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Blick zurück: Was die Wunder-Gründer des Webs heute machen (Spiegel Online, 16.10.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
6 minuten gelesen

Blick zurück

Was die Wunder-Gründer des Webs heute machen

Netscape, Napster, AOL: Mit ihren Web-Ideen haben Gründer wie Shawn Fanning und Marc Andreessen im ersten Internet-Boom Millionen gemacht. Die Stars von damals mischen wieder mit – in der zweiten oder dritten Reihe.

Spiegel Online, 16.10.2007

Shawn Fanning war gerade mal 19 Jahre alt, als er Amerika etwas verschämt vom Cover des Time-Magazins anlächelte. Den Mann, der die Musikbranche umgekrempelt hat, nannte ihn "Time" im Oktober 2000. Fanning hat Napster programmiert, die Zugangssoftware für die erste populäre Musiktauschbörse. Mehr als 40 Millionen Mitglieder schoben sich zu Napsters besten Zeiten kostenlos MP3-Dateien zu – weltweit, direkt von Computer zu Computer und natürlich illegal.

Seit dem Coverfoto ist es Fannings Firmen nicht besonders gut ergangen: Seine zweite Web-Musikfirma Snocap, die unter anderem auf MySpace Musik verkauft, hat jetzt die Hälfte der Angestellten entlassen. Und aus dem legendären Napster ist nie ein Geschäft geworden. Fanning hat seiner Software zwar ein revolutionäres Feature verpasst, den direkten Datenaustausch von Rechner zu Rechner (Peer-to-Peer). Nur ein durchdachtes und gerichtsfestes Geschäftsmodell fehlte. Sieben Monate nach dem "Time"-Titel war Napster deshalb schon offline.
Plattenfirmen hatten die Tauschbörse als leichtes Ziel für Urheberrechtsklagen ausgemacht. Angriffspunkt: Napster speicherte in einer zentralen Datenbank, auf welchen Mitgliedsrechnern welche Musikstücke lagen. Dezentraler Datentausch bei zentraler Suche – dieses Modell funktionierte nach der ersten einstweiligen Verfügung von US-Plattenfirmen nicht mehr. Napster musste seine Server abschalten und ewig mit Plattenfirmen über außergerichtliche Einigungen verhandeln.

Napster: Revolutionäre Idee ohne Geschäftsmodell

Bertelsmann unterstützte Napster, plante einen legalen Napster-Bezahldienst und stottert für die Reanimationsversuche heute noch mit den klagenden Plattenfirmen vereinbarte Vergleichszahlungen ab. Die Napster-Nutzer wechselten sofort zu anderen Tauschbörsen, die mangels zentraler Server nicht so einfach wie Napster wegzuprozessieren waren.

Peer-to-Peer-Pionier Shawn Fanning bastelte noch während der Napster-Reanimationsversuche 2002 an einer neuen Web-Firma: Snocap. Das Unternehmen sollte mittels digitalen Rechtemanagements so etwas wie legale Tauschbörsen ermöglichen. Sprich: Runterladen kann man alles, hören aber erst nach Bezahlung. So ganz hat das nicht funktioniert – es gibt bislang keine Tauschbörse mit Snocap-Software.

Snocap: Nach fünf Jahren ein Geschäftsmodell

Inzwischen liefert Fannings Firma Musikern Software, die sie auf beliebigen Webseiten integrieren könne, um dort ihre Musik zu verkaufen. Zum Beispiel auf MySpace. Dort nutzen laut Snocap mehr als 80.000 Bands die Software – 175.000 Musik-Käufer habe man schon gewonnen.

Nach fünf Jahren scheint Snocap nun ein erfolgreiches Geschäftsmodell zu verfolgen. Etwas zu spät offenbar – 26 der 57 Angestellten wurden nun gekündigt. Man wolle die Firma so "attraktiver für Käufer" machen, erklärte der Geschäftsführer Rusty Rueff dem Branchendienst Cnet. Grund für den Verkauf laut Rueff: Die Geschäftsidee habe länger als gedacht gebraucht, um Fuß zu fassen.

Dritter Versuch: Fannings Ritter-MySpace

Und Shawn Fanning gründet weiter. Unbeirrt von den Snocap-Mühen startete Fanning vor einem Jahr sein neustes Projekt Rupture, eine Art Ritter-MySpace. Rupture ist ein soziales Netz für Spieler und Spielfiguren. Der Clou dabei: Rupture-Software verfolgt permanent die Entwicklung der Spielfigur in Online-Spielen wie "World of Warcraft" und aktualisiert ständig das Spieler-Profil. Das Geschäftsmodell? Werbung und Sponsoren. Bislang sieht man auf den Rupture-Seiten allerdings nur merkwürdige Google-Kontext-Anzeigen ("Mietwagen in Portugal?"), aber immerhin mehr als 60.000 Mitglieder in der Bestenliste.

Marc Andreessen, Steve Case, Richard Garriott – so ist es anderen Wunder-Gründern ergangen.

Netscape-Gründer Marc Andreessen

Noch als Student, Anfang der neunziger Jahre, programmierte Marc Andreessen an der Universität von Illinois einen der ersten Internet-Browser – er wurde schnell zum damals populärsten: Der Mosaic Browser lief auf Unix-, Windows- und Mac-Rechnern, war kostenlos verfügbar und wurde so schnell zum Quasi-Standard, um die Seiten des frühen World Wide Web anzuzeigen.

Zum Glück traf Marc Andreessen nach seinem Informatik-Abschluss 1993 den Unternehmer James H. Clark. Er erkannte das Geschäftpotential in der Browser-Software. Clark und Andreessen gründeten im April 1994 die Mosaic Communications Corporation, benannten die Firma nach einigen Monaten in Netscape um. Der Börsengang 1995 machte beide reich: Das "Time"-Magazin zeigte Andreessen Anfang 1996 auf seiner Titelseite: Er sitzt auf einem vergoldeten Thron, betitelt als einer der "Golden Geeks".
Andreessen hatte immer wieder Erfolg: Als 1999 AOL Netscape für 4,2 Milliarden Dollar kaufte, stieg er bald aus, um seine Neugründung Loudcloud voranzutreiben. Die Firma verkaufte Unternehmenssoftware, spezielle Programme, um große Serverparks zu verwalten. Andreessen steuerte das Unternehmen geschickt durch die Dotcom-Krise, hat Opsware diesen Sommer für 1,6 Milliarden Dollar in bar an den Konzern Hewlett-Packard verkauft.

Und Andreessen gründet weiter. Als Investor ist er an Web-2.0-Firmen wie Twitter, Digg und Plazes beteiligt. Er webt mit Ning an einer Über-Web-Gemeinschaft. Idee: Eine einheitliche Plattform für alle möglichen Gemeinschaften. Bei Ning kann jeder eine eigene Community gründen. Mehr als 100.000 solcher Netzwerke gibt es inzwischen bei Ning – für Smashing-Pumpkins-Fans, New Yorker eBay-Händler oder US-Diabetiker.

Nebenbei schreibt Andreessen sehr fleißig ein privates Blog mit Episoden wie "Startup-Ratgeber Teil 9: Wie man seinen Geschäftsführer feuert".

AOL-Boss Steve Case

Steve Case verkaufte schon 1983 online: Die kleine US-Firma "Control Video" ließ Kunden gegen Bezahlung Spiele für den Atari 2600 per Modem runterladen. So etwas wie ein iTunes für Computerspiele, nur zwei Jahrzehnte zu früh. "Control Video" ging fast pleite, aber Case baute das Unternehmen zum führenden Online-Dienst in den Vereinigten Staaten auf.

In den achtziger Jahren betrieb die Firma geschlossene Online-Dienste für den C64, später auch für Apple-Rechner und PCs. Außerdem programmierte sie einige der ersten Online-Spiele überhaupt (Habitat, Neverwinter Nights). 1991 wurde aus der Firma AOL und aus den vielen Diensten ein einheitlicher, geschlossener Dienst für Macs und PCs. 1994 hatte AOL eine Million Kunden und 2000 auf der Höhe das Web-Booms verschmolz AOL mit dem Medienkonzern Time Warner.
Case schied 2005 endgültig bei Time Warner aus. Seitdem hört man immer wieder von Projekten, die seine Holding-Firma Revolution vorantreibt: Ein Hotelkomplex in Costa Rica, eine Online-Kreditkartenfirma ("Revolution Money"), die Paypal Konkurrenz machen soll, eine Webseite mit Gesundheitsinformationen und ein Car-Sharing-Anbieter. Zum Unternehmenserfolg ist nichts bekannt – da kann sich Revolution aber auch bedeckt halten. Eigentümer ist Steve Case und der hat einen langen Atem: Sein Vermögen wird auf 800 Millionen Dollar geschätzt.

Rollenspielerfinder Richard Garriott

Der in Texas aufgewachsene Spieldesigner hat noch in der Schule begonnen, den ersten Teil der legendären Ultima-Rollenspielserie zu programmieren – 1979 war das. 20 Jahre später erschien der letzte Teil der Ultima-Serie. In der Zeit hat Garriott ein Vermögen gemacht, das Rollenspielgenre geprägt und nebenbei auch eines der ersten Online-Spiele überhaupt entwickelt.

Ultima Online besteht seit 1997 – revolutionär war damals nicht nur die Grafik, sondern vor allem die Möglichkeit, sich mit mehreren tausend anderen Spielern eine Welt zu teilen. Diese Größenordnung erreichten Vorläufer wie "Meridian 59" oder "Neverwinter Nights" nicht. Garriott arbeitet heute nur noch an Online-Rollenspielen, als Produzent bei der US-Tochter der koreanischen Firma NCsoft. Sein Vermögen schätzt die "New York Times" auf mehrere hundert Millionen Dollar.

Von den Online-Rollenspielen kann Garriott, den "Ultima"-Fans als "Lord British" kennen, einfach nicht lassen: In seinem neuesten Projekt "Tabula Rasa" sollen sich Spieler in einer Science-Fiction Welt in den Kampf "gegen mächtige außerirdische Soldaten, gepanzerte Mechanoiden und gnadenlose Jäger" stürzen.

Sein Vermögen gibt Garriott unterdessen für sein Weltall-Hobby aus. Anfang Oktober präsentierte er in der "New York Times" seine in der ehemaligen Sowjetunion zusammengekauften Sputnik-Ersatzteile. Im kommenden Oktober will Garriott als Weltraumtourist die Internationale Raumstation besuchen.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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