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25 Jahre Seitwärts-Smiley: Ich bin :-) (Spiegel Online, 6.8.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

25 Jahre Seitwärts-Smiley

Ich bin :-)

Zurück zum Papier: Mehrere Zehntausend Wahlmaschinen in Kalifornien dürfen nicht mehr verwendet werden. Wahlleiterin Debra Bowen hat den Geräten aller Hersteller die Zulassung entzogen. Grund: Experten hatten bei einer Sicherheitsprüfung erhebliche Risiken ausgemacht.

Spiegel Online, 6.8.2007

Scott Fahlman forscht seit knapp 30 Jahren an der Carnegie Mellon Universität: künstliche Intelligenz, neuronale Netze, Spracherkennung. Doch weltweit bekannt ist der 59-jährige Informatiker für drei simple Zeichen, die er 1982 in ein paar Minuten zum ersten Seitwärts-Smiley kombinierte. Den :-) schlug er eines Mittags als Lach-Symbol vor, am Ende einer tagelangen Debatte über Humor und Physik-Experimente zwischen Informatikern in einem Onlineforum seiner Universität.

Es begann mit ein paar Informatikern, die sich über Physik-Experimente lustig machten. Einer phantasierte über diese absurde Versuchsanordnung: Eine Kerze brennt an einem Wandhalter in einem Fahrstuhl, ein Tropfen Quecksilber liegt auf dem Boden. Die Frage: "Das Fahrstuhl-Kabel reißt – was passiert mit dem Quecksilber?"

Die Informatiker witzelten weiter. Das Experiment habe wohl tatsächlich ein Physiker gemacht, der linke Fahrstuhl in ihrem Gebäudetrakt sei "mit Quecksilber verseucht", es gebe auch "leichte Brandschäden". Ein Witz. Doch den verstand nicht jeder damals, 1982. "Hier handelt es sich nicht um ein tatsächliches Problem", stellte ein Informatiker knochentrocken fest und mahnte, viele Leute hätten das ernst genommen.

Informatiker diskutieren über Humor

Und dann begann eine sehr profunde, sorgfältig argumentierte, extrem engagiert geführte und heute unglaublich komisch zu lesende Debatte über das richtige Symbol für Humor im Netz, wo man damals nur Text zur Verfügung hatte, um sich auszudrücken. Zwei Tage lang diskutierten die Wissenschaftler (siehe Kasten).

SO WOLLTEN INFORMATIKER COMPUTER DAS LACHEN LEHREN

Das Sternchen*
Die erste Anregung ist sehr pragmatisch. Neil Swartz – heute Programmierer in Chicago – schlägt vor: "Vielleicht sollten wir uns als Regel auferlegen, dass ein Sternchen (*) in die Betreffzeile jeder Nachricht übernommen wird, die als Witz verstanden werden soll.

Gute (*) und schlechte (%) Witze
Anthony Stentz – heute Professor am Robotik-Institut der Carnegie Mellon entwickelt das Witz-Zeichen-System weiter. Seine – möglicherweise nicht ganz ernstgemeinte Idee: Das Sternchen für gute, das Prozentzeichen für schlechte Witze. Und das Beste: "Wir könnten sogar das *% für Witze benutzen, die so schlecht sind, dass sie lustig sind"

Der dicke Mann &
Keith Wright begründet seinen Vorschlag ausführlicher: "Sicher wird jedermann zustimmen, dass das & das witzigste Zeichen auf der Tastatur ist. Es sieht lustig aus (wie ein dicker Mann, der sich vor Lachen windet). 

Die grinsende Raute #
Leonard Hamey, heute Forscher an der australischen Macquarie University, argumentiert zum ersten Mal mit der Ähnlichkeit eines Zeichen zu einem Gesichtsausdruck: Die Raute sehe doch aus wie Zähne zwischen grinsenden Lippen. Das habe seine "detaillierte (also kürzer als eine Minute) Untersuchung der ästhetischen und piktographischen Wirkungen aller ASCII-Schriftzeichen" ergeben. 

Nach etlichen Vorschlägen (vom Sternchen bis zum Und-Zeichen) stellte Scott Fahlman am 19. September lakonisch fest: "Ich schlage die folgende Zeichen-Sequenz als Witz-Symbol vor: ":-)". Lest es seitwärts. Und dann ein kleiner Seitenhieb auf die Humordebatte: "Es wäre angesichts des aktuellen Trends vielleicht ökonomischer, ernstgemeinte Beiträge zu markieren."

Fahlmans Vorschlag war so bestechend, dass er sich nicht nur an der Carnegie Mellon Universität durchsetzte. Einige US-Forschungsinstitute waren damals schon über das Arpanet vernetzt. So kam Fahlmans Seitwärts-Smiley an das Xerox-Forschungszentrum PARC in Kalifornien. James Morris – heute wie Fahlmann Informatik-Professor an der Carnegie Mellon Universität, schickte eine Nachricht an die Kollegen dort. Betreffzeile: "Kommunikations-Durchbruch".

Die Inflation der Grinse-Zeichen

Morris erklärte das Funktionsprinzip ausführlich: "Wenn man den Kopf seitwärts dreht, sieht man ein lachendes Gesicht." Und er begann schon, neue, auch Quatsch-Smileys zu erfinden. (:-) zum Beispiel, für "Nachrichten, die sich mit Fahrradhelmen beschäftigen."

Mit diesem Fahrradhelm-Smiley begann die Inflation der Seitwärts-Gesichter. Schon bald entwickelten sich die Seitwärts-Smileys von einem Symbol für den Kontext einer Nachricht, einem Behelfs-Ersatz für die damals in der Online-Kommunikation nicht vorhandene Mimik zum Spielzeug.

Emoticons für Abraham Lincoln (=|:)=), Fledermäuse (^^°-°^^) und Raucher (:-Q) entstanden. Scott Fahlman hat da nie mitgemacht, sagt er SPIEGEL ONLINE: "Die komplizierten Text-Smileys habe ich nicht gesammelt. Aber schön, dass das zu einem so unterhaltsamen Hobby für manche Menschen geworden ist."

Japan grinst anders

Die Symbole werden heute weltweit verstanden und benutzt. In Japan allerdings gibt es ein konkurrierendes Zeichensystem. Ein Lächeln sieht dort so aus: (^_^). Die wesentlichen Unterschiede der japanischen Emoticons: Sie müssen nicht seitwärts gelesen werden und sie drücken den Gefühlszustand stärker über die Augen aus. Die werden häufiger variiert.

Trauer sieht zum Beispiel so aus: ó_ò. Gleicher Mund – andere Augen. Der Psychologe Masaki Yuki von der Hokkaido University hat die Gründe für diese Abweichung untersucht. Bei Experimenten legte er amerikanischen und japanischen Studenten Fotos und Emoticons vor, bei denen Mund oder Augen variiert wurden. Seine Ergebnisse: Japaner versuchen die Stimmung einer Person eher an den Augen zu entschlüsseln, Amerikaner an der Mundpartie.

Die Invasion der gelb blinkenden Grinse-Monster

Heute sind die Emoticons allgegenwärtig. In jedem Chat-Programm tauchen sie als meist animierte Minigrafiken auf – da gibt es Hundeaugen, Flaggen, Yin-Yang-Symbole. Langsam stirbt der textbasierte Seitwärts-Smiley aus – Programme wie Microsoft Word wandeln sie sogar automatisch in Grinse-Grafiken um.

Fahlman kann die meist gelben, blinkenden Monster-Grinser der Chat-Programme nicht ausstehen: "Ich hasse diese animierten Grafiken, die manche Firmen hundertfach ausspucken. Das macht doch den ganzen Spaß kaputt." Er sieht sie aber nicht zu oft. Der Informatiker chattet nicht: " Ich ziehe E-Mails vor, da kann man darüber nachdenken, was man schreibt. Außerdem tippe ich nicht schnell genug."

Aber die gelb-blinkenden Monster-Smileys der Chat-Programme sind auch nicht für Informatiker gedacht. Sie sollen den Massengeschmack treffen, schließlich ist das Web vom elitären Medium zu einem der Massen geworden. Und blinkende Grinse-Grafiken scheinen besser anzukommen als reine Text-Symbole.

Der Internet-Konzern Yahoo (bietet knapp 100 Emoticons in seinem Chat-Programm) rühmt sich, dass mehr als die Hälfte seiner Kunden in einer Umfrage angegeben haben, täglich solche animierten Emoticons nutzen. Fahlman selbst beschränkt sich in E-Mails nur auf die beiden Zeichenfolgen, die er vor 25 Jahren erfunden hat. "Ein paarmal am Tag tippe ich ein :-) oder ein :-(."

Etwas länger haben Fahlmanns klassische Seitwärts-Grinser in Handy-Kurznachrichten überlebt. Inzwischen machen zwar immer mehr Telefone aus den Zeichenfolgen animierte Symbole – doch längst nicht alle. Und so sieht man heute noch in vielen Nachrichten einen Doppelpunkt und eine geschlossene Klammer lachen. Nur Informatik-Professor Scott Fahlman nicht. Denn er benutzt Mobiltelefone nicht: "Ich schreibe und lese lieber an einem Computer mit einem großen Bildschirm und einer ordentlichen Tastatur." ;-)

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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