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Atommüll auf der Deponie? (taz-ruhr, 18.2.1999)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Atommüll auf der Deponie?

In Hünxe sollen siebzig Tonnen strahlender Abfall entsorgt werden – von der Bezirksregierung als Sondermüll deklariert

taz-ruhr, 18.2.1999

Waldaustraße klingt nach ländlicher Idylle. Aber hier im Norden des Reviers, in den Gemeinden Schermbeck und Hünxe, liegt statt eines Hains die NRW-Zentraldeponie der Abfallentsorgungsgesellschaft Ruhrgebiet (AGR), einer Tochterfirma des Kommunalverbandes Ruhrgebiet (KVR). 35 Hektar Platz für allen erdenklichen Haushalts- und Sondermüll. Demnächst vielleicht auch für siebzig Tonnen Atommüll, – wenn ihn die Bezirksregierung Düsseldorf offiziell zu Sondermüll deklariert.

Ein entsprechender Antrag der Krefelder Firma Siempelkamp Umwelt- und Nukleartechnik (SNU) liegt seit Ende November 1998 bei der Bezirksregierung vor. Ebenso die grundsätzliche Einverständniserklärung der AGR vom 24.11.98 an SNU, den strahlenden Müll in Schermbeck zu deponieren, wenn der aus der Entsorgung nach Atomrecht entlassen wird. Die betroffenen Gemeinden Hünxe und Schermbeck erfuhren von den Plänen aber erst Anfang Februar. Nicht etwa vom Betreiber ,oder der Bezirksregierung, sondern durch eine der Grünen- Landtagsfraktion anonym zugespielten Kopie des Antrags.

"Eine Unverschämtheit", ist für Hünxes Bürgermeister Hermann Hansen diese Informationspolitik. Immerhin geht es um 400 Fässer mit 200 Liter Inhalt geringfügig radioaktiven, uranhaltigen Abfalls. Entstanden sind die bei COMAS- Kernschmelzversuchen für den europäischen Druckwasserreaktor EPR.

"Die AGR hat mit einem einfachen Schreiben ihre Zustimmung zu diesem hochbrisanten Vorgang gegeben, ohne die Kommunen zu informieren", empört sich Rainer Eickel-Schulte, Sprecher der Gemeinde Schermbeck. "Ende der 80er Jahre hat das Vertrauensverhältnis schon einmal gelitten, als die Gemeinden über die Annahme PCB- verseuchten Erdreichs erst im nachhinein informiert wurden." Damals wurde ein Deponiebeirat eingerichtet, zur Verbesserung des Informationsflusses zwischen AGR, Parteien und Kommunalverwaltung. Getagt hat der zuletzt Ende Dezember, – ohne daß die AGR die Zusage an SNU zur Sprache brachte.

Die Aufregung kann AGR- Sprecher Heinz Struszczynski nicht verstehen: "Im Deponiebeirat kommen gravierende Fragen zur Sprache. Es ist nicht üblich, daß man die Gemeinden über solche Details informiert. Karstadt informiert doch auch nicht über jede neu angelieferte Waschmaschine. Außerdem gibt es ja auch kein Mitbestimmungsrecht der Gemeinden." Die AGR sieht Struszczynski nur am Ende der Entscheidungskette. Man werde ja nur einlagern, wenn die Bezirksregierung den Müll aus dem Atomrecht entläßt.

Seit Ende November liegt dort der Antrag der SNU vor. Auch Hauptdezernent für Abfallwirtschaft, Karl- Hermann Köster, ist die Aufregung in Hünxe unbegreiflich: "Es liegt doch gar kein Antrag der SNU auf eine Lagerung dort vor, nur die Anfrage ans Dezernat für Arbeitsschutz, die Abfälle aus dem Atomrecht zu entlassen." Im Antrag der SNU heißt es jedoch: "Gemäß §83 (…) beantragen wir hiermit die Genehmigung zur deponierung der Abfälle auf einer Sonderdeponie. Die Erklärung des Deponiebetreibers (der AGR, Anm. d. Verf.), diese Abfälle anzunehmen und eine dauerhafte Deponierung, über die genehmigte Betriebszeit der Deponie zu gewährleisten, ist dem Antrag als Anlage 1 beigefügt." Hünxe ist explizit für die Lagerung vorgesehen.

Auch im Dezernat für Arbeitsschutz sah man keine Veranlassung, die Gemeinden zu informieren. Hauptdezernent Manfred Finken: "Normalerweise informieren wir die Gemeinden. Aber der Antrag der SNU war noch gar nicht vollständig." Dr. Manfred Sopock, technischer Geschäftsführer der SNU, wertet das als "Ausrede der Bezirksregierung, die Entscheidung zu verzögern. Eigentlich rechnen wir in zwei Wochen mit einem Urteil."

Zur Zeit prüfen Bezirksregierung, Landesarbeits- und Umweltministerium die Entlassung aus dem Atomrecht. "Ein ganz normaler Verwaltungsvorgang" ist das für die SNU laut Geschäftsführer Oliver Werner. Schließlich lägen die Strahlungswerte unter den Grenzwerten des Atomrechts. In Hünxe regt sich Widerstand gegen den Verwaltungsvorgang. Ein einstimmiger Ratsbeschluß fordert das Zurückziehen der Deponierungszusage und die Nicht-Entlassung aus dem Atomrecht. Bürgermeister Hansen: "Auf der Deponie haben strahlende Abfälle nichts zu suchen. Das ist keine Frage von Grenzwerten." Immerhin hat die Landessammelstelle für radioaktive Stoffe Jülich die Annahme der COMAS-Abfälle verweigert. Im Schreiben an SNU vom 20.10.1997 heißt es, die benannten Abfälle müßten "nach Prüfung der Menge und Inhaltsstoffe von hier als problematisch eingestuft werden". Harald Stahlschmidt, Leiter der Sammelstelle, erläutert: "Wir entsorgen hier Abfälle aus dem Labor- und Krankenhausbereich, die, vom Gesetzgeber als weniger gefährlich eingestuft, unter die Strahlenschutzverordnung fallen. Abfälle aus der Kernenergie (wie die der SNU, Anm. d Verf.) fallen hingegen unters Atomrecht. Die Entsorgung bei uns wäre auch wegen der Menge problematisch: "Siebzig Tonnen sind mehr, als hier jemals endgelagert werden können."

In Schermbeck mobilisierte die BUND-Ortsgruppe am vergangenen Freitag 300 der 13500 Anwohner zu einer Demonstration gegen die AGR- Pläne. Initiator Jürgen Kruse: "Wir befürchten, daß hier mit grünem Licht von Wirtschaftsministerium und Regierungspräsident ein Beispiel durchgezogen werden soll, um vielleicht zukünftig so den Atommüll zu entsorgen."

Interessant in dem Zusammenhang, daß, laut SNU und AGR, die SNU, als sie sich im Vorfeld des Antrags nach einer Deponie zur Entsorgung umschaute, von der Bezirksregierung an die AGR verwiesen wurde. Bernd Hamacher, Sprecher der Bezirksregierung kann "das so nicht bestätigen". Auch haben bisher weder SNU noch AGR leicht verstrahlten Atommüll über eine Entlassung aus dem Atomrecht entsorgt. Laut NRW- Arbeitsministerium ist es dies der erste Antrag auf Entlassung in NRW. Basis ist ein Erlaß des Bundesumweltministeriums vom Mai 1998, über die Entlassung schwach radioaktiver Stoffe aus dem Atomrecht. Ministeriumssprecher Martin Waldhausen kommentiert den SNU-Antrag: "Das ist ein Spezialfall, zu dem nichts abschließend gesagt werden kann."

AGR-Sprecher Struszczynski schätzt die Lage so ein: "Es drängt sich der Eindruck auf, daß die Bevölkerung gegen die Deponie aufgehetzt werden soll. Hier geht es um den Konflikt in der Landesregierung, ob NRW Entsorgungsmöglichkeiten für Sondermüll zur Verfügung stellt oder ihn teuer exportiert." Da sind sich Sozen und Ökos wohl kaum einig.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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