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Bin Ladins Antisemitismus: Der Jude ist schuld (telepolis, 6.12.2001)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Bin Ladins Antisemitismus

Der Jude ist schuld

Es gibt keinen Kampf der arabischen Welt gegen den westlichen Imperialismus, weswegen Bin Ladin eine Bewegung der arabischen Einheit gegen die Juden schaffen will

telepolis, 6.12.2001

Rechte wie linke Publizisten sind sich einig, von Arundhati Roy über Rudolf Augstein bis hin zu Dieter Stein: Der Kampf, an dessen Spitze sich Usama Bin Ladin – zurecht oder nicht – gestellt hat, ist ein antiimperialistischer. Vielleicht kommt der ein oder andere auf die Idee, dieses Verdikt zu hinterfragen. Ein Denkanstoß könnten die Anschläge in Israel sein.


Wie soll eigentlich
die vom Kapitalismus befreite Gesellschaft nach dem Sieg der
vermeintlichen arabischen Antiimperialisten aussehen? Niemand schreibt
es. Denn niemand weiß es. Aus einem einfachen Grund: Es gibt keinen
gemeinsamen Aufstand der arabischen Welt gegen den westlichen
Imperialismus. Denn es gibt keine einheitliche arabische Welt, ebenso
wenig wie es wirkliche gemeinsame Interessen dieser gibt.

Das hat schon vor vielen Wochen der Sudanese Hashem Hassan in einem Leserbrief an die in London erscheinenden Tageszeitung Al-Quds Al-Arabi
geschrieben, der in Deutschland weit weniger beachtetet wurde als in
Großbritannien. Hashem Hassan schreibt, man müsse aufhören, Usama Bin
Ladin "als Stiefsohn der amerikanischen und westlichen Hegemonie
darzustellen. Er ist der rechtmäßige Sohn arabisch-muslimischer
Ohnmacht. (…) Wir haben unsere Heimat und unser Volk so weit
untergraben, dass es leichte Beute der Interessen Amerikas, Israels und
anderer wurde."

Diese von Hashem Hassan angesprochene Uneinigkeit ist
so schwer nicht zu entdecken, betrachtet man die jüngste Geschichte.
Nur einige Beispiele: Der blutige Krieg zwischen der PLO und der
jordanischen Armee 1970. Die Vertreibung der palästinensisch-arabischen
Terroristengruppe Fedajin aus Jordanien in den Libanon, wo sie dann zum
Zerfall desselben beitrugen. Die Invasion irakischer Truppen im Iran
1980 wegen des ideologischen Gegensatzes zwischen dem islamischen
Fundamentalismus im Iran und dem eher weltlichen Irak, der einen
Aufstand der Schiiten im Süden aufgrund iranischen Einflusses
fürchtete. Bin Ladin selbst warf noch im Dezember 1998 in einem Interview
mit dem Fernsehsender ABC der PLO und der "sogenannten
Palästinensischen Autonomiebehörde" vor, "mit Ungläubigen zu
sympathisieren" (Kampf gegen den Kreuzzug des Westens).

Jeder Staat im Nahen
Osten verfolgt ganz eigene Interessen, die denen seiner Nachbarn oft
widersprechen. Es gibt keinen antiimperialistischen Befreiungskampf.
Doch es existiert eine Idee, die viele Menschen – zumindest einer
großen Minderheit – in diesen Staaten verbindet. Diese Idee benutzt Bin
Ladin, um Sympathisanten mit unterschiedlichsten Hintergründen für sich
zu begeistern. Diese Idee ist es auch, die bisweilen Konflikte zwischen
den arabischen Staaten überdeckt. Was im Westen so oft freudig
schaudernd als radikaler Antiimperialismus goutiert wird, ist der Wille
nicht nur zur Vernichtung Israels, sondern aller Juden weltweit.

Als er 1998 die "Internationale Islamische Front für den Heiligen Krieg
gegen Juden und Kreuzritter" ausrief, spielte Bin Ladin ganz bewusst
auf diese Idee an. In einem Interview mit Newsweek, das am 11.1.1999
erschien, sagte er: "Die [Internationale Islamische] Front ist ein Dach
für alle Organisationen, die den Jihad gegen Juden und Kreuzfahrer
kämpfen. Die Reaktion der moslemischen Nationen war größer, als wir
erwartet hatten. Wir drängen sie alle, den Kampf zu beginnen, oder
zumindest anzufangen, sich auf den Kampf gegen die Feinde des Islams
vorzubereiten."

Der Kampf, den Bin Ladin anführen will, ist keiner
gegen Amerika. Es ist ein Kampf gegen das Judentum, als dessen Agent
Amerika angesehen wird. Sayyid Qutb,
einer der Väter des modernen islamischen Fundamentalismus, hat schon in
den sechziger Jahren Imperialismus, Kommunismus und Freimaurertum als
antiislamische Bewegungen alle auf eine jüdische Weltverschwörung
zurückgeführt. In diese Tradition stellt sich Bin Ladin:


"Großbritannien und Amerika agieren im Namen Israels und der Juden, um
jede Macht zu zerschlagen, und zwar mit der Zielrichtung, den Juden den
Weg zu ebnen, die moslemische Welt einmal mehr zu teilen und zu
versklaven und den Rest ihres Reichtums zu plündern. (…) Es ist kein
Geheimnis, dass die moslemische Welt in diesen Tagen von einer
grausamen Offensive der Juden und der Kreuzfahrer unterworfen wird."

 

Auch die Angriffe auf Afghanistan sieht Bin Ladin
keineswegs als amerikanische an. Anfang November sagte er seinem
Biographen, dem pakistanischen Journalisten Hamid Mir, in einemInterview für die Zeitung "Daily Ausaf": "Die jüdische Lobby hat Amerika und den Westen als Geisel genommen."

Diese Sichtweise ist im
Westen allgemein bekannt. Allerdings nicht unbedingt als die Bin
Ladins, sondern eher als fundamental-oppositionelle Kritik von rechts
und bisweilen auch von links. Horst Mahler zum Beispiel schreibt in
seinem Kommentar Independence-Day live
vom 12. September: "Seit 1916 haben die Stämme Judas und Israels
zielstrebig die politischen und militärischen Potentiale der USA
usurpiert, um unter deren Schutz – gestützt auf die erkaufte
Balfour-Erklärung – zum zweiten Male zu versuchen, das ihnen von Jahwe
verheißene Land an sich zu bringen und ethnisch zu säubern."

Ganz anders und doch sehr ähnlich klingt die im Spiegel
zitierte Aussage des Vaters Mohammed Attas: "Es seien die Juden
gewesen, sagt er. Der israelische Geheimdienst, der Mossad. Es habe nur
so aussehen sollen, als steckten Muslime dahinter." Eigentlich ist ja
egal, wer in den Flugzeugen saß, der Jude steckt in jedem Fall
dahinter.

Die Kraft dieses unterschiedlichste Völker,
Ideologien und Terrorgruppen verbindenden Gedankens wollte Saddam
Hussein schon im zweiten Golfkrieg zum Schmieden einer Allianz
benutzen. Als der Irak zivile Ziele in Israel angriff, hieß es in den
offiziellen Mitteilungen der irakischen Armee: "Die Raketen machten Tel
Aviv und andere Ziel zu einem Krematorium." (zitiert nach Friedrich
Schreiber, Michael Wolffsohn: "Nahost") Dieser Begriff des Krematoriums
ruft wohl nicht zufällig Erinnerungen an Gaskammern und Schornsteine
hervor.

Damals war Husseins Strategie nicht erfolgreich. Zum
einen, weil das westliche Engagement zu stark war, zum anderen, weil
nach seinen Kriegen gegen den Iran, die irakischen Kurden und Kuweit
keiner der arabischen Nachbarn an eine Allianz unter irakischer Führung
um der bloßen Einheit willen glaubte.

Heute sieht das aufgrund
wirtschaftlicher und militärischer Interessen des Westens und aufgrund
des von beiden Seiten – bei Scharons und Arafats Politik ist die
Verteidigung des eigenen Existenzrechts kaum von Vergeltung und
Aggression zu trennen – verschärften Nahostkonflikts etwas anders aus.
Was heute die arabischen Nachbarn – bei allen Interessenkonflikten –
vielleicht vereinen könnte, brachte Ahmed Abu Halabiya, Mitglied des
von der palästinensischen Autonomiebehörde berufenen "Fatwa-Rates" vor
gut einem Jahr in einem vom Fernsehen der Autonomiebehörde übertragenen Freitagsgebet
auf den Punkt: "Habt kein Mitleid mit den Juden, egal wo sie sind, in
welchem Land auch immer. Kämpft gegen sie, wo immer ihr seid. Wann
immer ihr sie trefft, tötet sie. Wo immer ihr seid, tötet die Juden und
jene Amerikaner, die wie sie sind – und die, die ihnen beistehen – sie
sind alle in einem Schützengraben, gegen die Araber und die Moslems
…".


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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