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40 Jahre Bargeld-Spender: Als Geldautomaten noch Öffnungszeiten hatten (Spiegel Online, 2.7.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

40 Jahre Bargeld-Spender

Als Geldautomaten noch Öffnungszeiten hatten

Karte rein, Cash raus: Was heute Alltag ist, begann vor genau 40 Jahren mit radioaktiven Schecks, die man in komplexe Automaten schob. Nur bürokratische Skurrilitäten bremsten danach in Deutschland den Siegeszug der Bargeld-Spender.

Spiegel Online, 2.7.2007

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England, Frühling 1965, ein Samstagmorgen auf dem Land. John Shepherd-Barron, Manager einer Firma, die Banknoten-Zählanlagen herstellt, will einen Scheck gegen etwas Bargeld fürs Wochenende einlösen. Um 12.30 Uhr schließt die Zweigstelle seiner Bank. Eine Minute später kommt Shepherd-Barron an.

Er steht vor der verschlossenen Tür. Kein Geld.

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Abends in der Badewanne grübelt er: Am Bahnhof geben Automaten Schokoriegel aus, wenn man die richtigen Münzen einwirft. Warum sollte eine Maschine nicht Schecks schlucken und Bargeld ausspucken?

Diese Anekdote seines Heureka-Moments erzählte John Shepherd-Barron, inzwischen 82, im Februar vor der versammelten Geldautomaten-Industrie in Florida. Auf deren Konferenz war er Ehrengast, denn er ist einer der Väter dieser Maschine – die übrigen finden Sie hier:

  • George Simjian: Der in die USA eingewanderte Armenier konstruiert 1939 den Prototypen eines Geldausgabeautomaten. Das Gerät ist sechs Monate lang im Testbetrieb, in einer New Yorker Filiale der “City Bank of New York”. Die Bank übernimmt die Maschine aber nicht. Begründung: Zu wenig Nachfrage.
  • James Goodfellow: Der schottische Ingenieur arbeitet bei der Elektronik-Firma Kelvin Hughes. Mitte der sechziger Jahre erteilt die britische Midland Bank dem Unternehmen den Auftrag, einen Geldausgabeautomaten zu entwickeln. Die Prototypen werden nicht eingesetzt, allerdings meldet Goodfellows Firma 1966 einige Patente an, die auf seine Entwicklungsarbeit zurückgehen. Goodfellows Konzept sah eine Identifizierung des Kunden per Geheimzahl vor. Die sollte der Geldautomat mit einem Code auf der Kundenkarte des Eintippers vergleichen. Anders als Shepherd-Barrons Automat sollte Goodfellows Gerät nicht für jede Banknote einen Scheck oder derlei schlucken.
  • Don Wetzel: An einem Geldautomaten bastelt von Mitte der sechziger Jahre an auch Donald Wetzel, Mitarbeiter der US-Firma Docutel. Von 1968 an hat er ein Ingenieursteam und 5 Millionen Dollar Entwicklungsbudget. Der erste Prototyp ist 1969 fertig, die ersten regulären Automaten sind von 1971 an im Einsatz. Das Gerät steht in einer Filiale der New York Chemical Bank. Der Automat spuckt nicht nur Bargeld aus: Kunden können ihren Kontostand prüfen und Geld vom Sparkonto auf das Girokonto umschichten.

Den ersten Automaten stellte dann vor 40 Jahren die Barclays-Bank in der Kleinstadt Enfield nördlich von London auf, am 27. Juni 1967. Heute hat er weltweit 1,65 Millionen Nachfahren, hat das Marktforschungsunternehmen Global Industry Analysts ermittelt. In Großbritannien stehen rund 60.000 Geräte, in Spanien 58.000, in Deutschland 53.000 – dritter Platz in Europa laut Retail Banking Research.

Mit Shepherd-Barrons Idee haben diese Geräte nur noch wenig gemein. Der Brite hatte wirklich so etwas wie den Schokoriegel-Automaten für Bargeld geschaffen. Bei dem vor 40 Jahren aufgestellten Gerät gab es keine Computeranbindung, keine Karte mit Magnetstreifen. Der Automat prüfte einen Scheck, behielt ihn ein, entwertete ihn. Der Kunde bekam den Gegenwert in Bargeld. Höchstens zehn britische Pfund allerdings. “Aber das war damals mehr als genug für ein wildes Wochenende”, sagte Shepherd-Barron der BBC.

Strahlende Schecks

Die Schecks waren mit dem schwach radioaktiven Kohlenstoff-Isotop 14C behandelt, um Informationen zu speichern. Laut Shepherd-Barrons indentifizierten sich die Scheckbesitzer mit einer vierstelligen persönlichen Geheimzahl. Anders als heute konnten Bankkunden 1967 nur so viel Geld abheben, wie sie als Gegenwert in den speziellen Schecks besaßen, und auch das nur bei einer einzige Filiale. Dafür bekamen sie die Scheine aber zu jeder Zeit und ohne Kontakt zu einem Kassierer.

Diese zwei Vorzüge reichten, um Shepherd-Barrons Gerät zum Exportschlager zu machen. 1968 installierte die Schweizer Nationalbank ein verwandtes Gerät, 1969 die Pennsylvania Bank. Die US-Firma Diebold arbeitete in einer Gemeinschaftsfirma mit Shepherd-Barrons Arbeitgeber De La Rue an Geldautomaten für den US-Markt. Ähnliche Kooperationen begann De La Rue Ende der sechziger Jahre in Japan mit Firmen wie Fujitsu und Hitachi.

Das deutsche Geldausgabe-Bürokrat

Deutschland hatte 1968 auch schon einen Geldautomaten – allerdings gingen die Hersteller einen Sonderweg. Der Kunde konnte höchstens 400 Mark abheben, für jeden 100-Mark-Schein brauchte er eine Lochkarte und außerdem einen eigenen Schlüssel für den Tresor. Der am 28. Mai bei der Kreissparkasse Tübingen installierte Automat bediente nur 1000 registrierte Kunden. Das aber rund um die Uhr. Die Hersteller dieses Geldausgabe-Monsters, Telefunken und Ostertag, gibt es heute nicht mehr.

Die Geldautomaten der ersten Generation hatten alle dasselbe Problem: Sie waren zu umständlich, nur beschränkt einsetzbar und für die Banken trotzdem zu unsicher. Denn es gab kein tragbares Speichermedium für die Geheimzahl, mit der sich die Kunden sicher identifizieren konnten. Und selbst wenn das möglich gewesen wäre: Die damaligen Automaten waren nicht sonderlich intelligent. Es fehlte die Verbindung zu einem Zentralcomputer, um zum Beispiel Informationen abzugleichen. Jeder Geldautomat war eine Insel.

Ein Automat mit Öffnungszeiten

Das änderte sich in den siebziger Jahren. In den USA gaben immer mehr Banken ihren Kunden Magnetstreifenkarten. Sie schlossen die Geldausgabe-Geräte an ein Netzwerk an, bildeten mit anderen Banken Verbünde.

Nach Deutschland kam 1978 einer der ersten Automaten dieser neuen Generation: Die Kreissparkasse Köln stellte am Neumarkt ein Gerät der Paderborner Firma Nixdorf auf (die heute als Wincor-Nixdorf einer der großen Anbieter von Geldautomaten ist). Der Kölner Nixdorf-Automat hing am Banknetz, Kunden konnten mit Karte und Pin nicht nur Geld abheben, sondern auch Kontoauszüge drucken. Beides dauerte 35 Sekunden.

Der Haken: Der Automat stand in der Filiale – und war nur während der kurzen Bank-Öffnungszeiten zugänglich.

Wincor Nixdorf sagt inzwischen offen, dass das nicht besonders schlau war: “Den Kunden erschloss sich die Nutzung deshalb nur zögernd”, stand selbstkritisch in einer Pressemitteilung zum 25. Jahrestag 2003. Außerdem konnten auch dieses Gerät nur Kunden der Sparkasse selbst nutzen.

Erst in den achtziger Jahren gab es in Deutschland bankübergreifende Geldautomaten-Netze – und Geräte, die außerhalb der Öffnungszeiten zu Diensten standen. Der Automatenboom erreichte damals West-Deutschland. Und ganz langsam auch den Osten: In der DDR wurden Mitte der achtziger Jahre Geldkarten eingeführt.

Windows XP als Standardsystem

Heute nutzen Geldausgabeautomaten zum großen Teil dieselbe Technik wie Heimcomputer. Über eine gesicherte TCP/IP-Verbindung (Internet-Standardprotokoll) sprechen sie mit dem Bankennetz. Als Betriebssystem dominiert Windows: Eine Version des Microsoft-Programms hat das Kommando in zwei Dritteln aller 342.495 Geldautomaten in 18 westeuropäischen Staaten; das zeigt eine Studie der britischen Marktforschungs-Firma Retail Banking Research. Der Marktanteil von Windows XP hat sich seit Juni 2006 sogar auf 30 Prozent verdoppelt-

Gelegentlich, wenn das System abstürzt, kann der Kunde in der Bank sogar Windows-Fenster auf dem Monitor sehen. Nur Geld abheben kann er dann nicht mehr.

Wie damals, im Frühling 1965.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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