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Anonymous und Guy Fawkes: Grinsemaske ohne Botschaft (Spiegel Online, 5.11.2011)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Anonymous und Guy Fawkes

Grinsemaske ohne Botschaft

Guy Fawkes wollte das englische Parlament in die Luft sprengen, den König töten. Er war ein katholischer Terrorist. Vier Jahrhunderte später wurde eine weiße Maske mit seinem Antlitz zum Symbol der Web-Guerilla Anonymous. Eine Markengeschichte.

SPIEGEL ONLINE, 5.11.2011

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Die Geschichte der Web-Guerilla Anonymous beginnt am 5. November 1605 in London. An diesem Tag wollten der katholische Fanatiker Guy Fawkes und einige Mitverschwörer als Protest gegen die Ächtung ihrer Konfession das Parlament in die Luft sprengen, den englischen König James I. und die anwesenden Parlamentarier töten. 36 Fässer mit Schießpulver schafften sie in einen Raum unter dem Parlamentsgebäude. Der Terroranschlag flog auf, Guy Fawkes wurde verhaftet, verurteilt, hingerichtet.

406 Jahre später tragen Anonymous-Aktivisten weltweit Masken mit dem stilisierten Konterfei des religiösen Fanatikers. Guy Fawkes ist Teil der Anonymous-Ikonografie geworden, die Geschichte dieser Figur zeigt, wie wandelbar die Markenzeichen des Protests sind.

Ein katholischer Fanatiker als Held

Dass Guy Fawkes heute noch bekannt ist, verdankt er wohl ausgerechnet jenen Menschen, die er töten wollte. Im Januar 1606 beschloss das englische Parlament, dass im Land fortan Jahr für Jahr am 5. November gefeiert werden sollte, dass der König den geplanten Anschlag überlebte. Die Formulierungen im entsprechenden Antrag des Abgeordnete Edward Montagu zeigen, dass dieser Festtag auch dazu dienen sollte, den Hass auf den Papst und Rom wachzuhalten. Montagu schreibt, die Verschwörer seien “heimtückische und teuflische Papisten, Jesuiten und Seminarspriester” gewesen.

Und so kam es, dass der 5. November zum Guy-Fawkes-Tag wurde, an dem Scheiterhaufen im Land brannten und Menschen Guy-Fawkes-Strohpuppen in die Flammen warfen. Über die Jahrhunderte wandelte sich der Katholiken-Jagdtag zu einer Art britischem Halloween. Der antikatholische “Observance of 5th November Act 1605” wurde im 19. Jahrhundert aufgehoben, doch die Scheiterhaufen und die Strohpuppen brannten weiter an jedem 5. November.

Der Guy-Fawkes-Day wird zum Karneval

1949 beschrieb der SPIEGEL den Guy-Fawkes-Day als eine Art Volksfest, viele Engländer würden Sympathie für den “Edelmann” Fawkes empfinden, weil er damals die Namen seiner Mitverschwörer erst nach furchtbarer Folter preisgab und “mannhaft starb”. In Oxford maskierten Studenten sich zur Feier als Skelette, kletterten auf Baugerüste, schossen mit Feuerwerkskörper durch Fenster und schütteten Wasser auf die Köpfe von Fußgängern. Der Guy-Fawkes-Day als eine Art Karneval, ein geregelter Moment der Anarchie – in Maßen.

Zum Symbol des Widerstands machten der Comicautor Alan Moore und der Zeichner David Lloyd Guy Fawkes Anfang der achtziger Jahre mit ihrer Comic-Serie “V for Vendetta”.

“Wir sollten den Versuch feiern, das Parlament zu sprengen”

Die Maske, die heute weltweit Anonymous-Aktivisten und die Occupy-Wall-Street-Demonstranten tragen, geht auf die Zeichnungen von Lloyd zurück. Moore beschreibt in dem Essay ” Behind the painted Smile” die Genese des Freiheitskämpfers Fawkes. Die Idee habe Lloyd gehabt, Moore zitiert eine Notiz, die der Zeichner ihm damals schickte:

“Warum zeigen wir unseren Helden nicht als einen auferstandenen Guy Fawkes, mit einer dieser Pappmaché-Masken, dem Umhang und kegelförmigen Hut? Das würde bizarr aussehen und Guy Fawkes das Image geben, das er all diese Jahre verdient hat. Wir sollten den Kerl nicht an jedem 5. November verbrennen, sondern ihn feiern für seinen Versuch, das Parlament zu sprengen!”

V, der namen- und gesichtslose Held in dem Comic und der Verfilmung von 2006, ist Opfer und Produkt eines faschistischen Regimes, das in Großbritannien nach einer nuklearen Katastrophe die Macht übernommen hat. V wurde in einem Internierungslager als Versuchsobjekt für medizinische Experimente missbraucht, Jahre später rächt er sich an seinen Peinigern und an dem Regime.

V ist allerdings eine ganz andere Figur als der Robin Hood oder Superman, den man bei einer solche Konstellation erwarten würde: Er genießt es sichtlich, seine Morde mit großem Aufwand zu inszenieren. Er foltert über Wochen hinweg ein Mädchen, das anfangs mit seinen Taten sympathisiert. V spielt ihr vor, sie sei vom Regime inhaftiert worden. Er foltert sie mit einer Art Waterboarding, verlangt in der Rolle als Verhörspezialist immer wieder Informationen über V, droht ihr mit dem Tod. All das tut der Held dem Mädchen an, um sicherzugehen, dass sie schweigen kann, dass die Machthaber keine Gewalt mehr über sie haben. Er tut ihr das an, was ihm angetan wurde – um sie zu dem zu machen, was er ist.

“Hat dieser Typ recht? Oder ist er verrückt?”

Alan Moore hat in einem Interview 2005 erzählt, warum er seinen Helden mit so einer düsteren Seite versah. In den ersten Episoden der Comic-Reihe sei V fröhlich mordend herumspaziert, und das Publikum habe das geliebt. Die Leser hätten das im Rahmen des üblichen Schemas romantischer Anarchist gegen die bösen Nazis interpretiert. Moore: “Irgendwann entschied ich, dass ich das nicht sagen will. Ich denke nicht, dass es richtig ist, Menschen zu töten.” Also zeigte er V nicht nur als Mörder, sondern auch noch als brutalen Folterer. Moore beschreibt seine Entscheidung so:

“Ich habe es moralisch sehr, sehr vieldeutig gestaltet. Die Kernfrage ist: Hat dieser Typ recht? Oder ist er verrückt? Was denkst du, Leser, darüber? Das erschien mir als der richtige anarchistische Weg: Ich wollte den Menschen nicht sagen, was sie denken sollen. Ich wollte ihnen nur sagen, dass sie denken sollen und dabei einige der kleinen, extremen Ereignisse bedenken, die sich in der Menschheitsgeschichte recht regelmäßig wiederholen.”

Und deshalb ist die Guy-Fawkes-Maske als Symbol von Anonymous viel passender, als manche der selbsternannten Aktivisten es selbst wohl wahrnehmen. Unter der Marke Anonymous haben Menschen zur Lynchjustiz aufgerufen, Existenzen vernichtet und es mit Scientology aufgenommen. Wer eine Guy-Fawkes-Maske überzieht, solidarisiert sich dadurch nicht unbedingt mit den Mordplänen eines katholischen Fanatikers, mit den Morden und Folterpraktiken einer Comic-Figur. Er trägt einfach nur eine Maske, die über die Jahrhunderte hinweg zum Symbol einer sehr starken Marke ohne Botschaft geworden ist.

Nur herrscht inzwischen im Netz an jedem Tag ein wenig Volksfest-Anarchie.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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