Augen und Eier (taz, 13.11.2000)
Augen und Eier
Die TV-Designer haben ihre „Eyes and Ears Awards 2000“ verliehen – und dabei Einblicke in die Agenda des Fernsehens gewährt.
taz, 13.11.2000
Es hat viel mit Kaffeebechern zu tun. Den gefüllten Kaffeebechern zum Beispiel, die CNN-Redakteure ab und an im Hintergrund der Nachrichtensendung an ihre Schreibtische tragen. Und mit den Blättern, die sie durchs Büro hetzend in Händen halten. Das ist kein Zufall, sondern TV-Design. Die Kaffeebechern bezeichnen Arbeit, das gehetzte Papier schnelle Nachrichten. Das ist das CNN-Konzept: Bilder einer hyperrealen, objektiven und wahren Welt.
Was Fernsehdesign noch ist, war bei der diesjährigen Verleihung der „Eyes and Ears Awards“ am Ende der Münchener Medientage zu sehen. „Eyes and Ears of Europe“ ist der 1995 in Köln gegründete Berufsverband der europäische Sender und TV-Designer. 21 Preise wurden verliehen.
Ein netter alter Mann, der ebenso gut auf der Trabrennbahn wetten könnte, steht auf einer saftig grünen Wiese, trimmt mit der Nagelschere einen widerspenstigen Halm zurecht. Ein Fußball fliegt ins Bild. Spieler rennen über die Wiese. Nahaufnahme: Die Spikes an ihren reißen das Grün entzwei, wie bei einem Messerschnitt das Fleisch, quillt braune Erde hervor. Das ist der Gewinner „Beste Neuerung senderbezogenes Corporate Design on air“. Das Deutsche Sportfernsehen ist eben mittendrin statt nur dabei. Das Fernsehen rammt die Pflöcke seiner mediatisierte Realität in der Alltagswirklichkeit ein. Auch wenn es auf einer Vorgartenwiese ist.
Die Kolonialisierung der Welt stand nicht immer auf der Agenda der TV-Designer. Als es deutschen Haushalt nur drei Sender gab, kündigten noch nette Damen das folgende Programm an. Auch Werbetrenner, die den Übergang von Programm zu Produktinformation so sanft wie irgend möglich gestalten waren damals nicht nötig. Erst mit dem Privatfernsehen 1984 kam die Notwendigkeit, aus Sendern Marken zu machen. Schließlich ließ die ARD das seriöse, qualitätsversprechende Tiefblau der Tagesschau auf das restliche Programm überschwappen. Und die Osterhäschen, die einst durch die RTL-Werbung zu Ostern hoppelten, wirkten – nun ja, irgendwie anders. Wenn auch nicht unbedingt erfrischend.
Heute ist bei über 30 Fernsehprogrammen im durchschnittsdeutschen Fernsehhaushalt mehr Kreativität gefragt. Bei der diesjährigen „Eyes and Ears“ Preisverleihung nannte Martin Gebrande von der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien (BLM) die Vorstellung von Design als Verpackung ein Klischee. Vielmehr sei es ein Service für den Zuschauer.
Einerseits ist da nichts gegen zu sagen. Andererseits kann man die Versuche, die Alltagswirklichkeit mit Hilfe einer Fernsehästhetik zu kolonialisier auch nicht so stehen lassen. Pro 7 etwa zeigte diesen Sommer Kurzspots unter dem Motto „Gut, dass sie zuhause geblieben sind“. In einer Kurzsoap konnte man sehen, was im Urlaub einer Familie so alles schief lief. Lieber Fernsehen schauen, da ist der Strand eh besser. Die ARD – Gewinner „Bestes Werbetrenner- oder Senderkurzkennungspaket“ – hat diesen neuen Anspruch des Fernsehens auf die Welt des Zuschauer überlegter visualisiert: Die Kamera fährt in einen Wald. Fernseher stehen umher, auf den Schirmen sind Fußballer zu sehen. Dahinter, auf einer nebligen Lichtung spielen tatsächliche Spieler. Die Kamera jedoch stoppt vor den Fernsehern, die Lichtung bleibt verschwommen.
Die Frage, ob Bild und Abgebildetes einigermaßen deckungsgleich sind, wird nicht gestellt. Warum auch. Ähnlich verhält es sich mit den Nachrichten bei CNN. Natürlich wird nicht gelogen – aber inszeniert. Die Nahost-Korrespondentin der Zeit Gisela Dachs, hat degleichen beschrieben: In Bethlehem lieferten sich Palästinenser und israelische Soldaten aus der Distanz ein Tränengas und Steinwurf Gefecht. Das ritualisierte Katz-und-Maus-Spiel. Und mittendrin ein Pferd. Einfach so. Gelassen stand es auf der Straße zwischen den Fronten. Aber in den Nachrichten war das Pferd nicht zu sehen. Die Kamerateams warteten, bis es von dannen trottete – schließlich erwartet man aus den Palästinenser-Gebieten Gefechte, nicht Pferde. Von den gut 350 ausländischen Korrespondenten in Israel hockt bei solchen Unruhen in den Palästinenser-Gebieten ein Großteil in Jerusalem und schaut CNN. Sie schreiben folglich Pferdeloses. Wer da eine Geschichte anbietet, die aus dem Rahmen fällt – wie ein Tier, dass einfach so herumsteht – hat es schwer, seine Berichte abzusetzen, meinte Dany Scheikh, ehemaliger Sprecher des israelischen Außenministeriums.
Sehr merkwürdig wird so etwas, wenn selbst der BLM- Vertreter Gebrande „Big Brother“ unter Gesichtspunkten der Menschwürde und des Jugendschutzes „fragwürdig“ nennt, im selben Atemzug aber das Format aus „Verpackungsperspektive vorbildlich“ nennt. Sind denn Design und Menschenwürde unabhängig? Muss der Bezug zwischen Bild und Abgebildetem nicht ständig thematisiert werden, statt beide unabhängig voneinander stehen zu lassen?
Ungeachtet dessen wird die Alltagswirklichkeit nicht nur auf einer ästhetischen Ebene vom Fernsehen kolonialisiert. Der Gewinner „Beste integrierte Programm Promotion- Kampagne“ Sat 1 hat etwa bundesweit 5800 Plakatwände und Citylightflächen vor Schulen mit Werbung für das neue Kinderprogramm am Samstagvormittag belegt. Eine Zeile des Werbeliedes fürs Radio: „Häng dich einfach vor die Glotze“. Super RTL verwandelt recht erfolgreich das Internet in einen Fernsehkanal. Die Seite mutet mit ihre rechteckigen Flächen schon optisch wie Fernsehen an. Die aktive Rolle des Rezipienten beschränkt sich auf Spiele. Dafür gab es den Preis „beste senderbezogene Homepagegestaltung“. Vom eigentlichen Gedanken des Netzes als Diskursmedium ist da nichts zu spüren.
TV-Designer sind jedoch nicht dumm. Manchmal sogar selbstironisch. Die „Beste Programm Promotion- Kampagne on air“ von Pro 7 zu Ostern entlarvt mit Hilfe eines gelben Eis die Einfachheit, mit der das Fernsehen Bilder abhandelt und einverleibt. Etwa Forrest Gump. Die Ausstrahlung des Films wurde an den Feiertagen im Programm von Pro 7 so beworben: Ein gelbes Ei sitzt auf einer Bank und hat eine Baseballmütze auf. „Ich bin Forrest“.
So viel zu Einverleiben und Abbilden von Realität. Im CNN-Studio in Atlanta, wo so viel Kaffee durch die Gegend getragen wird, gibt es keine Fenster.