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Ablasshandel (Süddeutsche Zeitung, 13.3.2001)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Ablasshandel

Der Schweizer Historiker Thomas Buomberger über Flick-Museum und NS-Kunst

Süddeutsche Zeitung, 13.3.2001

Der Schweizer Historiker Thomas Buomberger untersuchte 1997/98 für das Bundesamt für Kultur die Rolle der Schweiz als Kunsthandelsplatz während der NS-Zeit. Wir befragten ihn zur Diskussion um den historischen Hintergrund des in Zürich geplanten Flick-Museums.

SZ: Wird es die Schweizer aufregen, dass Friedrich-Christian Flick in Zürich ein Privatmuseum finanziert, während seine Familie keinen Pfennig für die Entschädigung ihrer Zwangsarbeiter erübrigt?

Buomberger: Nein, ich glaube nicht. Es wird jetzt zwar diskutiert, woher des Geld für diese Sammlung kommt, aber das dringt nur zu den ohnehin schon interessierten Kreisen vor. Das hat man schon Mitte 1996 gesehen, als eine Diskussion um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg aufflammte. Die wurde für kurze Zeit sehr heftig, aber sie war bald wieder vergessen.

SZ: Damals ging es ja auch teilweise um die Finanzierung und Herkunft bestimmter Kunstsammlungen.

Buomberger: Ja, vor allem um die Sammlung E.G. Bührle. Die Aufmerksamkeit damals war aber noch geringer als heute beim Flick-Museum.

SZ: Woher kam Bührles Geld?

Buomberger: Er hat während des Zweiten Weltkriegs Waffen und Munition im damaligen Wert von über 500 Millionen Franken – heute etwa 6,3 Milliarden Mark – an Deutschland geliefert. Wie bei Flick kann man nicht sagen, wieviel davon in die Kunstsammlung floss. Nach dem Krieg gab es keine Diskussion über die Herkunft der Mittel. Im Gegenteil: Als Bührle 1956 für einen Anbau der Kunsthauses Zürich 6 Millionen Franken stiftete, verschwieg der Stadtrat die Herkunft der Mittel.

SZ: In den 90er Jahren wurde aber doch über den Ursprung von Bührles Sammlung diskutiert.

Buomberger: Ja, aber das begann 1991 in den Vereinigten Staaten, nicht in der Schweiz. Damals wurde ein Teil der Sammlung in New York ausgestellt und eine Journalistin schrieb, woher einige Bilder kamen. Das war nie ein Geheimnis gewesen, es hat nur niemanden in der Schweiz interessiert. Es ging nicht allein um die Finanzierung der Sammlung, sondern auch um Raubkunst. Die Nazis hatten in Frankreich massenhaft Kunstwerke gestohlen, so auch Werke der Impressionisten aus der Pariser Sammlung von Paul Rosenberg. Diese Bilder wurden – wie viele andere – an den Direktor von Görings Kunstsammlung, Walter Andreas Hofer, gegen Devisen in die Schweiz verkauft. Vor allem der Luzerner Galerist Theodor Fischer verkaufte diese dann an Privatsammler. Bei ihm hat Bührle nachweislich 13 Bilder gekauft, einen Teil aus Rosenbergs Sammlung. Dieser klagte nach Kriegsende auf Rückgabe und bekam von einem Schweizer Gericht Recht. Er einigte sich mit Bührle, der die Bilder erneut kaufte.

SZ: Also hatte das Gericht eine Schuld Bührles festgestellt?

Buomberger: Nein. Das Bundesgericht stufte Bührle und andere als „gutgläubige Käufer“ ein. Bührle wurde sogar für ein 1944 gekauftes Raubbild teilweise entschädigt. Ich frage mich, wie Bührle als erfahrener Sammler so gutgläubig sein konnte. Fischer hatte von 1941 an plötzlich Spitzenwerke, die er nicht in seine Auktionen aufnahm, sondern direkt ausgewählten Sammlern anbot.

SZ: Dass die Diskussion darüber in den Vereinigten Staaten begann . . .

Buomberger: . . . ist absolut bezeichnend für die Schweiz. Man pflegte hier über Jahrzehnte den Mythos, das Land sei von Hitler wegen der bis an die Zähne bewaffneten Schweizer Armee verschont geblieben. Andere entscheidende Faktoren wie die Finanz- und Golddienstleistungen wurden lange verschwiegen. Und: Wer sich kompromittiert hatte, musste nach dem Krieg nichts befürchten.

SZ: Immerhin haben sie 1997 vom Bundesamt für Kultur den Auftrag erhalten, eine Studie über Raubkunst in der Schweiz zu erstellen.

Buomberger: Ja, das war im Zuge der Aufregung um die nachrichtenlosen Konten. Aber die Ergebnisse haben nur die ohnehin Interessierten verfolgt. Die Studie fasst für ein nicht-wissenschaftliches Publikum zusammen, was ich damals über die Raubkunst in öffentlichen Archiven und bei Interviews recherchieren konnte. Bisher sind aber nur etwa 1500 Exemplare des Buches gekauft worden.

SZ: Wird der Bericht der von der Regierung eingesetzten Bergier-Kommission zur Raubkunst mehr Aufmerksamkeit bringen?

Buomberger: Die Kommission hat anders als ich damals Zugang zu allen Archiven. Von daher sind neue Erkenntnisse zu erwarten. Etwa über den Verleger Albert Skira, der vom US-Geheimdienst OSS verdächtigt wurde, Raubkunst gekauft zu haben. Oder über Personen, von denen bisher im Zusammenhang mit Raubkunst nichts bekannt ist. Aber ob es da mehr Aufmerksamkeit geben wird – ich glaube nicht.

SZ: Das klingt, als hätte Friedrich-Christian Flick sich mit gutem Grund die Schweiz als Museumsstandort ausgesucht.

Buomberger: Es gibt auch hier Menschen, die etwas gegen diesen Ablasshandel haben. Aber natürlich gibt es gute – nicht nur steuerliche – Gründe, warum Menschen wie Flick oder Marc Rich die Schweiz mögen. Man hat hier wohl eher als anderswo seine Ruhe. 

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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