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30 Jahre Barcode: Diese 13 Ziffern ordnen die Welt (Spiegel Online, 4.7.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

30 Jahre Barcode

Diese 13 Ziffern ordnen die Welt

Cola, Kekse, Käse: Fast jedes Produkt in Deutschland trägt seinen eigenen schwarz-weißen Strichcode. Der lässt sich blitzschnell an Supermarkt-Kassen scannen und spart Händlern enorme Verwaltungskosten. Die Idee gab es schon 1948 – nur hat das damals niemanden interessiert.

Spiegel Online, 4.7.2007

Eine Apfelschorle und ein Kugelschreiber – das sieht ein Kassierer. Eine Scannerkasse erkennt jedoch an den kleinen schwarzen Balken auf weißem Grund, die irgendwo auf der Verpackung prangen, den aktuellen Preis, die Artikelbezeichnung, den Mehrwertsteuersatz. Den ersten dieser Strichcodes druckte vor 30 Jahren, am 1. Juli 1977 die inzwischen zerschlagene Firma Wichartz aus Wuppertal auf eine ihrer Gewürzmischungen.

Heute tragen in Deutschland 98 Prozent der Lebensmittel und rund 80 Prozent aller anderen Artikel eine so codierte Nummern. Die Streifen sind ein von Scannern lesbarer Ausdruck der 8- oder 13-Stelligen "European Article Number" (EAN). Diese Nummern vereinfachen die Logistik für Hersteller und Händler. Und manchmal verraten sie Kunden auch überraschende Details: Eine Recherche in der kostenlosen EAN-Datenbank verrät: Die Nummer der von "Coca-Cola Deutschland" verkauften Apfelschorle haben niederländische Lebensmittel-Produzenten, die Gebrüder Van Der Ende aus Maasdijk, gekauft. Und der Kugelschreiber ist wohl sogar aus Paris angereist, aus der Rue Christophe Colomb.

as Herkunftsland einer EAN kann man auch ohne Datenbank erkennen: Codes, die mit Zahlen zwischen 400 und 440 beginnen, stammen aus Deutschland, 871 steht für Holland, 350 für Frankreich und 789 für Brasilien. Weltweit nutzen gut eine Million Unternehmen das System. Die Nummernblöcke werden weltweit von 120 nationalen Standardisierungs-Organisationen verteilt. In Deutschland ist die Kölner Firma GS1 zuständig. 130.000 deutsche Unternehmen bezahlen ihr je nach Umsatz 100 bis 15.000 Euro jährlich für einen weltweit einmaligen und gültigen Nummernblock. Daraus können Sie selbst bis zu 100.000 EAN-Zahlen für ihre Waren ziehen.

Schwieriger Start

Es hat lange gedauert, bis nicht nur die Erfinder, sondern auch Händler und Hersteller sich für die Idee begeisterten, jedem Produkt eine einmalige, maschinenlesbare Nummer zu verpassen. Den Strichcode hatten schon 1948 die amerikanischen Ingenieurs-Studenten Norman Joseph Woodland und Bernard Silver erfunden. Sie hatten den laut geäußerten Wunsch eines Supermarktchefs aufgeschnappt, beim Kassieren automatisch festzuhalten, welche Waren da eigentlich verkauft werden.

Zuerst dachten die beiden Studenten an ein gedrucktes Morse-Alphabet. Und dann hatte Woodland die Idee: Dicke Striche und dünne Striche als visuelles Gegenstück für die langen und kurzen Morse-Töne. Solche Strichfolgen müsste ein visuelles Lesegerät auch auf einige Entfernung erkennen können. Nach diesem Prinzip funktionieren die Strichcodes und Scanner heute noch. Im Oktober 1949 beantragten Woodland und Silver ein Patent, drei Jahre später war ihre Idee geschützt.

Nur umsetzen und nutzen wollte niemand diese Technik. US-Eisenbahn-Gesellschaften experimentierten mit Strichcodes zum Kennzeichen von Wagons. Erste Beschrifter und Lesegeräte wurden schon 1967 aufgestellt. Doch auch zehn Jahre später funktionierte das System immer noch nicht zuverlässig.

Es begann 1973 mit Kaugummi…

Während die Bahn sich mit diesen Scanner-Prototypen abmühte, debattierten US-Supermarktketten lange über die Einführung von Strichcodes. Manche experimentierten mit eigenen Systemen. Aber der Aufwand war zu hoch: Da ein industrieweiter Standard fehlte, druckten Hersteller keine Codes auf ihre Waren, jeder Supermarkt hätte die eintreffenden Produkte selbst beschriften müssen – ein viel zu großer Aufwand.

Erst 1973 einigten sich in den Vereinigten Staaten Händler und Hersteller auf einen Standard – den vom Ingenieur George Laurer für IBM entworfenen "Universal Product Code" (UPC). Am 26. Juni 1974 scannte dann ein Kassierer das erste Produkt mit diesem Strichcode an einer Supermarktkasse in Ohio ein – es war eine Zehner-Packung Fruchtkaugummi.

…und ging 1977 mit Gewürzen weiter

Auch in Europa arbeiteten in den siebziger Jahren Händler und Hersteller an einem System für einheitliche Produktnummern. Allerdings blieben die ersten Versuche immer nur Projekte, zum Beispiel bei der Schweizer Migros-Kette 1968.

Erst 1976 einigten sich nach langen Verhandlungen Branchenvertreter aus zwölf europäischen Staaten auf ein einheitliches Zahlen-System, die spätere EAN. In Deutschland vergab die Vorgänger-Firma der GS1 1976 die ersten Zahlenblöcke und am 1. Juli erschien das erste Lebensmittel-Produkt mit Barcode – die Wichartz-Gewürzmischung.

Siegeszug im Kriechgang

An den Supermarktkassen merkte man von dieser Innovation aber lange Zeit kaum etwas. Die erste Scannerkasse stand im Oktober 1977 in einem Supermarkt in Augsburg. 1979 waren gerade mal neun Scannerkassen im Einsatz, aber schon 15.000 Produkte EAN-codiert. Und fünf Jahre nach Einführung des Strichcodes in Deutschland, im Juni 1982 standen in 66 deutschen Supermärkten insgesamt 535 Scannerkassen.

Durchgesetzt hat sich die Scanner- und Strichcode-Technik erst in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre. Laut der Standardisierungs-Firma GS1 trugen ab 1984 fast alle in Deutschland verkauften Lebensmittel einen Strichcode. Und Ende der achtziger Jahre waren Scannerkassen angeblich flächendeckend installiert.

Eine wichtige Ausnahme: Aldi-Süd führte Scanner-Kassen erst im Jahr 2000, Aldi-Nord sogar erst 2003 ein. Bis dahin hatten die Supermarkt-Ketten ihre Kassiererinnen tippen lassen – und sonst mit einem eigenen Produktnummern-System gearbeitet.

Der Nachfolger funkt

2003, als Aldi sich für Scannerkassen entschied, war schon längst der Nachfolger dieser Technik in Arbeit: Um den 2005 verabschiedeten Elektronischen Produktcode (EPC) auszulesen, braucht man keine Scannerkassen mehr. Theoretisch muss man nur den Einkaufswagen an einem Lesegerät vorbeischieben. Denn die EPC-Nummer werden per Funk übertragen – ohne dass eine Berührung oder Sichtkontakt nötig sind.

Heute nutzen gerade mal 83 deutsche Unternehmen diesen Standard. Wenn er sich ähnlich langsam durchsetzt wie sein Vorgänger, hat der Strichcode noch mindestens bis 2017 zu leben. Und bei Aldi wohl noch ein Jahrzehnt länger.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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