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Bildersturm (Süddeutsche Zeitung, 6.3.2001)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
2 minuten gelesen

Bildersturm

Annemarie Schimmel über die Zerstörungswut der Taliban

Süddeutsche Zeitung, 6.3.2001

Die Zerstörung zweier weltberühmter, antiker Buddha-Statuen durch die afghanischen Taliban wird selbst von Iran und Pakistan kritisiert. Wir befragten die renommierte Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel nach dem religösen Hintergrund des Bildersturms. 

Hat Taliban-Führer Muhammad Omar als Mullah überhaupt die religiöse Autorität, um so etwas zu befehlen?

Schimmel: Nein, die hat er nicht. Ich halte es außerdem für ausgeschlossen, dass ein islamischer Geistlicher eine solche Fatwa ausspricht.

Es wird angezweifelt, dass Omar überhaupt rechtmäßiger Mullah ist.

Schimmel: Das kann durchaus sein, dass er sich unrechtmäßig so nennt. Vielen Fanatiker wie die Taliban kennen den Koran nicht. Sie haben ihn auswendig gelernt und können alles mit willkürlichen Zitaten belegen. Was wirklich darin steht – das wissen sie nicht.

Omar beruft sich beim Bildersturm auf „islamische Prinzipien“, die er gezwungen sei zu befolgen. Gibt es die?

Schimmel: Ein solches Bilderverbot steht nicht im Koran. Omar könnte sich auf die Geschichte Abrahams berufen, der Götzenbilder zerstörte. Aber das wäre eine falsche Interpretation, da es eine persönliche Handlung war, keine abstrahierbare religiöse. Selbst Alama Iqbal, der 1930 Pakistan als Staat für die Muslime des indischen Subkontinents forderte, sprach von der Pflicht, in diesem Staat die Heiligtümer anderer Religionen zu schützen. Iqbal wird immer noch in der Gegend hoch angesehen.

Konkret beruft Omar sich darauf, dass die Statuen eine Darstellung Beseelter wären, was eine Nachahmung von Gottes Werk sei.

Schimmel: So kann das nicht stimmen. Omar könnte damit belebte Dinge meinen, die keine Seele haben. Es gibt eine angebliche Äußerung des Propheten Mohammed, Leute die solches schaffen, müssten sich am Jüngsten Tag verantworten. Ich sage bewusst angeblich. Man muss sich nur anschauen, wie viele Politikerstatuen es in islamischen Staaten gibt, um dieses Argument zu beurteilen.

Hat nicht Chomeini 1979 im Iran die Zerstörung der sakralen Anlage Persepolis verhindert?

Schimmel: Ja, das stimmt. Das ist eine sehr gute Parallele zum Bildersturm der Taliban. Denn abgesehen von einigen Fanatikern hat damals niemand ernsthaft die Zerstörung Persepolis gefordert. Die Kultstätte wurde ja nicht mehr benutzt. Diese Religion existierte nicht mehr .

Der Bildersturm gegen konkurrierende Religionen ist jedoch ein konstituierendes Element jeder Kulturgeschichte. Die Wiedertäufer in Münster, die Franken in Byzanz . . .

Schimmel: Ja, da gibt es auch im Christentum eine abscheuliche Tradition. Aber noch mal: Buddhisten waren zuletzt im 8. Jahrhundert in Afghanistan. Heute geht es um Kulturgüter, nicht um Kultorte. Doch man sollte darüber hinausblicken. Buddha ist kein Gott, sondern eher ein religiöser Führer. Manche moderne Muslime sehen ihn sogar als Propheten an.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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