Abmahnung: Justiz schlampt bei staatlicher eBay-Auktion (Spiegel Online, 26.9.2007)
Abmahnung
Justiz schlampt bei staatlicher eBay-Auktion
Einnahmequellen mit Hindernissen: Die Staatsanwaltschaft Magdeburg versucht mit Versteigerung von Diebesgut bei eBay Geld zu erwirtschaften. Doch die Juristen schaffen es nicht, die Angebote so zu formulieren, dass diese unanfechtbar sind – ein Problem, das viele Händler haben.
Spiegel Online, 26.9.2007
Die 52 Brillanten blitzen, das Gelbgold glänzt edel matt – zumindest beim Foto hat sich die Staatsanwaltschaft Magdeburg alle Mühe gegeben. Das Bild wirbt bei eBay für eine Auktion der Justiz Sachsen-Anhalts. Zu ersteigern: ein 4,6 Gramm schwerer Ring, laut Gutachten 800 Euro wert, den verurteilte Verbrecher mit unehrlich verdientem Geld aus Drogengeschäften gekauft haben.
Mit den eBay-Auktionen wolle man "die Absatzchancen erhöhen" und "mehr Geld für die Landeskasse einnehmen", erklärte Justizministerin Angela Kolb Ende Juli. Bei der Ausführung begeht die Staatsanwaltschaft Magdeburg dann allerdings denselben Fehler wie Hunderte Online-Händler zuvor: Sie verlässt sich bei der für nicht-private Händler gesetzlich vorgeschriebenen Widerrufsbelehrung auf einen Mustertext des Bundesjustizministeriums. Die Vorlage steht zwar im Anhang zu einem Gesetz, Gerichte halten sie aber für rechtswidrig und entscheiden schon seit Jahren gegen Händler, die diesen Text benutzt haben.
Davon wissen die eBay-Beauftragten bei der Magdeburger Staatsanwaltschaft offensichtlich nichts. Ihre Ring-Auktion startete am 13. September mit perfekten Fotos und zwei bei eBay-Auktionen regelmäßig abgemahnten Fehlern in der Widerrufsbelehrung.
Händler-Verband protestiert gegen Chaos-Gesetz
Diese Fehler entdeckten Juristen beim Verband der Internet-Händler IEBA (International E-Business Association). Seit Jahren kämpft die Organisation gegen das Abmahnunwesen bei Online-Shops und eBay, fordert eine Überarbeitung der komplizierten Gesetze, die solche Abmahnungen ermöglichen. Vergebens. Jetzt wollen Shop-Betreiber die Justiz mit den Berliner Chaos-Gesetzen schlagen. Und es gelingt.
Am 19. September faxt IEBA-Anwalt Michael Herrmann der Staatsanwaltschaft Magdeburg die Abmahnung. Konkrete Vorwürfe:
- In der Widerrufsbelehrung ist die Widerrufsfrist mit "2 Wochen" angegeben. Laut dominierender Rechtssprechung gilt bei eBay jedoch eine Frist von einem Monat.
- Die Staatsanwaltschaft erklärt, diese Frist beginne "frühestens mit Erhalt dieser Belehrung". Doch Urteilen zufolge entspricht ein Text auf einer Internetseite nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Textform. EBay-Händler müssen die Widerrufsbelehrung zum Beispiel per E-Mail versenden.
Die Staatsanwaltschaft reagiert. Noch am selben Tag ergänzt jemand den Auktionstext um den fetten, roten, unterstrichenen Hinweis, die Widerrufsfrist betrage einen Monat. Zwei Tage später stellen die Juristen eine neue Widerrufsbelehrung ein, weisen auf eine Belehrung in Textform hin. Die Fehler hatte man zuvor aber auch schon im Justizministerium Sachsen-Anhalts bemerkt. Sprecherin Ivonne Ohlbrecht: "Die Widerrufsbelehrung war falsch formuliert, das ist auch der Fachabteilung hier im Ministerium aufgefallen. Parallel zu der Abmahnung haben wir Änderungen veranlasst."
Einen Tag bevor die Frist der IEBA zur Abgabe der Unterlassungserklärung ausläuft, faxt das Ministerium der Justiz Sachsen-Anhalts statt einer Unterlassungserklärung einen fast schon weinerlichen Brief an IEBA-Anwalt Herrmann.
Das SPIEGEL ONLINE vorliegende Schreiben erklärt, dass die Staatsanwaltschaft Magdeburg sich an der vom Bundesjustizministerium formulierten Musterbelehrung orientiert hat – "ohne die Besonderheiten des Fernabsatzes über eBay zu berücksichtigen". Der Autor bittet um Verständnis für diesen Fehler. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg habe "bundesweit erstmalig" versucht, solche Gegenstände über eBay zu versteigern. Und: "Sie konnte hierbei auf keinerlei Erfahrungen zurückgreifen und musste sich bisher mit verbraucherschützenden Normen in der Verwertung nicht auseinandersetzen."
Ähnlich argumentiert Ministeriums-Sprecherin Ohlbrecht: Der Fehler rühre daher, dass man sich am Mustertext in der BGB-Informationspflichtenverordnung orientiert hat. Gleichzeitig bittet sie um Verständnis. Denn: "Es ist ein Modellprojekt, die Justiz hat bisher keine Erfahrungen als Online-Händler, dieses Gebiet war für sie eine fremde Materie."
Abmahnung als Protest, nicht als Geldquelle
Dem Internet-Händler-Verband IEBA genügt diese Antwort, man will nicht klagen. Anwalt Herrmann betont, dass man bewusst auf eine Kostennote verzichtet habe. Es gehe nicht um Geldmacherei, sondern um Protest. Denn, so Herrmann: "Es kann nicht sein, dass der Gesetzgeber kleinen Händlern ein Regelungs-Konvolut zumutet, an dem sogar eine Staatsanwaltschaft mit ihrem Heer an Juristen scheitert."
Die Argumentation der Staatsanwaltschaft ("keinerlei Erfahrungen") verblüfft den IEBA-Vorsitzenden Jens Krumbeck: "Wenn ich mich als Online-Händler am Muster-Text des Justizministerium orientiere, bin ich ganz schnell dran, kriege eine Abmahnung und muss zahlen. Da interessiert niemanden, ob man neu im Geschäft ist."
Die Staatsanwaltschaft Magdeburg hat Glück gehabt, dass sie nur von der IEBA abgemahnt wurde. Denn wenn ein Anwalt das im Auftrag seiner Mandanten tut, kriegen die gebührenpflichtig Abgemahnten gleich noch eine Kostennote – je nach Streitwert 500 bis 1000 Euro. Entweder sie unterschreiben und zahlen, oder sie riskieren einen Prozess.
Solche Gerichtsverfahren sind in Deutschland ein Roulette-Spiel (siehe Kasten unten). Der IEBA-Vorsitzende Krumbeck: "Die Gerichte urteilen so unterschiedlich, dass sich das immer noch lohnt. Wir hören bei IEBA fast täglich von neuen Abmahnungen."
Dank der geltenden Gesetze sind Abmahnung ein lohnendes Geschäft. Krumbeck macht eine einfache Rechnung auf: "Wenn ihnen als Anwalt 200 Betroffene eine Abmahnung unterschreiben und die Kostennote von 700 Euro bezahlen, haben sie mehr Umsatz gemacht als viele Online-Händler im Jahr erzielen."
Die Schuld dafür sieht Krumbeck beim Gesetzgeber. Vor allem ärgert den Mittelständler die Haltung des Bundesjustizministeriums: "Seit Jahren halten die an ihrem mangelhaften Mustertext fest, klären nicht über die Risiken auf, lassen tausende von Händlern in die Abmahnfalle tappen." IEBA hat Mitte August eine Petition von 1600 Online-Händlern beim Justizministerium eingereicht. Bislang kam keine Reaktion. Krumbeck: "Wir haben keine Antwort, schon gar keinen Termin bekommen."
Justizministerium will endlich handeln – nach fünf Jahren
Doch jetzt – fünf Jahre, nachdem der merkwürdige Mustertext verkündet wurde – kommt offenbar ein wenig Bewegung in die Sache. Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE teilte das Justizministerium schon im August mit, man prüfe eine Überarbeitung der Widerrufsbelehrung. Heute sagte Ministeriums-Sprecher Henning Plöger, die Vorschläge würden in den "Bundesressorts diskutiert", im Oktober wolle man Bundesländer und Verbände einbeziehen.
So lange hängen eBay- und Online-Händler weiter im Ungewissen. Die Juristen bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg haben die wichtigsten eBay-Lektionen auf die harte Tour gelernt: Erst die Abmahnung, dann noch ein unbefriedigendes Auktionsergebnis: Der auf 800 Euro geschätzte Ring ging für 251 an den Höchstbietenden.
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