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Apple-Orakel: Neues aus Jobs' Zauberwerkstatt (Spiegel Online, 7.8.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Apple-Orakel

Neues aus Jobs’ Zauberwerkstatt

Um 19 Uhr deutscher Zeit präsentiert Apple-Boss Steve Jobs neue Mac-Produkte. Aber welche? Gerüchte-Portale sind sich sicher: Schlankere iMacs und ein verbesserter Online-Dienst stehen an. Jetzt muss sich zeigen, welches Apple-Orakel den richtigen Riecher hat.

Spiegel Online, 7.8.2007

Freches Lachen, weißes Poloshirt und ein Wuschelkopf – der 16-jährige Tom Oliveri sieht nicht aus wie ein Marketing-Manager des Google-Konzerns. Er wohnt auch nicht in Kalifornien, sondern im Südosten Australiens. Aber er trägt denselben Namen wie Google-Manager Tom Oliveri und hat deshalb eine täuschend ähnliche Gmail-Adresse. Von der schickte er eine Nachricht an die IT-Nachrichtenseite Gizmodo, phantasierte ein wenig über neue Apple-Rechner. Der ähnliche Namen genügte – Gizmodo zitierte den 16-Jährigen als eine "Apple sehr nahe" Quelle.

Die Nummer flog auf, als 84 Minuten nach Veröffentlichung des Gerüchts jemand die E-Mail-Adresse des Tipp-Gebers googelte – und die Webseite des 16-jährigen Australiers fand. Dieser gelungene Streich zeigt, wie manche Medien durchdrehen, wenn neue Apple-Produkte anstehen. Das ist heute der Fall. Kein Gerücht ist nämlich, dass um 19 Uhr deutscher Zeit Apple-Chef Steve Jobs in der Firmenzentrale in Cupertino neue Mac-Produkte vorstellen wird.
Welche genau, darüber spekuliert die Branche, seit Apple vor einer Woche die Einladungen verschickt hat. Es gibt zwei halbwegs sichere Anzeichen dafür, dass sowohl neue Rechner als auch eine Überarbeitung des Apple-Onlinediensts .mac anstehen. Die US-Nachrichtenagentur Dow Jones Newswires zitiert einen Apple-Sprecher, nach dessen Aussage sich die Veranstaltung auf die "Computer-Palette" konzentrieren werde.

Neuer Online-Dienst?

Außerdem sehen Nutzer des kostenpflichtigen Apple-Onlinedienstes .mac (E-Mail, Adressbuch, Backup, Webspace, Fotoalben) beim Einloggen den Hinweis, das aufgrund von "planmäßigen Wartungsarbeiten" manche Mitglieder heute Abend zwischen 19 und 21 Uhr deutscher Zeit unter Umständen manche .mac-Dienste nicht nutzen könnten.

Ein merkwürdiger Zufall, dass die Wartung gleichzeitig mit der Jobs-Präsentation stattfindet. Dass Apples Online-Dienst überarbeitungsbedürftig ist, hatte Steve Jobs Ende Mai bei einer Konferenz selbst zugegeben. Er fügte aber hinzu, man werde "in der nahen Zukunft die verlorene Zeit wettmachen".

Gerüchteseiten: Große, schlanke iMacs

Weitere zuverlässige Quellen gibt es nicht. Aber das hindert Apple-Gerüchteseiten nicht daran, neue iMacs zu prophezeien, jetzt schon die angeblichen US-Preise der neuen Rechner und Fotos angeblich neuer Apple-Tastaturen zu veröffentlichen. Die großen Seiten sind sich einig: Es wird keine 17-Zoll-iMacs mehr geben, das kleinste Modell soll einen 20-Zoll-Bildschirm haben und so viel kosten wir der heutige 17-Zoll-iMac. Außerdem sollen die neuen Rechner viel schlanker aussehen.

Dank solcher Geschichten brummen die Gerüchte-Portale vor jeder Apple-Präsentation – und nehmen Apple so einigen Marketing-Aufwand ab. Doch wie zuverlässig sind die Verlautbarungen auf diesen Seiten? Arnold Kim, Gründer des Traditions-Portals Macrumors.com (seit sieben Jahren online) glaubt, dass Qualitäts-Gerüchteseiten – wie seine – sich eine gewisse, berechtigte Glaubwürdigkeit hart verdient hätten. Er schreibt in seinem Blog: "Macrumors bekommt täglich erfundene Tipps." Die veröffentliche man aber nicht. Wenn man "jede Einsendung, die plausibel klingt, veröffentlichen würde, würden wir viel vom Respekt unserer regelmäßigen Leser verlieren".

Manche Orakel-Sprüche wurden Wirklichkeit

Und tatsächlich: Manchmal werden die Orakel-Sprüche Wirklichkeit. So sagte zum Beispiel die Seite Thinksecret die Präsentation heute Abend voraus. Thinksecret schrieb am 17. Juli unter Berufung auf "zuverlässige Quellen", dass der Computer-Konzern am 7. August neue iMac-Rechner präsentieren werde. Zwei Wochen später bestätigte Apple dieses Gerücht – die Einladungen an Pressevertreter zu einer Veranstaltung, die sich auf Apples "Computer-Palette" konzentrieren soll, gingen bei Journalisten ein.

Thinksecret ist seit 1999 online. Apple hat die Betreiber im Jahr 2005 verklagt, weil sie Apples Geschäftsgeheimnisse verraten hätten. Konkret ging es bei diesem Rechtsstreit darum, dass Thinksecret Details zum "Mac Mini", Apples Günstig-Rechner ohne Bildschirm, schon im Jahr 2004 vorab veröffentlicht hatte. Vorigen Juni entschied dann ein Berufungsgericht in San Jose, dass Thinksecret seinen E-Mail-Verkehr und somit die Identität der Tipp-Geber nicht offenlegen müsse. Das Urteil adelte so die Gerüchteseite zum Medienangebot, das sich auf den Schutz seiner Informanten berufen kann.

Auch Apples Wechsel zu Intel-Prozessoren, das iPhone und AppleTV kursierten Monate, zum Teil sogar Jahre vor der offiziellen Ankündigung durch die Gerüchte-Foren. Allerdings darf man den Informationsgehalt dieser vagen Gerüchte nicht überbewerten, nur weil sie rückblickend zutreffen. Denn über Intel-Prozessoren in Apple-Computern spekulierten Fans schon seit dem ersten Intel-Projekt bei Apple, das Anfang der neunziger Jahre tatsächlich existierte, aber nie ein Produkt hervorbrachte.

Apple-Gerüchte sind wie Schrotkugeln

An die falschen Gerüchte erinnert sich kaum jemand: Gestreifte Mini-iPods für hundert Dollar sollte es geben, Apple-Plasma-Fernseher und natürlich einen neuen Mac-Organizer. Nichts davon hat Apple je verkauft. Apple-Gerüchte sind wie Schrotkugeln: Ein paar treffen. Und gerade die fallen später am deutlichsten auf, während die vielen Blindgänger unbemerkt im Nirgendwo bleiben.

Das weiß auch die IT-Nachrichtenseite Gizmodo. Ihr Redakteur Brian Lam hat Anfang August diese Gizmodo-Regel zu Apple-Gerüchten formuliert: "Niemals, niemals Gerüchteseiten trauen. Aus denselben Gründen, aus denen man auch Wahrsagern und Astrologen" nicht vertraue. Drei Tage später veröffentlichte Gizmondo dann das Apple-Gerücht, das der 16-jährige Wuschelkopf Oliveri aus Australien schickte.

Apple-Gerüchte sind eben unwiderstehlich.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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