möglicher Sega-Helden kamen bei dem Wettbewerb rum, erzählt Sega-Manager Shinobu Toyoda in einer sehenswerten Dokumentation des Spieleportals Gametap (der erste Teil ist unten als Video eingebunden). Unter den Skizzen möglicher Sega-Stars waren einige Bären, viele Hasen – und ein Igel.

Schneller Igel gegen den lahmen Klempner

Gezeichnet hatte ihn Naoto Oshima. Der Spieledesigner erzählt in dem Videointerview, wie Sonic zu seinen roten Schnallenschuhen kam: “Michael Jacksons Album Bad war da vor kurzem erschienen. Und seine Schuhe auf dem Cover hatten Schnallen. Ich fand das cool. Aber die waren schwarz und das ist keine gute Farbe. Also dachte ich an die berühmteste fiktionale Figur der Welt – den Weihnachtsmann. Und ich klaute seine Farbe für Sonics Michael-Jackson-Schuhe.” Blau ist Sonic, weil das die Sega-Hausfarbe ist.

Der Igel gewann den Ideenwettbewerb, ein Team um den Programmierer Yuji Naka sollte das erste Spiel entwickeln. Naka wollte ein schnelles Spiel entwickeln. Im Videointerview beschreibt er das rückblickend, in dem er mit seinen Händen eine Distanz zeigt und sagt: “Super Mario braucht von hier nach dort 30 Sekunden. Ich wollte ein Spiel machen, in dem es zehn Sekunden dauert. Es sollte ein schnelleres Spiel werden, das einem das Gefühl gibt, mehr zu erreichen.”

Der rasende Igel passte den Sega-Managern gut ins Programm: Sie wollten die Sega-Konsole als das schnellere, modernere System im Vergleich zu Nintendos langsamer Hardware herausstellen. Sonic sollte schnell sein, das erklärt wohl, warum im ersten Spiel schon am Anfang bisweilen Bodenplatten wegbrechen, wenn Sonic darüber läuft. Die Spieler sollen sich beeilen. Schon sehr früh im ersten Sonic-Spiel muss der Igel auch in eine Röhre hüpfen, durch die er dann zur Kugel zusammengerollt mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit ein paar Bildschirme weiter schießt – eine anschauliche Demonstration überlegener Grafik im Jahr 1991.

In den Vereinigten Staaten vermarktete Sega den Igel als cooles Gegenstück zum lahmen Klempner Mario: In Fernsehspots lobten alte Damen mit fiesen Brillen den adretten Mario, der es nicht so eilig habe wie dieser impertinente Igel Sonic.

Segas US-Tochter streicht Sonics blonde Freundin

Diese direkten Angriffe auf die Konkurrenz waren für ein japanisches Unternehmen sehr ungewöhnlich – durchgesetzt hatte sie Segas damaliger US-Chef Tom Kalinske. Überhaupt hatte die US-Tochter sehr viel Einfluss auf Sonics Auftreten. In der Gametap-Videodokumentation erzählt Sega-Produktmanagerin Madeline Schroeder, wie sie damals die ersten Sonic-Entwürfe entschärfte. Ursprünglich sollte der Igel Fangzähne haben, Sänger einer Rockband sein und mit einer blonden, leicht bekleideten Freundin namens Madonna liiert sein, die ihm immer nachlaufen sollte. “Der wahr gewordene Traum vieler Männer”, lacht Designer Oshima. Die US-Mitarbeiter strichen all das heraus. “Ich hasste die Amerikaner dafür”, sagt Programmierer Naka, aber er gibt zu, dass die Veränderung am Ende dann doch zum unglaublichen Erfolg Sonics beigetragen haben dürften.

Ein Jahr nach Veröffentlichung des ersten Spiels erkannten bei Befragungen durch Markforscher mehr Kinder Sonic auf Zeichnungen wieder als Mickey Mouse. Bis heute hat Sega nach eigenen Angaben 65 Sonic-Spiele veröffentlich und insgesamt mehr als 70 Millionen Kopien verkauft. Der Igel spielte in drei Zeichentrickserien mit, tauchte in einer Folge der “Simpsons” auf, McDonalds soll 50 Millionen Happy-Meals mit Sonic-Figuren verkauft haben.

Sega gab die Produktion eigener Konsolen 2001 auf, seitdem konzentriert sich die Firma aufs Software-Geschäft. So kommt es, dass man heute Sonic-Spiele auf allen Konsolen und dem iPhone spielen kann. 2007 tauchte Sonic sogar in einem Spiel mit dem Erzrivalen Mario auf – exklusiv auf Nintendos Konsolen. Sonics Väter arbeiten allerdings nicht mehr bei dem Unternehmen: Designer Naoto Oshima leitet ein Studio der Firma AQ Interactive, Yuji Naka hat ein eigenes Studio, das für Sega produziert. Und Level-Designer Hirokazu Yasuhara arbeitetet inzwischen für die Spielefirma Namco-Bandai.

Sonic hingegen rennt immer noch für Sega, Ende des Jahres soll ein neues Sonic-Spiel erscheinen. Der Igel ist heute immer noch 15 Jahre alt – und er kann nach wie vor nicht schwimmen.

 

 

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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