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Apples Image: Werkzeuge des Guten (Spiegel Online, 7.10.2011)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Apples Image

Werkzeuge des Guten

Apple gibt sich gerne revolutionär. Kauf einen Mac, verändere die Welt! Selbst mit Milliardenumsätzen bewahrt sich der Konzern dieses Image. Die Botschaft: Gesellschaftliche Machtverhältnisse sind irrelevant – wer das richtige Gerät nutzt, schafft alles. Aber ist das wirklich Gegenkultur?

SPIEGEL ONLINE, 7.10.2011

{jumi [*3]}

Als Steve Jobs 2005 dem Abschlussjahrgang der Stanford-Universität Worte fürs Leben mit auf den Weg gab, schloss er mit diesem nun so oft zitierten Satz: “Bleibt hungrig. Bleibt tollkühn.” Steve Jobs hatte ihn sich geborgt – er stammt von der Rückseite der 1974 erschienen Ausgabe des “Whole Earth Catalog”, dem Evangelium einer besonderen US-Gegenkultur.

Jobs erzählte den Stanford-Studenten, der Katalog sei “eine der Bibeln” seiner Generation gewesen. Das von 1968 an verlegte Heft führte allerlei Werkzeuge auf, die den Gründern von Kommunen beim Aufbau einer neuen Gesellschaft helfen sollten – und überhöhte die Produkte zu Werkzeugen des Fortschritts. Der “Whole Earth Catalog” führte neben Zelten, Sägen und Töpfereizubehör auch Synthesizer und später auch die ersten Heimrechner auf.

Im Katalog sollten die Privat-Revolutionäre Dinge finden, die “relevant für die unabhängige Bildung” sind, wie es in der Einleitung einer Ausgabe von 1969 heißt. Damals zogen viele US-Studenten oder von der Studentenbewegung mitgerissene Menschen aufs Land, um fortschrittliche, freie Lebensformen zu erproben. Statt für ein besseres Leben nur zu demonstrieren, fingen sie im Privaten einfach damit an. Der “Whole Earth Catalog” war Ausdruck einer Weltanschauung, die bis heute wirkt.

Börsenkonzern mit der rebellischen Kraft der Gegenkultur

Dank dieser hat Apple es geschafft, selbst als börsennotierter Konzern mit Milliardenumsätzen als rebellische Kraft der Gegenkultur zu gelten – obwohl Apple seine Kunden zu immer neuen Ausgaben drängt, seine Produkte zu Profitmaschinen ausbaut und Nutzer im eigenen Ökosystem aus Geräten, Software und Inhalten gefangen hält. Die Akkus sind fest verbaut, die glänzenden Oberflächen zerkratzen schnell, die Arbeitsbedingungen bei Apples Subunternehmern sind mit Sicherheit nicht die besten – so geht Kapitalismus.

Trotzdem entstand der Eindruck, dass diese Firma Produkte nicht primär entwirft, um Geld zu verdienen – sondern um die Welt zu verändern, zum Guten.

Freiheit ist vor allem die Freiheit des Markts

Das ideologische Fundament dieser Wahrnehmung findet sich schon im “Whole Earth Catalog”. Die Botschaft dieser Bibel der Generation des Steve Jobs lässt sich in drei Leitsätzen zusammenfassen:

  • Gesellschaftliche Zusammenhänge sind irrelevant: Jeder Mensch für sich kann im privaten Handeln eine bessere Welt schaffen.
  • Technik-Glaube: Wer das richtige Werkzeug nutzt, kann alle Widrigkeiten überwinden. Technik ermächtigt Individuen, sich gegen den Staat, gegen das Bildungssystem, gegen Kirchen zu behaupten.
  • Der Staat ist der Feind, Freiheit ist vor allem die Freiheit des Markts.

Diese Glaubenssätze übernahmen Protagonisten der digitalen Revolution wie Steve Jobs von den Kommunarden. Der Herausgeber des “Whole Earth Catalog” Stewart Brand schrieb später: “Vergesst die Antikriegsdemonstrationen, Woodstock, sogar die langen Haare. Das wahre Erbe der Generation der Sechziger ist die Computerrevolution.”

Der Sachbuchautor Fred Turner beschreibt diese Gemeinsamkeiten in seinem Standardwerk “From Counterculture to Cyberculture” so: “Die Regierung, gefürchtet als bedrohlicher bürokratischer Gigant, drohte in ihren Augen das Individuum zu zerstören, Erlösung boten Information, Technologie und der freie Markt.” Für diese Geisteshaltung prägten die britischen Politologen Richard Barbrook und Andy Cameron in einem Essay 1995 den Begriff “kalifornische Ideologie.”

Technik als Werkzeug zur Selbstermächtigung

Ideologie verschleiert konkrete Interessen und Machtkonstellationen mit einer universellen Behauptung, wie alles auf eine bestimmte Art für alle besser wird. Barbrook und Cameron werfen den Vertretern der kalifornischen Ideologie vor, ihre utopische Vision basiere “auf der Blindheit gegenüber Rassismus, Armut und Umweltzerstörung”.

Steve Jobs war ein prototypischer Vertreter der kalifornischen Ideologie. Er liebte Technik, er begann seine Karriere als IT-Mogul mit langen Haaren ohne Studienabschluss. Jobs formulierte immer wieder seinen Glauben an die Technik als Werkzeug zur Selbstermächtigung des Menschen.

Tatsächlich kann Apple auf Erfolge verweisen: Der App-Store ermöglicht unabhängigen Entwicklern, eine zündende Idee vorausgesetzt, hübsche Einnahmen. Nachwuchsmusiker können über den iTunes-Store ihre Werke direkt an die Kunden bringen. Vergleichsweise günstige Software zum Filmschnitt gibt Hobbyregisseuren Werkzeuge in die Hand, die in Hollywood für Blockbuster genutzt werden. Einige Apple-Geräte helfen zum Beispiel Sehbehinderten bei der Kommunikation – und sie nehmen vielen Menschen ein Stück weit die Angst vor neuer Technik.

“Computer sind Fahrräder für unseren Geist”

1990 erzählte Steve Jobs Journalisten bei einem Interview diese Geschichte: Wissenschaftler haben untersucht, welche Lebewesen auf der Erde ihre Energie am effizientesten zur Bewegung einsetzen. Der Kondor schnitt am besten ab, die Menschen waren im unteren Drittel der Rangliste – solange sie zu Fuß unterwegs waren. Als man den Kraftaufwand eines Fahrradfahrers analysierte, war diese Kombination dem Kondor weit überlegen. Jobs schlussfolgerte: “Computer sind das bemerkenswerteste Werkzeug, das wir erschaffen haben. Sie sind die Fahrräder für unseren Geist.”

Das Werkzeug erweitert das Bewusstsein, und dieses Werkzeug kann jeder kaufen.

Apple hat in seinen Werbekampagnen immer wieder mit den ideologischen Versatzstücken der Technikutopisten gespielt: 1984 lief in einem Apple-Werbespot eine junge Frau in roten Hosen durch eine Welt, die jeder aus George Orwells Dystopie “1984” kannte: Graue Menschen laufen da in unendlich langen Reihen an Monitoren vorbei, graue Menschen starren auf einen riesigen Bildschirm und lauschen dem Big Brother. Die junge Frau schwingt einen Hammer, wirft ihn dem Bild des Machthabers entgegen. Eine Explosion, dann ist ein bunter Apfel zu sehen, und wir wissen: Mit dem Macintosh von Apple wird alles gut – 1984 werde nicht “1984” sein, versprach die Firma damals.

Kauf einen Mac, verändere die Welt

1997 feierte Apple sich in der Werbekampagne “Think Differnt” als Produzent der Fortschrittswerkzeuge: Albert Einstein, Buckminster Fuller, Thomas Edison, Muhammad Ali, Mahatma Gandhi, Pablo Picasso und viele andere prominente Querdenker waren da zu sehen – die “Verrückten, die “Rebellen”, wie der Sprecher im Off sie beschreibt. Apple huldigt ihnen: “Während einige sie als die Verrückten sehen, sehen wir Genies. Denn Menschen, die verrückt genug sind zu denken, sie könnten die Welt verändern, sind diejenigen, die sie tatsächlich ändern.”

In dieser Werbebotschaft fehlt jeder Hinweis auf ein konkretes politisches, gesellschaftliches Ziel – ebenso fehlen nicht-konsensfähige Querdenker wie Bakunin, Marx oder Peter Singer. Das ist nur konsequent: In den sechziger Jahren war der Besitz eines der Produkte aus dem “Whole Earth Catalog” das Mittel zu einem Zweck. Auch wenn das Projekt Befreiung in den Kommunen vage definiert war, zogen die Hippies doch immerhin aufs Land, um was auch immer dort zu versuchen.

Apple hat die Botschaft etwas verkürzt: Der Besitz des Werkzeugs ist der Zweck.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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