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Ausgeknackt - Napster ist tot, getauscht wird weiterhin- wie lange noch (Tagesspiegel, 17.04.2002)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Ausgeknackt

Napster ist tot, getauscht wird weiterhin – wie lange noch? Neue Gesetze und Techniken könnten das Ende für weit mehr bedeuten

Tagesspiegel, 17.04.2002

Schon bald könnte ein alter Walkman mehr wert sein als ein neuer MP3-Player – zumindest für diejenigen, die ohne größeren Aufwand ihre heimischen CDs kopieren und unterwegs hören wollen. Neue Gesetze und Technologien widersprechen der noch weit verbreiteten Ansicht, die Wirksamkeit des Urheberrechts sei bedroht. Im Gegenteil: In diesem Jahr könnte das Fundament für eine nie gekannte Kontrollmacht der Urheber entstehen. Ein vor kurzem von Demokraten und Republikanern in beiden Kammern des US-Kongresses eingebrachter Gesetzesentwurf könnte die seit 1998 geltende Rechtslage noch einmal verschärfen: Jede Form von Hard- und Software soll zwingend Maßnahmen zum Kopierschutz enthalten. Europa bewegt sich in eine ähnliche Richtung. Bis Jahresende müssen die EU-Staaten eine Richtlinie in nationales Recht umsetzen, die stark an amerikanische Vorbilder erinnert.

Vergleicht man Passagen der EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft (2001/29/EG) mit dem noch geltenden deutschen Urheberrecht, wird der bevorstehende Paradigmenwechsel deutlich. Im deutschen Urheberrecht sind die Vermarkter geistigen Eigentums – also beispielsweise Verlage – dem Urheber nachgeordnet. Die Rechte ihrer Musiker oder Autoren können sie nur infolge von Verträgen stellvertretend wahrnehmen. Die EU-Richtlinie jedoch stellt Urheber und Vermarkter auf dieselbe Ebene. Wenn bei der Kontrolle des Vervielfältigungsrechts nicht nur von Urhebern, sondern auch explizit von „Tonträgerherstellern“ die Rede ist, kann man sich denken, von wem die Richtlinie inspiriert wurde.

Der Einfluss der Vermarkter ist auch in anderen Artikeln der Richtlinie klar zu erkennen. Das deutsche Urheberrechtsgesetz schränkt die Rechte der Urheber klar ein. In bestimmten Ausnahmefällen, zum Beispiel im Bildungsbereich, darf ein Werk auch ohne ihre Zustimmung vervielfältigt werden. Auch Vervielfältigungen zum privaten Gebrauch sind zulässig, über deren Ausmaß schweigt das Gesetz sich aber aus.

Vergleichbare Ausnahmeregelungen – deren Übernahme jedoch den EU-Staaten freisteht – zählt auch die EU-Richtlinie auf. Dennoch unterscheidet sie sich fundamental vom deutschen Urheberrecht. Zum einen verkehrt sie das deutsche Prinzip, dass grundsätzlich jede nicht ausdrücklich verbotene Nutzung erlaubt ist, ins Gegenteil: Was die Richtlinie nicht ausdrücklich zulässt, ist verboten. Zum anderen aber garantiert die Richtlinie nicht, dass es tatsächlich möglich ist, legale Kopien herzustellen. Zwar tut dies das deutsche Urheberrecht ebenso wenig, sondern duldet so etwas lediglich. Entscheidend dabei aber ist, dass die Umgehung von Maßnahmen zum Kopierschutz nach deutschem Recht nur dann illegal ist, wenn sie einem illegalen Zweck dient.

Die EU-Richtlinie hingegen verbietet jedes Umgehen von Kopierschutzmaßnahmen. Somit unterliegen alle Ausnahmen von der völligen Kontrolle des Vervielfältigungsrechts letztlich doch wieder der technischen Kontrolle der Urheber, beziehungsweise der Vermarkter. Sollten sie die Nutzungsmöglichkeiten übermäßig einschränken, sieht die Richtlinie zwar vor, dass die EU-Staaten aktiv werden. Aber ob diese zaghafte Einschränkung genügt, darf bezweifelt werden, wenn man die Entwicklung in den USA betrachtet.

Was dort geschehen ist, seit 1998 der „Digital Millenium Copyright Act“ in Kraft trat, kann ein abschreckendes Modell für die europäische Zukunft des Urheberrecht in der Informationsgesellschaft sein. Der DMCA verbietet wie die EU-Richtlinie das Umgehen von Kopierschutzmaßnahmen. Die Folgen: Wegen dieses Gesetzes haben US-Wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse zurückgehalten, sind ausländische Programmierer auf Fachtagungen verhaftet worden, konnte Scientology Links zu Kritikern einfach aus Suchmaschinen löschen lassen (siehe Tagesspiegel vom 27.März).

Diese Konsequenzen waren schon 1998 absehbar. Der Juraprofessor Lawrence Lessig von der „Stanford Law School“ zum Beispiel warnte in seinem 1999 erschienen Buch „Code": „Für uns beginnt keine Zeit, in der das Urheberrecht stärker gefährdet ist als im realen Raum, sondern eine Zeit, in der das Urheberrecht sich besser schützen lässt als jemals zuvor.“ Die Entwicklung seitdem bestätigt die damaligen Befürchtungen. Auf den ersten Blick überdeckt die enorme Popularität der Tauschbörsen dies. Nur wird das größtenteils kriminelle Treiben dort in kurzer Zeit ein Ende haben. Die Weichen dafür sind längst gestellt. Einen absolut sicheren Kopierschutz kann es natürlich nicht geben. Aber das Knacken kann mit Hilfe von Gesetzen wie dem DMCA und der EU-Richtlinie sehr schwer gemacht werden. Genau das scheint auch das Ziel der Musik- und Filmindustrie zu sein. Jack Valenti, der Vorsitzende des Hollywood-Interessenverbandes MPAA sagte einmal: „99 Prozent der Amerikaner sind keine Hacker. 98 Prozent sind bereit, für ein Produkt zu zahlen, wenn sie ein faires Angebot erhalten, statt es illegal kostenlos zu erhalten." Dabei helfen nicht nur Gesetze, sondern auch neue Technologien. Zwei Unternehmensallianzen arbeiten an Verfahren, die nicht mehr bei der Verschlüsselung der Inhalte, sondern der Wiedergabe ansetzen.

Derselbe einfache Gedanke steckt hinter dem System „5C“ der Firmen Hitachi, Intel, Matsushita, Sony und Toshiba und „Smartright“ von Thomson Multimedia: Ein Chip in der Stereoanlage, dem Videorekorder, dem PC oder dem Fernseher entschlüsselt zum einen die Inhalte, zum anderen erkennt er, ob das dann entschlüsselte Signal überhaupt übertragen werden darf. Gestreamte Musik mitzuschneiden und dann zu brennen, dürfte mit solchen Geräten schwierig werden. Microsoft hat sogar seit letztem Dezember in den Vereinigten Staaten das Patent auf ein Betriebssystem, das vollkommen auf Digital Rights Management (DRM) – mit anderen Worten die Verhinderung der illegalen Nutzung von Inhalten – zugeschnitten ist.

Natürlich ist das hinter alldem stehende Anliegen der Musik- und Filmindustrie berechtigt. Was ohne jedes kriminelle Bewusstsein in Tauschbörsen geschieht, ist oft schlicht Diebstahl. Als unberechtigt kritisieren Juristen wie Lessig jedoch das aktuelle Vorgehen gegen dieses Treiben. Denn neue Verschlüsselungstechniken und Gesetze transferieren keineswegs die bestehende Balance zwischen Urheberrechten und -pflichten ins digitale Zeitalter. Stattdessen stellen sie die Möglichkeit des Kopierens und Zitierens für private und wissenschaftliche Zwecke der Willkür der Rechteinhaber anheim.

Vielleicht sollte man sich bei der Umsetzung der EU-Richtlinie in Deutschland neben der Entwicklung in den Vereinigten Staaten auch daran erinnern, was das Grundgesetz sagt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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