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Auferstanden aus der Hölle Hollywoods (Bücher Magazin, 3/2005)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Auferstanden aus der Hölle Hollywoods

Ihr Vater war eine Kinolegende. Tatum O’Neal blieb immer nur der Kinderstar. Jetzt rechnet sie ab.

Bücher Magazin , 3/2005

Als Kind gewann sie einen Oscar, als Jugendliche war sie ein Star. Dann ging es bergab mit Tatum O’Neals Leben: Heroin, Entzug des Sorgerechts für ihre Kinder, kaum noch Filmrollen. Nun blickt sie zurück – und ganz tief in die Seele Hollywoods.

Im ärmlichen San Fernando Valley, im Dunkeln hinter den Hügeln Hollywoods läuft 1968 ein fünfjähriges Mädchen barfuß mit seinem kleinen Bruder einen staubigen Highway entlang. In einem Kopfkissenbezug schleppen sie etwas Essen mit, haben keine Ahnung, wo sie hin sollen. Einfach weg. Weg von der verfallenen Ranch, wo ihre Mutter sich mit Alkohol und Speed zudröhnt, wo es für die Kinder manchmal Fastfood und manchmal nur Hundefutter gibt. Die Mutter ist die bekannte Schauspielerin Joanna Cook Moore. Der abwesende Vater ist Ryan O’Neal, einer der damals bestbezahlten Schauspieler Hollywoods. Und das verwahrloste Mädchen wird nur fünf Jahre später zur jüngsten Oscar-Gewinnerin aller Zeiten, zum zehn Jahre alten Superstar Tatum O’Neal.

Heute ist Tatum O’Neal 41 Jahre alt und als Schauspielerin wenig erfolgreich. Ein Millionenpublikum hat sie nur, wenn sie düstere Geschichten aus ihrem Leben erzählt, Geschichten wie jene Odyssee durchs San Fernando Valley, wie ihren Abstieg bis zu dem Tag, an dem sie sogar zu kaputt dazu war, ihre Heroinspritzen vor der Tochter zu verbergen. Schuld daran ist Hollywood. Der Albtraumfabrik macht Tatum O’Neal in ihrem Buch – mehr Anklageschrift als Autobiografie – den Prozess. Hauptangeklagter ist Ryan O’Neal, ihr Vater. Er wurde 1970 mit seiner Rolle eines jungen, sanften Liebenden in »Love Story« zum Superstar. Die Rolle hatte wenig mit der Wirklichkeit gemein. O’Neal rettete seine Tochter zwar von der Ranch im San Fernando Valley, doch er übernahm nie Verantwortung für sie, schubste sie nur herum, herrschsüchtig wie der Menschenschinder General Custer in »Little Big Man«, dem anderen großen Film des Jahres 1970. So erinnert sich zumindest Tatum O’Neal. Besonders schlimm war für sie der Konkurrenzkampf mit dem Vater. Tatum ist neun Jahre alt, als sie mit ihm »Paper Moon« dreht. Der Film erzählt von einem Vater-Tochter-Gespann, das während der großen Wirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre durch die Südstaaten zieht. Die Tochter stiehlt Ryan O’Neal die Show: Sie bekommt den Oscar für die beste Nebenrolle. Er kommt nicht zur Verleihung. »Das Gefühl, das ich am meisten mit dem Oscar verbinde, ist die überwältigende Traurigkeit darüber, von meinen Eltern verlassen worden zu sein«, schreibt die Tochter rückblickend im Zorn. Vergessen hat sie der Vater auch über seine Affären mit all den Stars: Anjelica Huston drehte ihm laut Tatum jahrelang die besten Hasch-Joints. Melanie Griffith erwischte die zwölfjährige Tatum einmal beim Gruppensex mit ihrem Vater, einem Drogendealer und Maria Schneider.

Solche Enthüllungen sind für Tatum O’Neal aber nur ein Zwischenspiel bis zum großen Schlussplädoyer. Darin setzt sie neben ihren Vater den zweiten schrecklichen Mann ihres Lebens auf die Anklagebank: John McEnroe. Die beiden treffen sich im Oktober 1984 zum ersten Mal. Der damals 20 Jahre alte Kinderstar und der beste Tennisspieler der Welt, auf dem Platz auch wegen seiner Wutausbrüche gefürchtet. Ein Mann, der Vater O’Neals Platz einnehmen kann. McEnroe und O’Neal heiraten 1986, bekommen bis 1991 drei Kinder, trennen sich 1992. McEnroe lässt ihr später wegen ihrer Drogensucht das Sorgerecht entziehen. Tatum O’Neal klagt, dass sie ihre zwei Söhne und die Tochter nie ohne Aufsicht sehen dürfe. Bloß weil »Drogen in New York dämonisiert werden«, bloß weil sie McEnroe »wie David gegen Goliath, nur ohne die Schleuder« gegenüberstehe.

Tatum O’Neal ist das Opfer. Das Opfer der ganzen ungerechten Welt. Dieser Tenor ihres Buches klingt nach den Leiden eines Teenagers. Und vielleicht ist Tatum O’Neals Geschichte wirklich die eines ewigen Kinderstars. Und doch sind all die schmutzigen Erzählungen mehr. Ein trauriger Blick tief in die Seele Hollywoods, wo der Kraftstoff und die schlimms-te Krankheit dieser Welt eins sind: Eitelkeit, Selbstbezogenheit, die Sucht nach Ruhm. Nach jenem Gift, das der Mensch laut Honoré de Balzac nur in kleinen Dosen verträgt. Tatum O’Neal bekam davon bei der Oscar-Verleihung mit zehn Jahren eine kräftige Überdosis.

Seitdem stand sie nie wieder in so gleißendem Scheinwerferlicht. Erst bei der Vorstellung ihrer Autobiografie rissen sich die Fernsehsender wieder um sie. Ob ihre wilden Anschuldigungen stimmen, interessiert nicht. Die großen Namen sind wichtiger. All die Aufmerksamkeit bekommt Tatum O’Neal nur wegen ihrer Geschichten über Ryan O’Neal, über John McEnroe, über die Männer also, aus deren Schatten sie treten wollte, um einmal einfach nur als Tatum O’Neal gefeiert zu werden, nicht als Tochter, als Ehefrau oder als das wilde Kind von Hollywood.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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