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Betrugvorwurf gegen Star-Investor: Madoffs 50-Milliarden-Abzocke (Spiegel Online, 13.12.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Betrugvorwurf gegen Star-Investor

Madoffs 50-Milliarden-Abzocke

Bernard Madoff ist eine Wall-Street-Legende: Er hat die US-Technologiebörse Nasdaq mit aufgebaut und Anlegermilliarden verwaltet. Nun soll er gestanden haben, alles sei "ein gigantisches Schneeballsystem" gewesen. Unter den Opfern des 50-Milliarden-Schwindels sollen auch Top-Banken sein..

Spiegel Online, 13.12.2008

Nein, er wolle nicht im Büro darüber sprechen, sagte Bernard Madoff diese Woche zwei leitenden Angestellten seiner Firma. Der 70-jährige Börsenprofi, Ex-Chef der Technologiebörse Nasdaq, Mitglied im Aufsichtsrat der Regulierungsbehörde für Börsenhändler NASD, wollte nicht im Büro seiner New Yorker Wertpapierfirma mit laut Eigenwerbung 700 Millionen Dollar Kapital erklären, warum er so angespannt wirkte.


Madoff verweigerte auch die Antworten auf Fragen, warum er die
Unterlagen seiner Anlageberatung wegschließt, warum er dieses Geschäft
im Alleingang von einer isolierten Büroetage aus führt und warum er in
diesem Jahr völlig überraschend Bonuszahlungen unbedingt zwei Monate
eher als üblich ausschütten wollte.

Madoff lud die zwei leitenden Angestellten in seine Wohnung nach
Manhattan ein. Dort machte er reinen Tisch: "Ich bin erledigt, ich habe
gar nichts mehr, es war alles eine große Lüge, im Grunde genommen ein
gigantisches Schneeballsystem."

So steht es in der Klageschrift der US-Börsenaufsicht SEC (
PDF-Dokument) und der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gegen Madoff (
PDF-Dokument). Der Vorwurf:
Madoff soll Anleger um rund 50 Milliarden Dollar betrogen haben. Die Einlagen neuer Investoren sollen angebliche Gewinnausschüttungen für die Altanleger finanziert haben.

"Wall Street Journal": Madoffs Söhne informierten das FBI

Auf 16 Seiten erzählen diese Klageschriften in einer knappen,
nüchternen Sprache die Geschichte des womöglich größten Anlagebetrugs
eines einzelnen Täters in der US-Geschichte.

Und sie erzählen auch von einem persönlichen Drama. Denn die beiden
leitenden Angestellten, auf deren Aussagen sich die Anklage im
Wesentlichen stützt, sind laut Informationen des " Wall Street Journal" die beiden Söhne Madoffs.

Madoffs Plan: Das letzte Geld Freunden geben, dann stellen

Wenn die Darstellung der Klageschriften sich als zutreffend
herausstellt, hat Bernard Madoff nicht nur jahrelang Anleger, sondern
auch seine Söhne Andrew und Mark betrogen: Ihnen habe er am
Mittwochabend in seiner Wohnung eröffnet, dass von den
Anlegermilliarden nur 200 oder 300 Millionen übrig seien.

Die Söhne gingen bis dahin laut eigenen Aussagen von Anlagen im Wert
von bis zu 15 Milliarden Dollar aus. Ihr Vater soll ihnen erklärt
haben, er wolle sich den Behörden stellen, zuvor aber das verbliebene
Geld an Mitarbeiter, Angehörige und Freunde ausschütten.

"Es gibt dafür keine harmlose Erklärung"

Nach diesem Geständnis haben laut "Wall Street Journal" Madoffs
Söhne Andrew und Mark ihren Anwalt verständigt, der die Behörden
einschaltete. Am Donnerstag suchten FBI-Agenten Madoff auf.

In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft versichert
FBI-Ermittler Theodore Cacioppi eidesstattlich, Madoff habe den Beamten
gesagt: "Es gibt dafür keine harmlose Erklärung." Er habe Geld von
institutionellen Anlegern verloren, er habe Anleger mit Mitteln
ausbezahlt, die es "nicht gab", es sei alles seine Schuld, er sei
pleite und erwarte nun, ins Gefängnis zu gehen.

Angeblich 10,5 Prozent Durchschnittsrendite im Jahr

Unklar ist bislang, wie lange der Betrug schon andauert. Auch in den
Anklageschriften gibt es dazu keinen Hinweis. Das "Wall Street Journal"
zitiert aus Unterlagen eines von Madoff verwalteten Hedgefonds, der
seit Ende 1990 eine jährliche Durchschnittsrendite von 10,5 Prozent
erwirtschaftet haben soll.

Die Probleme bei Madoffs Anlagefirma begannen laut den Aussagen von
Mitarbeitern in den Klageschriften nach der Finanzkrise. Anfang
Dezember habe Madoff einem leitenden Angestellten mitgeteilt, viele
Anleger würden ihre Anlagen abziehen, sieben Milliarden Dollar seien
fällig und er habe Probleme, diese Mittel flüssig zu machen.

Aber einige Börsenexperten zweifelten offensichtlich schon vor
Jahren an den von Madoff erwirtschafteten Gewinnmitteilungen. Das "Wall
Street Journal" zitiert aus Briefen des Börsenhändlers Harry
Markopolos, der die US-Börsenaufsicht SEC immer wieder, erstmals 1999,
gedrängt haben soll, Madoffs Geschäfte zu prüfen.

Drei angestellte Wirtschaftsprüfer kontrollieren Milliarden

Die New Yorker Anlageberatung Aksia erklärt in einem Brief (
PDF-Dokument)
an Investoren, sie habe schon im Dezember 2006 vor Anlagen bei Madoff
gewarnt. Grund dafür: Man habe festgestellt, dass die mit der Prüfung
der Bücher beauftragte Firma "Friehling & Horowitzhad" lediglich
drei Angestellte hatte: Einen 78-Jährigen Angestellten in Florida, eine
Sekretärin und einen Buchhalter mit einem 20-Quadratmeter großen Büro
in New York.

Ob daraufhin ermittelt wurde, wollte die SEC auf Anfragen des "Wall
Street Journal" nicht beantworten. Sanktionen gegen Madoff wegen
unzulässiger Geschäftspraktiken sind jedenfalls nicht bekannt. Und so
etwas schien bis vor wenigen Tagen auch undenkbar. Monica Gagnier, eine
Redakteurin des US-Wirtschaftsmagazins "Businessweek", die schon in den
achtziger Jahren von der US-Technologiebörse Nasdaq berichtete und oft
Kontakt zu Madoff und seinem Bruder hatte, erinnert sich im "Businessweek"-Blog so: "Die beiden haben immer Maßnahmen für mehr Transparenz und Haftung durchgesetzt."

Auch hätten sich die Madoff-Brüder als Händler an der Börse
Cincinnati immer wieder für mehr Transparenz und elektronische
Kontrollsysteme für den "ineffizienten und oft zwielichtigen
außerbörslichen Wertpapierhandel" plädiert.

Madoffs Anwalt Dan Horwitz wollte sich Medien gegenüber nicht im
Detail zu den Betrugsvorwürfen äußern. Dem "Wall Street Journal"
erklärte er lediglich: "Er ist eine integere Persönlichkeit. Er hat
vor, sich durch diese unglücklichen Ereignisse durchzukämpfen."

Opfer: Stiftungen, Fonds, reiche Privatleute

Zu Madoffs Kunden gehörten Fonds, Stiftungen und vermögende Privatpersonen. Einige der bislang bekannten Opfer:

  • die Großbanken BNP Paribas (Frankreich), Nomura Holdings (Tokio) und Neue Privat Bank (Schweiz) sollen Quellen des "
    Wall Street Journal" zufolge betroffen sein.
  • Investment-Gruppen, die in Hedgefonds anlegen, zum Beispiel die Fairfield Greenwich Group und Fix Asset Management (
    laut Bloomberg)
  • Privatpersonen wie Lawrence Velvel, Vorsitzender der Massachusetts
    School of Law, der laut der Nachrichtenagentur AP "Millionen verloren
    haben könnte".

Eine kleine US-Stiftung, die "
Robert I. Lappin Charitable Foundation" hat bereits unter Verweis auf die erwarteten Verluste durch Madoff-Anlagen den Stopp aller Unterstützungszahlungen erklärt.

Die Investoren vertrauten Madoff ihr Geld aber nicht nur wegen seines Namens an. Ein Anleger aus Los Angeles erklärte der "
New York Times",
warum viele seiner Verwandten fast ihr gesamtes Vermögen bei Madoff
angelegt hatten: "Sie begannen mit kleinen Summen, investierten 5, 15
oder 30 Jahre lang und erhielten jedes Jahr eine große Ausschüttung,
und konnten immer ihr Geld abziehen."

Bis jetzt.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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