50 Jahre Computerspiel: Mr. Higinbothams heiteres Maschinentennis (Spiegel Online, 28.10.2008)
50 Jahre Computerspiel
Mr. Higinbothams heiteres Maschinentennis
Zwei Striche und ein verschmierter grüner Punkt – so sahen die Anfänge des Computerspiels aus. Der Physiker William Higinbotham hatte 1958 einen Tennisautomaten für die Besucher des Forschungszentrums Brookhaven gebastelt. Nur patentieren ließ er die Milliarden-Dollar-Idee nicht.
Spiegel Online, 28.10.2008
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Der Bildschirm war gerade mal so groß wie eine CD, die Grafik
bestand aus grün leuchtenden Strichen auf schwarzem Grund – Videospiele
stellt man sich heute anders vor. Doch vor einem halben Jahrhundert war
der schwarzgrüne Monitor die Attraktion im
US-Grundlagenforschungszentrum Brookhaven bei New York. Die Besucher
beim Tag der offenen Tür im Oktober 1958 standen Schlange, um eine
Partie Computertennis zu spielen.
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Das ging 1958 so: Die beiden Spieler (gegen den Computer konnte man
nicht spielen) standen vor einem Oszilloskop (eigentlich ein Messgerät,
das den Verlauf von Spannungen anzeigt), halten jeweils einen
Steuerkasten in Schokotafelgröße in der Hand. Der eine Knopf darauf
schlägt den Tennisball auf dem Schirm ab, der anderen bestimmt per
Drehung den Abschlagswinkel.
Auf dem Schirm zieht der Tennisball seine Bahnen (er hat tatsächlich
einen Schweif), ein Netz ist noch zu sehen – die Schläger aber nicht.
Es gibt keinen Punktestand – wenn ein Spieler den Ball nicht erwischt,
kullert der hinten aus dem Feld und taucht dann sofort wieder beim
Gegner für einen neuen Aufschlag auf (siehe Video unten).
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Dass dieses Spielgerät einmal als Vorläufer einer
Milliardenindustrie, als Urahn von Videospielklassikern wie Pong gelten
wird, hat der Erfinder William Higinbotham 1958 nicht gedacht. Der 1910
geborene Physiker leitete damals die Abteilung für Messgeräte
("Information Division") am "Brookhaven National Laboratory" (BNL).
An dem Zentrum arbeiteten Wissenschaftler unter anderem mit drei
Forschungsreaktoren und dem Teilchenbeschleuniger "Cosmotron".
Higinbotham wollte mit seinem Computer-Tennis (er taufte die
Entwicklung Tennis for Two) Öffentlichkeitsarbeit machen. Das BNL
zitiert aus Higinbothams Notizen diese bescheidene Einschätzung
seines Spiels: "Es könnte den Ort etwas aufheitern, wenn wir ein Spiel
hätten, das die Leute spielen können und das zeigt, welche Relevanz
unsere Forschung für die Gesellschaft hat."
1958 standen 2500 Computer in den USA
Als Higinbotham Tennis for Two entwarf, waren in den Vereinigten
Staaten nur wenig mehr als 2500 Computer in Betrieb – allesamt analoge
Rechner. Grundsätzlicher Unterschied zu heutigen digitalen Rechnern mit
Chips: Jeden Rechenschritt muss ein Analogcomputer mit physikalischen
Prozesse nachbilden. Den ersten integrierten Schaltkreis, Grundlage der digitalen Rechner, entwickelte Jack Kilby zu der Zeit noch.
Higinbotham skizzierte den Schaltplan fürs Computer-Tennis in zwei
Stunden. Die Programmierung des entsprechenden Analogcomputers kostet
ihn und den Ingenieur Bob Dvorvak einige Wochen. Als Tennis for Two
dann Ende Oktober 1958 zum ersten Mal gespielt wurde, lief das Spiel
auf einem Systron-Donner-Analogrechner mit einem Oszilloskop als
Monitor.
Die Technik war simpel, das Spielkonzept so einfach wie genial: Da
Speicher und Rechenkraft für eine Computer-Spielintelligenz fehlten,
ließ Higinbotham einfach Menschen gegeneinander antreten. Ein
beweglicher Punkt und zwei Striche auf einem Oszilloskop – das war
Tennis for Two. Higinbotham hat das Spiel noch einmal weiter
entwickelt, beim Tag der offenen Tür am BNL 1959 war der Monitor des
Spiels dreimal so groß und die Spieler konnten verschiedene Szenarien
wählen und Tennis mit einer Gravitation wie auf dem Jupiter und Mars
spielen.
Acht Patente, aber keines für Tennis for Two
Weiter hat sich Higinbotham mit dem Computer-Tennis nicht
beschäftigt. Seine Freizeit verbrachte er mit dem Akkordeon, selten
spielte er Flipper – mehr nicht. Higinbotham hat sich nie als Erfinder
der Video- und Computerspiels bezeichnet. Er hat während seiner Arbeit
bei BNL acht Patente angemeldet, ließ aber seine Videospiel-Erfindung
nicht schützen.
Warum nicht, erklärte er 1983 dem US-Magazin "
Creative Computing"
so: "Wir wussten, dass das Spaß macht und einige von uns sahen das
Potential. Aber das war nicht, woran die Regierung Interesse hatte."
Für die forschte er.
Peter Takacs, heute Leiter der Messtechnik-Abteilung am BNL,
erklärt in der offiziellen Geschichtsschreibung des Zentrums auch, dass
der 1994 gestorbene Higinbotham später, als aus Computerspielen eine
Millionen-Branche geworden war, zugab, dass er besser ein Patent
angemeldet hätte. Das wäre dann heute im Besitz seines Arbeitgebers –
der US-Regierung.
Dass Higinbotham den Urahn der Video- und Computerspiele entwickelt
hat, rückte erst 1982 wieder ins öffentliche Bewusstsein.
Videospielhersteller Nintendo rief Higinbotham damals als Zeugen vor
Gericht. Nintendo wehrte sich damals in einem Prozess gegen den
US-Videospielhersteller Magnavox, der ein Patent auf Heimvideospiele
besaß und von Nintendo Lizenzgebühren einklagte.
Ein Spielmagazin erklärte Higinbotham 1983 zum Pionier
Higinbothams Erfindung sollte die Unzulässigkeit dieses Patents
belegen. Nintendos Argumentation: Es habe schon lange vor der
Magnavox-Spielkonsole Videospiele gegeben. Da sich Nintendo und
Magnavox außergerichtlich einigten, wurde Higinbotham nie als Vater des
Videospiels anerkannt.
Doch damals erinnerte sich David Ahl, Herausgeber von "Creative
Computing" an eine Partie Tennis for Two, die er 1958 als Stipendiat
beim Tag der offenen Tür am BNL gespielt hatte. Ahl rief Higinbotham
zum Erfinder des Computerspiels aus.
Inzwischen hat sich diese Einschätzung als Konsens durchgesetzt. Es
gar zwar schon vor 1958 Erfindungen, die durchaus als Gaming-Vorläufer
gelten können. Zum Beispiel das von den US-Physikern Thomas Goldsmith
und Estle Mann patentierte "Kathodenröhren-Unterhaltungsgerät", das man
an Fernseher anschließen sollte, aber erst mit Hilfe von Aufkleb-Folien
(die eine vollständige Grafik ersetzten) als Spiel nutzen konnte.
Auch der 1951 in London vorgestellte Computer Nimrod, der als Gegner
im Spiel Nim gegen seine Benutzer antrat. Allerdings mussten die
Spieler bei Nimrod die Züge des Computers anhand eines Codierbuchs an
der Leucht-Reihenfolge einiger Lämpchen ablesen.
William Higinbotham hat es 1958 geschafft, ein dank Bildschirm und
einfacher Steuerung intuitiv verständliches Spiel zu konstruieren – in
wenigen Wochen. Als der heutige Messtechnik-Chef am BNL Peter Takacs
nun zum 50. Jubiläum Tennis for Two nachbaute, dauerte das wesentlich
länger, wie er in einem Video des Forschungszentrum berichtet: Takacs:
"Wir musste das schaffen. Das hat einmal einer geschafft, also können
wir das auch konstruieren."
Drei Mannmonate hat es 2008 gekostet, Tennis for Two nachzubauen.
Für das Original brauchten Higinbotham und Dvorvak wenige Wochen.
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