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Bildrechte: Fotoagentur Getty startet Online-Abmahnwelle (Spiegel Online, 15.4.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Bildrechte

Fotoagentur Getty startet Online-Abmahnwelle

Die US-Bildagentur Getty verschickt reihenweise Rechnungen an
deutsche Seitenbetreiber. Vorwurf: Illegale Nutzung von Getty-Bildern.
Gut 2000 Euro kostet das je Foto. Wer nicht zahlt, wird abgemahnt. Ein
Beschuldigter rebelliert: Er habe das Foto gekauft – und freut sich auf
den Prozess.

Spiegel Online, 15.4.2008

Eine ruhige, tiefblaue Wasserfläche, mittendrin ein Krater,
Wassertropfen spritzen hoch, Wellen breiten sich aus. 151 Euro und 25
Cent hat der Münchner Physik-Doktorand Tassilo Keilmann am 15. Februar
für dieses Wasserfoto bezahlt. Er kaufte bei der Fotoagentur Getty eine
Lizenz für die Online-Nutzung, verwendete das Bild auf seiner Website
über Wellness-Hotels. Ein paar Wochen später bekam Keilmann wieder Post
von Getty. Er sollte noch mal zahlen. Diesmal allerdings 2057 Euro –
für die "unberechtigte Nutzung von Getty Images Photos".


Das Absurde daran: Es handelt sich in beiden Fällen offenbar um
dasselbe Bild. SPIEGEL ONLINE liegt sowohl die Rechnung als auch die
Zahlungsaufforderung für die unberechtigte Nutzung vor – in beiden
Schreiben ist derselbe Wassertropfen abgebildet.

Keilmann versuchte, per Mail den in London sitzenden
Getty-Ansprechpartnern den Fehler zu erklären. In dem SPIEGEL ONLINE
vorliegenden Antwortschreiben erklärt das Unternehmen, man habe eine
externe Firma mit dem Aufspüren beauftragt, dann intern geprüft, ob
eine Lizenz vorhanden sei.

Außergerichtliche Einigung kostet 2000 Euro

Ergebnis, so Getty: "Selbstverständlich" habe Keilmann "keine
gültige Lizenz vorzuweisen". Man werde "die Lizenz stornieren" und die
dafür geleistete Zahlung als "Anzahlung auf unser Angebot zur
außergerichtlichen Einigung anrechnen".

In der Tat: Anfang April erhielt Keilmann eine Gutschrift für das am
15. Februar gekaufte Foto. Auf Keilmann wirkt das nachträgliche Storno
ohne Angabe von Gründen "wie ein Legitimationsversuch für die
unberechtigte und überhöhte Zahlungsaufforderung". Keilmanns Fazit:
"Die Ansprechpartner bei Getty gehen überhaupt nicht auf meine Einwände
ein – ich rede gegen eine Wand."

Gettys Angebot einer außergerichtlichen und gut 2000 Euro teuren
Einigung nahm Keilmann nicht an. Die Bildagentur kündigte daraufhin an,
den Fall einem Anwalt zu übergeben. Auf den Fall angesprochen, erklärt
Getty-Images-Sprecherin Alison Crombie SPIEGEL ONLINE: "In diesem Fall
haben wir Grund zu der Annahme, dass für das auf seiner kommerziellen
Internetseite verwendete Bild keine Lizenz vorlag. Deshalb haben wir
angemessene rechtliche Schritte zur Klärung der Situation unternommen."
Keilmann nennt die Situation "kafkaesk".

Offenbar ist Keilmann da nicht allein. In einem Internetforum berichten
Betroffene von ähnlichen Fällen. Einige dort veröffentlichte – anders
als bei Keilmann allerdings nicht durch Dokumente belegte –
Darstellungen:

  • "Ich habe genau dasselbe Schreiben erhalten. Ich besitze jedoch eine gültige Lizenz seit November 2007."
  • "Also
    mir geht’s ähnlich. Wir sind eine Agentur und haben 10 Bilder vor ca. 1
    Jahr gekauft. Für 2 dieser Bilder wurden wir nun abgemahnt."

Wer nicht zahlt, wird abgemahnt

Getty Images scheint systematisch das Internet nach nicht lizenziertem
Bildmaterial zu durchforsten. Das Unternehmen will keine konkreten
Zahlen nennen. Auf die Frage, ob auch Lizenznehmer versehentlich
angeschrieben werden, antwortet Getty-Images-Sprecherin Alison Crombie,
die Firma kontaktiere Lizenznehmer in allen Fällen, wo es den Verdacht
einer Copyright-Verletzung gebe. Crombie: "Wir haben eine starke
Beziehung zu unseren Kunden und arbeiten daher eng mit ihnen zusammen,
um mögliche Missverständnisse zu klären und eine einvernehmliche Lösung
zu finden."

Nur in Fällen, wo ein Nutzer gar keine Lizenz habe, behalte man sich im
letzten Schritt auch rechtliche Maßnahmen vor, um den "Missbrauch
abzustellen" und eine "Entschädigung zu erlangen".

Wie viele Fälle es in Deutschland gibt, lässt sich nur schwer
beziffern. Der Mainzer Anwalt Karsten Gulden vertritt mehr als 30, der
Marburger Anwalt Jorma Hein gut 80 von Getty Images belangte Mandanten.

Zahlungsaufforderungen in vielen Fällen berechtigt

Das Vorgehen ähnelt sich in diesen bekannten Fällen: Zunächst
verschickt Getty Images eine Zahlungsaufforderung. Wenn ein Bild einmal
auf einer Homepage verwendet wird, verlangt Getty Images für eine
einfache Verwendung 1450 Euro, für mehrfache Nutzung 1700 Euro – plus
irische Mehrwertsteuer. Dieselben Gebühren sind für jedes weitere
Getty-Bild fällig, das angeblich ohne Lizenz genutzt wird.

Ein krasser Fall wie der von Tassilo Keilmann scheint allerdings die
Ausnahme zu sein. Anwalt Hein schätzt, dass Getty in den meisten Fällen
zu Recht eine unberechtigte Nutzung verfolgt: "In vielen mir bekannten
Fällen war tatsächlich ein Foto ohne entsprechende Lizenz online. Nur
haben das die meisten meiner Mandanten nicht selbst online gestellt,
sondern die von ihnen beauftragte Agentur, die den Webauftritt
gestaltet hat. In einem Fall soll mein Mandant gut 10.000 Euro für
sieben Fotos zahlen, die eine Web-Agentur 1999 bei der Gestaltung
seiner Website genutzt hat."

Webdesigner sollen für Bildmissbrauch haften

Dennoch: Wer eine Webseite betreibt, haftet erst einmal gegenüber Getty
für ohne entsprechende Lizenz genutzte Fotos – egal wer diese online
gestellt hat. Anwalt Hein: "Laut Gesetz hat Getty hier unabhängig vom
Verschulden einen Unterlassungsanspruch an die Betreiber der Seiten.
Meine Mandanten zahlen also und versuchen dann die Webagenturen in
Regress zu nehmen. Hier sind derzeit mehrere Verfahren anhängig, ich
bin da zuversichtlich."

Die Anwälte der angeschriebenen Seitenbetreiber bezweifeln allerdings,
dass die von Getty geforderten Zahlungen in allen Fällen gerechtfertigt
sind. Anwalt Gulden: "Die hier verlangten Gebühren dürften meines
Erachtens nach vor Gericht keinen Bestand haben. Getty Images
differenziert die Forderungen weder danach, ob es sich um Unternehmen
oder Privatpersonen handelt, noch beziehen die in ihren Berechnungen
ein, wie breit die Bilder verbreitet wurden."

Erste Getty-Prozesse stehen an

Nur: Das vor Gericht zu testen, ist ein schwer zu kalkulierendes
Risiko. Es könnte ja durchaus sein, dass die Richter der Argumentation
Gettys folgen. Dann müssten die Abgemahnten nicht nur die Gebühren,
sondern auch die Anwaltskosten beider Parteien tragen. Wie Gerichte den
entstandenen Schaden beziffern würden, ist mangels bekannter Urteile in
einem Getty-Fall nicht abzuschätzen.

Wenn die von Getty angeschriebenen Seitenbetreiber überhaupt nicht auf
die Zahlungsaufforderung reagieren, erhalten sie eine Abmahnung von der
Münchner Anwaltskanzlei Waldorf ( mehr bei SPIEGEL WISSEN), die schon
Musikkonzerne wie Sony, Universal und Warner in
Urheberrechtsangelegenheiten vertreten und Privatleute abgemahnt hat.
Natürlich macht die Kanzlei entsprechende Gebühren geltend.
Abgemahnten-Anwalt Gulden: "Nach der Abmahnung verlangt die Gegenseite
Gebühren in Höhe von mehreren tausend Euro, von Fall zu Fall
unterschiedlich, da sind Summen wie 3600 und 6000 Euro dabei."

Anwalt Gulden rät seinen Mandanten bei solchen Abmahnungen zu einer
modifizierten Unterlassungserklärung. Seine Erfahrung damit bislang:
"Wir geben diese modifizierten Erklärungen ab, weisen die
Getty-Vertreter aber dann klar darauf hin, dass bei unseren Mandanten
kein Geld zu holen ist – es sei denn sie klagen. Bislang hat Getty
keinen unseren Mandanten verklagt."

Getty-Kunde Keilmann gibt sich kämpferisch: "Ich werde die Forderung nicht bezahlen und freue mich schon auf den Prozess."


 

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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