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Apple-Tablet: Darum kaufe ich Oma ein iPad (und mir keins) (Spiegel Online, 28.1.2010)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Apple-Tablet

Darum kaufe ich Oma ein iPad (und mir keins)

Apples Streichel-Computer könnte werden, was Netbooks sein wollen: ein Jedermann-Computer, günstig und gut genug für Alltagsanwendungen. Surfen, lesen, mailen und ohne DSL-Ärger online sein – erreicht das iPad neue computerferne Zielgruppen?

Spiegel Online, 28.1.2010

1985 erfand Apple einen cleveren Werbespruch: Der Heimrechner Macintosh war der “Computer for the rest of us”, das Arbeitsgerät für die Nicht-Experten, die Normalos, die Menschen, die von Code und Programmierung keine Ahnung haben, sondern nur wollen, dass das Ding einfach tut, was man von ihm will.

Das ist bei Durchschnittsnutzern heute etwas mehr als 1985, aber nicht besonders viel: Web-Seiten aufrufen, Fotos anschauen, Musik hören, E-Mails lesen und ab und an einen kurzen Text schreiben.

Das iPad könnte dieses Versprechen einlösen. Bei der Präsentation war mir schnell klar: Ich würde mir so ein Gerät nicht kaufen. Aber ich werde es meiner Oma schenken, wenn es so gut funktioniert wie bei der großen Steve-Jobs-Show in San Francisco.

Warum? Ich habe meiner Oma mal mein Macbook gezeigt. Wie man damit Web-Seiten aufruft, wie sie damit meine E-Mails lesen, wie sie meine Fotos auf Flickr durchblättern könnte. Meine Oma kam mit der Tastatur nicht besonders gut zurecht, mit dem Trackpad gar nicht und mit der angeschlossenen Maus nur wenig besser. Ihre Reaktion: Bloß kein Computer! Ein paar Monate später habe ich meiner Oma Fotos auf dem iPhone gezeigt. Nach zwei Minuten Zugucken strich sie über den Bildschirm und blätterte selbst durch die Fotosammlung.

Oma verzweifelt am Trackpad und streichelt das iPhone

Mit einem iPad könnte sie sich anfreunden, glaube ich. Das Gerät ist sehr reduziert – kein Multitasking, keine aufwendige Bildbearbeitung. Lange Texte will ich damit nicht schreiben, schon gar nicht, wenn ich parallel mehrere Dokumente als Quellen einsehen muss. Meine Oma will so etwas aber nicht. Sie will meine Artikel im Netz lesen, E-Mails schreiben und vielleicht mal etwas im Französisch-Wörterbuch nachschlagen.

Dem ersten Eindruck nach taugt das iPad dafür besser als jedes Netbook. Erstens bedient man es per Fingerstreich auf den Monitor – und nicht indirekt mit Maus oder Tastatur. Wer seit Jahren Computer bedient, hat mit diesen Eingabegeräten zwar kein Problem. Meine Oma aber schon.

Immer online ohne Modem und Router

Zweitens ist die zumindest in den USA angekündigte Datenflatrate für das iPad eine echte Erleichterung: Wie sollte ich meiner Oma erklären, was ein W-Lan, was ein DSL-Modem ist, warum sich das Netbook einloggen muss und die Verbindung manchmal streikt und all das nur daheim funktioniert. Ein Gerät, das ohne Extras immer und überall online ist, versteht jeder. Surfen und Mailen ohne einen DSL-Anschluss bezahlen und installieren zu müssen – das ist für Gelegenheitsnutzer ein durchaus attraktives Angebot.

Deshalb würde ich meiner Oma ein iPad schenken.

Ob Apple computerferne Kunden damit im Blick hat und erreichen kann, ist eine noch offene Frage. Aber die Erfolgschancen sind erheblich höher als bei den Netbooks, die seit Jahren als günstige Jedermann-Computer gelten. Der Charme des EeePC und aller Nachfolger war die Mischung aus günstigem Preis, kleiner Bauform und durch die Hardware vorgegebener Beschränkung auf Alltagsanwendungen. Allein: Echte Jedermann-Rechner sind Netbooks nicht. Sie sehen aus wie Klapp-Computer seit 20 Jahren aussehen, nur etwas kleiner. Und sie sind für computerferne Menschen so umständlich zu bedienen wie es Klapp-Rechner seit 20 Jahren sind.

Apple als Türsteher

Netbooks haben gezeigt, dass günstige, charmante und gar nicht so leistungsstarke Rechner extrem viel Zuspruch finden und neue Zielgruppen erschließen können. Ich kenne Netbook-Nutzer, die vorher gar keinen Computer hatten und mit dem schmalen Leistungsangebot ihres Netbooks völlig zufrieden sind.

Das iPad könnte ähnlich gut ankommen – vorausgesetzt, die Preise sind in Deutschland nicht viel höher als in den Vereinigten Staaten, vorausgesetzt, die Datenflatrate ist billig genug, um mit DSL-Anschlüssen zu konkurrieren.

Der Preis, den die iPad-Käufer dafür zahlen: Das Gerät ist nicht so offen wie ein Standard-PC oder Mac. Man kann nur Software von Apples Gnaden aus dem App Store installieren, Programme aus dem freien Web bleiben außen vor. Das wird dem Durchschnittsnutzer wohl nicht weh tun, Apple aber umso mehr nützen: Sollte das iPad tatsächlich ein Jedermann-Computer werden, ist Apple der Torwächter für alle Software-Programmierer, aber auch für Buchverlage, Musikanbieter, Medienhäuser und Filmstudios, die den iPad-Nutzern etwas verkaufen wollen.

Für mich ist das iPad deshalb nichts, meiner Oma schenke ich eins.

Zum Glück kann sie diesen Text noch nicht lesen.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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