Boulevard: IT-Klatschblog fährt Schmutzkampagne gegen Wikipedia-Gründer (Spiegel Online, 4.3.2008)
Boulevard-Streit
IT-Klatschblog fährt Schmutzkampagne gegen Wikipedia-Gründer
Häme, anzügliche Bilder und Details aus dem Privatleben der Gründer von Google & Co: Mit einer einzigartigen Mischung aus Klatsch und Insider-Wissen ist das Boulevard-Blog Valleywag binnen zwei Jahren zur Medienmarke geworden – nun überspannen die Macher den Bogen.
Spiegel Online, 4.3.2008
Scheidung, Sex-Marathon und Wikipedia – das US-Blog "Valleywag" schafft es, diese Schlagworte zu verbinden. Seit drei Tagen breitet das einmalige und berüchtigte Boulevard-Blog – laut Selbstdarstellung "Silicon Valleys IT-Klatschblatt" – eine Affäre des Wikipedia-Gründers Jimmy Wales in allen Details aus. Valleywag bringt es bislang auf 15 Artikel über Wales und seine Ex-Freundin in drei Tagen. Den angeblichen Skandal spinnt Valleywag Beitrag für Beitrag nach Boulevard-Dramaturgie weiter, wie die Abfolge der Schlagzeilen zeigt. Es beginnt mit der "Enthüllung" der Affäre, einen Tag später verkündet Valleywag das Ende, zeigt Fotos von Wales’ Ex-Freundinnen und wirft dem Wikipedia-Gründer nebenbei noch vor, er habe seine Macht missbraucht, um den Wikipedia-Eintrag seiner Freundin zu schönen. Wales wehrt sich in einer öffentlichen Stellungnahme gegen diese Verdächtigungen von Valleywag, er habe Einfluss auf die Inhalte des Wikipedia-Eintrags zu seiner Ex-Freundin genommen. Interessant daran: Im Gegensatz zu Wales verfolgt Valleywag diesen Aspekt nicht weiter. Das Branchenblog reduziert die Wales-Geschichte auf anzügliche Fotos und angebliche Mitschnitte schlüpfriger Chats – der Vorwurf des Machtmissbrauchs wird nebenbei erhoben, aber nicht weiter verfolgt.
Bettgeschichten statt Enthüllungen
Der Fall zeigt exemplarisch den Wandel von Valleywag: Das früher einzigartige IT-Boulvardblog wird ist seit Monaten anzüglicher, gemeiner und erfolgreicher.
Klatsch gehörte immer zur Themenmischung des vor zwei Jahren gestarteten Blogs. Heute ist Klatsch nicht Teil einer Mischung, sondern das zentrale Thema auf Valleywag. Lange Zeit standen auf den Valleywag-Seiten neben Klatschgeschichten auch echte Insiderinformationen, zum Beispiel zum Verkauf der Fotoplattform Photobucket an Myspace.
Früher zeigten Valleywag mehr Skrupel: Vor zwei Jahren schrieb ein Autor über die Kirchenmitgliedschaft und angeblich wilde Ehe von Google-Geschäftsführer Eric Schmidt. Gleichzeitig merkte der Schreiber an, diese privaten Details seien nicht von öffentlichem Interesse – es gebe keinen "Machtmissbrauch" oder derlei bei Google. Dennoch schien dem Autoren die Geschichte ungewöhnlich genug, um sie zu thematisieren – Klatsch aus Lust am Klatsch.
Wenige mögen, viele lesen Valleywag
Damals definierte Valleywag sich eher als IT-Blog mit Boulevard-Einschlag: Der bissige Ton, die aggressive und respektlose Haltung gegenüber den mächtigen Silicon-Valley-Ikonen und die einzigartige Mischung von Klatsch und echten Nachrichten machten Valleywag schnell zu einer bekannten Marke. Selbst die renommierte IT-Reporterin des "Wall Street Journal", Kara Swisher, bilanzierte im vorigen August: "Nicht jeder mag die Seite, manche finden einige Artikel zu scharfzüngig und überdreht, aber jeder scheint sie zu lesen."
Nicht nur das inhaltliche Profil, auch das Geschäftsmodell von Valleywag ist ungewöhnlich: Das Blog war einer der ersten – und ist sicher einer der prominentesten – Versuche, Blogs über ein schlankes Verlagshaus im Rücken zu kommerzialisieren.
Valleywag ist eine Tochterfirma des New Yorker Blog-Unternehmens "Gawker Media". Das Geschäftsmodell das Gawker-Gründers Nick Denton fasste " Business Week" einmal so zusammen: "Zahl ihnen (sehr wenig) und treib sie an (ständig)." Den Druck auf Blogger bei Gawker illustriert das US-Lifestyle-Magazin "Radar", das im Februar eine E-Mail von Gawker-Boss Denton an eine Mitarbeiterin veröffentlichte. Darin rechnet Denton vor: "Du solltest etwa 670.000 Pageviews im Monat bringen, um deine Beförderung zu rechtfertigen."
Das neue Valleywag: wenig IT, viel Sex und Schmutz
Vielleicht hat dieser Druck den Wandel von Valleywag befeuert. Auf dem IT-Blog mit Boulevard-Einschlag ist inzwischen ein Klatschblog geworden, in dem vor allem IT-Protagonisten mit Schmutz beworfen werden.
Neu hinzu kamen im Februar auch völlig von der IT-Branche losgelöste Beiträge in der Rubrik "Sex Trade". Einige Überschriften:
- "Sex Partys im Valley – wie bekomme ich Einladungen?"
- "Wie man seine Sexfilmchen veröffentlicht – drei einfache Regeln"
- "Drei Sex-Partys für Anfänger an diesem Wochenende"
Mit diesem neuen Kurs hat Valleywag Erfolg, wie die veröffentlichten Zugriffszahlen belegen: Im März 2007 hatte Valleywag gut 720.000 Besucher und 1,4 Millionen Pageviews. Verglichen damit ist die Seite in diesem Februar um einiges erfolgreicher gewesen: Gut 3,2 Millionen Besucher riefen 4,4 Millionen Seiten auf. Trotz des Publikumserfolgs könnte der Kurs Valleywag schaden, die Marke beschädigen. Je mehr Bettgeschichten Valleywag bringt, desto schwieriger wird die Antwort auf diese Frage: Wofür steht Valleywag?
Für den Techcrunch-Blogger (und Valleywag-Konkurrenten) Michael Arrington hat Valleywag mit der Jimmy-Wales-Kampagne eine Grenze überschritten. Arrington fragt in seinem Blog: "Wann hören wir von der ersten Selbsttötung wegen Valleywag?" Arrington schreibt, Valleywag-Artikel wie die über Jimmy Wales könnten für manche Menschen zu viel sein. Wer sich darauf konzentriere, ein Start-up zu gründen, sei nicht auf den Schock vorbereitet, Details zu "Eheproblemen" oder seiner "Kündigung" auf einer "beliebten, von Suchmaschinen erfassten Seite zu finden".
Objektiv kann man Arrington in dieser Sache aber nicht nennen. Er ist selbst betroffen. Seit Tagen verhöhnt ihn Valleywag. Jüngste Schlagtzeile: "Arrington wegen Selbstmordgefährdung unter Beobachtung."
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