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Besser brennen! (Süddeutsche Zeitung, 16.3.2001)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Besser brennen!

Am Ende der New Economy erfährt die Generation X, dass sie noch immer keine Macht hat

Süddeutsche Zeitung, 16.3.2001

Zehn Jahre nach 1991 regiert wieder ein Bush im Weißen Haus, während die Träumer eines Jahrzehnts endlosen Wachstums an dessen Ende aufwachen – und liegenbleiben. George W. Bush wird zum Teil von denselben Menschen beraten wie sein Vater. Und auch eine der beiden Generationen, die heute um die Versprechen sicherer Jobs und sicheren Wohlstands betrogen wird, hat das bereits erlebt. Und daraus gelernt. Sieben Jahre, nachdem sich Kurt Cobain erschoss, wird es keinen zweiten geben, der die Enttäuschung herausbrüllt. 

Als die achtziger Jahre zu den neunzigern wurden, war Gier zwar noch gut, aber nicht mehr zu befriedigen. Jene 50  Millionen Amerikaner, die zwischen 1965 und 1978 geboren wurden, hatten ihre Erwartungen und Gewissheiten fürs Leben in einer Ära entwickelt, die Armut nicht kennen wollte. Arbeitslosigkeit und Mangel wurden durch die Reaganomics zu einem Phänomen, das dieselben Merkmale wie Aids aufwies: abstoßend, selbstverschuldet und weitgehend zu ignorieren. Dann, Ende der achtziger Jahre, fiel die Börse, und zugleich bekamen viele hochqualifizierte Universitätsabsolventen in den Vereinigten Staaten keinen Job, der auch nur annähernd ihrem Bildungsniveau entsprochen hätte. Zwischen 1989 und 1995 sank das Durchschnittseinkommen eines College-Absolventen um zehn Prozent. 44 Millionen Amerikaner haben keine grundlegende Krankenversicherung. Und die am schlechtesten versicherte Generation ist eben jene, die unter George Bush erwachsen wurde.

1990 kam – ausgerechnet bei einer Konferenz der Organisation der amerikanischen Zeitschriftenverleger – der Begriff Generation X auf für diese nicht zu definierende Zielgruppe. Ein recht deutliches Portrait jedoch zeichnete 1994 Kevin Smith in seinem Film „Clerks“ von den Mitzwanzigern, die sich mit Jobs im Supermarkt durchschlagen. Der zentrale Satz des Films: „I am not even supposed to be here today.“ Niemand hat verlangt, nicht einmal jemand erwartet, dass sie da sind. Letztlich war es der politischen Elite Amerikas ziemlich egal, was mit den Xlern geschah. Clinton mit seinem Glauben an bestehende Institutionen und Strukturen – staatliche wie wirtschaftliche – ist der Prototyp des baby boomers: Einer der nach den Regeln spielt und etwa in den Achtzigern damit auch gewann. Dieses Vertrauen ist Xlern, die den hohen Lebensstandard der Achtziger erwarteten und den der Neunziger erlebten, unmöglich. Die Ignoranz zwischen politischer Elite und Generation X beruht auf Gegenseitigkeit: Nur 32 Prozent der Xler haben 1996 überhaupt für irgendeinen US-Präsidentschaftskandidaten gestimmt.

Den Ekel Amerikas vor dieser Generation drückte sehr schön eine Schlagzeile der Washington Post aus: „Grow up, Crybabies“. Niemand hat gedacht, dass sie genau dies tun würden. Dabei hatten die Xler viel eher die nötigen Voraussetzungen zum ordentlichen, amerikanischen Erwachsenen als die baby boomers: Sie hatten gelernt, sich nicht auf den Staat zu verlassen, ja sie misstrauen ihm sogar. Ein Prozess parallel zu der Entwicklung der baby boomers, welche die in den Sechzigern erkämpften Bürgerrechte in den siebziger Jahren zur individuellen Freiheit des Genusses und Konsums ausbauten. Die Angehörigen der Generation X wurden durch ihre Adaption der Lehren der achtziger Jahre zu den Protagonisten der Reinkarnation des amerikanischen Pioniergeistes in der New Economy der Neunziger. Diese funktioniert wie die alte vor allem dank der Freiheit von jeder staatlichen Regulierung. Plötzlich waren die Xler keine Heulsusen mehr. Time schrieb unter dem Titel „Great Xpectations“: „Die sogenannte Generation X erweist sich als voll von Menschen mit Nehmerqualitäten, die es einfach tun – auf ihre Art.“

Ihre Art war eine amerikanische. Die von Xlern immer noch freie Machtelite ließ die Kinder gern gewähren – in der Wirtschaft. Sollten sie doch mit Start-Ups und dergleichen herumspielen, eine Wiedergeburt der Goldschürfer konnte der Wirtschaft kaum schaden. Nur war ein wesentlicher Charakterzug jener Pioniere neben ihrem libertären Freiheitsfanatismus auch der Glaube an die Nation. Dieser fehlt der Generation X, und deshalb wurde sie zum Problem, als sie wirkliche wirtschaftliche Macht durch den Boom der New Economy erlangte. Darum zitterte das alte Amerika, als AOL sich Time Warner kaufte. Heute gibt es Unternehmensberater wie die Firma Schuster Kane Alliance, die sich darauf spezialisiert, Managern beizubringen, wie sie mit Partner und Untergebenen aus der Generation X umgehen. Das Motto hierbei: „Imagine playing a game without knowing the rules“. Denn die Xler in der New Economy waren mächtig genug geworden, selbst neue Regeln zu definieren. Das alte Amerika – vor allem das der baby boomers – wurde unruhig. Büchertitel wie „Managing Generation X“ erhalten eine neue Bedeutung. Wie sollte man nur fertig werden mit diesen Glaubenslosen?

Man musste es nicht. Die Xler, welche es in die New Economy geschafft hatten, waren 80 und mehr Stunden in der Woche damit beschäftigt, Netzseiten zu programmieren, Kurzfilme ins Web zu stellen oder Pflegetipps für Haustiere für entsprechende Angebote zu schreiben. Politisch waren sie kaum. Dem Magazin Atlantic Monthly zufolge, vertritt die Mehrheit der Generation X das republikanische Ideal der Steuersenkung als Allheilmittel. Aber nur 15 Prozent wollen Steuersenkungen um jeden Preis. Diese eher demokratische Gesinnung entstammt den Armutserfahrungen aus den frühen Neunzigern.

Solange die New Economy Wachstum ohne Ende versprach, lösten die Xler die Versprechen der achtziger Jahre ein. Die Kokaindealer konnten von New York ins Silicon Valley umziehen, wo Partygästen bisweilen Champagner ihres eigenen Geburtsjahrgangs gereicht wurde.

Diese Zeit ist vorbei. Der „Layoff Tracker“ für die New Economy des US-Magazins The Industry Standard verzeichnet bis zum 9. März 63  230 Entlassene. Die politische Macht ist vom Aufbegehren der Generation X in der Wirtschaft unberührt geblieben. An der Schnittstelle von Ökonomie und Politik in Bushs Kabinett sitzen Vertreter der Old Economy: Donald Evans, Leiter des Wirtschaftsministeriums, kommt aus der Ölindustrie. Finanzminister Paul O’Neill war Leiter des Aluminiumkonzerns Alcoa, später managte er einen Papierhersteller. Stabschef im Weißen Haus ist Andy Card, ehemals Vertreter der Auto-Industrie in Washington.

Nur ein kleiner Teil der Protagonisten der New Economy schaffte rechtzeitig den Absprung. Sie frönen jetzt dem Slackertum der Generation X Anfang der Neunziger – auf ungleich höherem Niveau: Die einen nehmen Platten auf, andere studieren zum Spaß Jura, manche fliegen für einige Monate nach Asien – um einfach Urlaub zu machen. Die meisten haben ihre Aktienoptionen nicht rechtzeitig realisiert, oder hatten nie welche. Sie sehen sich nach neuen Jobs in der Old Economy um, die nicht nur schlechter bezahlt, sondern auch frei von Masseusen, Wasserpistolen und anderen Späßen sein werden. Nur kurz haben sie in den späten Neunzigern zum zweiten Mal von den Versprechen der Achtziger genascht. Eingelöst wurde sie auch diesmal nicht. Wie schrieb Kurt Cobain 1994 in seinem Abschiedsbrief: „It’s better to burn out than to fade away.“

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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