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Apple-Patent: Gängel-iPod regelt Lautstärke selbst (Spiegel Online, 26.12.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Apple-Patent

Gängel-iPod regelt Lautstärke selbst

Bevormundung oder Gesundheitsschutz? Apple lässt sich einen Mechanismus patentieren, der überwacht, wie lange und wie laut iPod-Besitzer Musik hören. Bei zu viel Lärm senkt die Software die Lautstärke auf ein gesundes Maß. Unklar ist, ob man den Gängel-iPod entsichern kann.

Spiegel Online, 26.12.2007

Voll aufgedreht kann ein iPod Musik mit ungefähr 100 Dezibel Lautstärke abspielen. So laut ist es, wenn ein Presslufthammer loslegt. Wer das seinen Ohren länger als eine Stunde am Stück antut, riskiert angeblich einen Hörschaden – egal ob der Lärm aus einem iPod oder einem Presslufthammer kommt. Der iPod-Bauer Apple will sich nun offenbar gegen Vorwürfe absichern, die Gesundheit seiner Kunden zu gefährden. In einem beim Europäischen Patentamt eingereichten Antrag beansprucht Apple Schutz für einen Mechanismus, der bei tragbaren Musik-Abspielern – sprich iPod oder iPhone – die Lautstärke auf ein gesundheitsfreundliches Maß reguliert. Die Drossel-Software soll sich dabei nach den Hörgewohnheiten der Benutzer richten.

Der vom britischen " Daily Telegraph" entdeckte Apple-Antrag beschreibt ein "tragbares Audio-Gerät, das eine automatische Kontrolle der Lautstärke zum Gehörschutz bietet". Zum Hintergrund ihrer Entwicklung führen die Antragsteller aus: Weil das Risiko eines Hörschadens graduell zunimmt, aber auch "von Mal zu Mal größer wird", könnten sich selbst Benutzer, die besorgt über Hörschäden sind, "nicht angemessen verhalten, um Hörschäden zu minimieren".

Lautstärkenregler protokolliert Hörverhalten

Hier will Apple mit einer integrierten Steuer-Software helfen: Das Programm soll analysieren, welche Musik ein Gerät wie lange mit welcher Lautstärke und mit welchen Hörpausen spielt. Die maximal zulässige Lautstärke berechnet der intelligente Musik-Abspieler dann abhängig von dieser Dudel-Geschichte ständig neu.

Interessantes Detail: Der Patentantrag beschreibt auch eine Methode, um eine "manipulationssichere" Konfigurationsdatei zu erstellen, zum Beispiel, damit "Eltern sichere Schutz-Parameter für minderjährige Nutzer des mobilen Abspiel-Geräts festlegen können." Ob das Verfahren je in einem iPod auftaucht, ist unklar. Apple lehnte gegenüber dem "Daily Telegraph" einen Kommentar ab. Begründung: Man äußere sich nicht zu Patentanträgen.

Allerdings spricht einiges dafür, dass Apple die neue Methode auch in Produkten einsetzen wird. Europäische iPods liefert der US-Hersteller zum Beispiel schon seit Jahren mit einer Lautstärken-Drosselung aus.

Hintergrund ist eine im Oktober 2000 vom "Europäischen Komitee für elektrotechnische Normung" (CENELEC) verabschiedete Höchstgrenze. Die Regelung mit dem Titel "DIN EN 50332-1" legt als Grenzwert bei "Original-Geräte-Sets" (Kopfhörer und Musikabspieler) einen Maximalpegel von 100 Dezibel fest.

Alle Jahre wieder iPod-Hysterie

Außerdem kann man schon seit März 2006 bei iPods eine maximale Lautstärke festlegen und über ein Kennwort sichern – zum Beispiel, wenn man seinen iPod Kindern mitgibt. Diese Option hat Apple nachgerüstet, nachdem in den Vereinigten Staaten Gesundheitsschützer eine Kampagne gegen zu laute iPods angezettelt hatten.

Im Weihnachtsgeschäft 2005 warnte der US-Hörgeschädigtenverband ASHA vor möglichen Hörschäden durch vorlaute MP3-Abspieler. Interessengruppen, Medien, angebliche und echte Experten griffen das Thema auf. Allein die "Washington Post" warnte damals – allerdings Wochen nach der Debatte -, es gäbe bisher keine stichhaltigen wissenschaftlichen Beweise für iPod-induzierte Hörschäden, woran sich bis heute nichts geändert hat.

Gängel-Software ärgert iPod-Besitzer

Trotzdem verlangte der demokratische US-Kongressabgeordnete Edward Markey damals, man müsse iPods und andere MP3-Player mit Warnhinweise der Gesundheitsbehörden ausstatten, über "potentielle Gesundheitsrisiken" informieren. Als Apple darauf die freiwillige Lautstärkenbegrenzung einführte, feierte Markey seinen Erfolg in einer Stellungnahme: "Ich lobe Apple für diesen wichtigen ersten Schritt, Konsumenten die nötigen Werkzeuge zu geben, damit sie sich vor Hörschäden schützen können."

Ein Teil der iPod-Besitzer mag diese Fürsorge gar nicht: Im Web kursieren Programme, mit denen man die europäische iPod-Drosselung aushebeln kann. Und über Apples neuen Patentantrag zum Gehörschutz streiten iPod-Besitzer jetzt schon erbittert – bevor feststeht, ob aus der Idee überhaupt ein Produkt wird. Fast 200 Leser haben die entsprechende Meldung beim IT-Onlinedienst Heise binnen weniger Stunden kommentiert.

"Alles dämliche Panikmache" urteilt ein Leser, der "seit 20 Jahren brachial laute Musik" genießt und "trotzdem die Nachtigallen trapsen" hört. Und Nutzer "Apple Konvertit" fragt, wann denn der Kühlschrank kommt, der sich nach einer bestimmten Kalorienentnahme den Rest des Tages über nicht mehr öffnen lässt.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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