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Barbies Fleisch (Süddeutsche Zeitung, 31.3.2001)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Barbies Fleisch

Englisch ist die Weltsprache – und genau darum zerfällt sie

Süddeutsche Zeitung, 31.3.2001

Barbies kann man nicht nur Kleidchen anziehen. Auf „barbies“ kann man auch grillen. Allerdings nur in Kalifornien und Australien – andernorts versteht man die doppelte Bedeutung der oder des „barbie“ nicht. In Australien ist das eine allgemein gebräuchliche Verkürzung des „barbecue“, auf dem man im Garten Garnelen brutzelt. Anfang der achtziger Jahre begann das Land, recht penetrant in Kalifornien um Touristen zu werben. Mit dem Slogan: „Gooday – Put a shrimp on the barbie“. In Großbritannien gab es diese Kampagne nie, und so schaut man heute Kalifornier blöd an, wenn sie vom leckeren Barbie-Fleisch erzählen.

Das Problem des Grills und der Puppe zeigt, wie beschränkt die Wahrnehmung des Englischen in Deutschland ist. Während hier die Bedrohung durch eine monolithische Sprache beschworen wird, sind in Großbritannien und den Vereinigten Staaten längst drei Thesen über die Weltsprache Englisch Allgemeinwissen: Englisch muss gar nicht zwangsläufig Weltsprache werden. Eine Weltsprache wird in jedem Land anders gesprochen und verstanden. Und jene Abart, die international einheitlich verwendet wird, hat nichts mit dem Englischen zu tun – ihr Zeichenvorrat reicht zu kaum mehr als der Bestellung eines Burgers.

Englisch soll keine Weltsprache werden? Ist es denn nicht bereits eine? Natürlich. Aber schaut man sich die Gründe dafür an, muss das nicht unbedingt so bleiben. „Diese Sprache hat nichts, was sie als Weltsprache prädestiniert oder besonders nützlich macht – außer dem politischen und wirtschaftlichen Einfluss der Vereinigten Staaten“, erklärte jüngst Jean Aitchison, die in Oxford Sprache und Kommunikation lehrt, bei einer Konferenz über die Zukunft des Englischen. Hinzu kommt natürlich, dass zahlreiche technologische Innovationen und wissenschaftliche Entdeckungen aus englischsprachigen Staaten stammen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein wirtschaftliches Erstarken Südostasiens, Chinas oder Lateinamerikas andere Sprachen zur Weltgeltung bringen könnte.

Tatsache ist aber, dass heute Englisch weltweit als Verkehrssprache dient, dass 80 Prozent der internationalen Organisationen Englisch als Arbeitssprache benutzen, dass sogar 80 Prozent der Seiten im Internet in Englisch geschrieben sind. Selbst in einer Institution wie der Europäischen Zentralbank ist die Arbeitssprache Englisch, obwohl Großbritannien nicht zur Währungsunion gehört.

Nur, welche Sprache wird hier unter dem Begriff Englisch überhaupt erfasst? Das „Standard American-British English“ (SABE) sprechen weltweit 375 Millionen Menschen. Das sind die Muttersprachler. Hinzu kommen nochmal etwa 375 Millionen Menschen, für die Englisch zweite Landessprache ist. Weitere 750 Millionen Menschen kennen das Englische allein als Fremdsprache. Bei den beiden nicht-muttersprachlichen Gruppen entstehen die sogenannten „Oral and Vernacular Englishes“ (OVE). Das sind Mischungen aus SABE, Werbeslogans und den jeweiligen Muttersprachen. In Singapur etwa sagt man: „I was arrowed to paint this wall.“ Aus dem SAB-Englisch übersetzt bedeutet das in etwa: „Ich wurde gepfeilt, die Wand zu streichen“. Allerdings wird in Singapur nicht SAB-Englisch, sondern „Singlish“ gesprochen. Und in „Singlish“ bedeutet „arrow“ als Verb, jemanden zu einer Arbeit zu zwingen, die er nicht tun will.

OV-Englisch entsteht heute auf die selbe Art, wie im Mittelalter das Deutsche als eine Mischung des Lateinischen mit lokalen Sprachen geschaffen wurde. Dergleichen findet sich sogar schon innerhalb des britischen Commonwealth. Ein Neuseeländer etwa sagt „swhakapapa“ statt „genealogy“, wenn er eine Ahnentafel meint. Ebenso wird eine Beerdigung nicht mit „funeral“, sondern mit „tangi“ bezeichnet – ein Begriff aus der Sprache der eingeborenen Maori. OV-Englisch meint aber nicht allein den Gebrauch anderer Zeichen für dasselbe Bezeichnete. Es gibt auch Sinnverschiebungen, etwa bei „hotel“. In Großbritannien und den Vereinigten Staaten kann man dort übernachten. Im südlichen Asien allerdings nur essen – „hotel“ bezeichnet hier dasselbe wie „restaurant“ im SAB-Englisch. Außerhalb der australischen Großstädte gibt es in einem „hotel“ jedoch nur Bier zu trinken, weil „hotel“ dasselbe bedeutet wie „bar“ im SAB-Englisch.

Es gibt kein Englisch mehr – es gibt viele Abarten davon. David Crystal, Herausgeber der „Cambridge Encyclopedia of the English Language“, fasst das so zusammen: „Es ist längst eine Tatsache, dass die englischsprachigen Staaten den Besitz der englischen Sprache aufgegeben haben. “ Das ist der Preis dafür, Weltsprache zu sein – sie gerät außer Kontrolle. Da dies ein bisher einmaliges Ereignis sei, schließt Crystal, könne man die Auswirkungen auf die Sprache nicht vorhersagen: „Die Sprachgeschichte kann keine Hinweise mehr geben.“ Eugene Eoyang von der Lingnan-Universität Hongkong hält es für wahrscheinlich, dass OVE-Sprachen wie Singlish sich zu „neuen Nationalsprachen entwickeln.“

Aber wie soll sich dann die Welt verständigen, wenn die Weltsprache Englisch in einen Haufen neuer Landessprache zersplittert ist? Die Welt wird „International Colloquial English“ (ICE) sprechen. Das ist eine sich sehr schnell wandelnde Mixtur aus SABE, OVE und neuen Wortschöpfungen. Nach David Crystal wächst IC-Englisch jedes Jahr um 5000 gänzlich neue Worte. Wie Eoyang hält er IC-Englisch für das, was einer Weltsprache am nahesten kommt.

Nur wird eine Sprache allein dann von möglichst vielen Menschen in einem einheitlichen Sinn verstanden und benutzt, wenn sie auf Nuancen, Ambiguitäten und eine Menge möglicher Bezeichnungen verzichtet. Sie muss simpel sein. Ein Beispiel ist das sogenannte „Special English“, welches das US- Radioprogramm „Voice of America“ bei Nachrichten verwendet, um sie für eine möglichst große Hörerschaft verständlich zu machen. „Special English“ hat ein Basisvokabular von nur 1500 Worten. Eine zunehmende Vereinfachung des Englischen beobachtet die Herausgeberin des „Encarta World English Dictionary“, Anne Soukhanov, die dafür auch die immer verlässlicheren Computerprogramme zur Prüfung von Grammatik und Rechtschreibung verantwortlich macht. In der gesprochenen Sprache fehlten dann diese sonst delegierten Fähigkeiten. Tatsächlich fallen in amerikanischen Nachrichtensendungen regelmäßig Sätze wie: „It is time for Bob and I to sign off.“

Während mit Hilfe des simplen IC-Englisch ein Burger weltweit bestellt werden kann, sind nuancierte Sinnvermittlungen kaum möglich. In den Vereinigten Staaten zeichnen sich die Folgen dieses Problems bereits ab. Die Anteile der spanischen, chinesischen, vietnamesischen und koreanischen Muttersprachler an der Gesamtbevölkerung stiegen in den vergangenen Jahrzehnten stark. Vier Fünftel der aus China stammenden Amerikaner sprechen zuhause Chinesisch statt Englisch. Angesichts dieser Zahlen forderte das amerikanische Magazin Atlantic Monthly im vergangenen Jahr, Amerikaner sollten grundsätzlich zweisprachig werden. Die Botschaft an die einsprachigen Amerikaner: „Wenn wir mehr als rudimentäre Botschaften mit unseren Mitmenschen austauschen wollen, brauchen wir wohl Hilfe von etwas anderem als Englisch.“

Weltweit ist eine ähnliche Entwicklung auszumachen. Jedes Wissens- und Arbeitsgebiet schafft seine eigene englische Sprache, um komplexe Dinge bezeichnen zu können. So gibt es im Flugverkehr schon lange das „Airspeak“, das angehende Piloten bei mehrmonatigen Schulungen lernen. In der Seefahrt werden die „Standard Marine Communication Phrases“ verwendet. Auch die Informationstechnologie hat mit Gigabytes, Slots, Displays, Second Level Cache und ähnlichem eine eigene Weltsprache geschaffen. Überschriften aus der Fachzeitschrift Neurology wie „Familial cerebellar ataxia with muscle coenzyme Q10 deficiency“ machen für die meisten Amerikaner ebenso wenig Sinn wie für die Mehrheit der Deutschen.

Jenes Englisch, das die meisten Weltbewohner verstehen, verliert daher seine Ähnlichkeit mit dem, was Briten sprechen. Es ist ungleich simpler – „eigentliche“ Sprachen müssen deshalb weiterhin gelernt werden. Nicht nur von Piloten. Wer weiß schon, dass ein „holder-upper“ auf den Philippinen weder Brüste noch Protestplakate hochhält – sondern seine Pistole beim Überfall.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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