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Breit und drahtlos (SPIEGEL online, 22.09.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
2 minuten gelesen

Breit und drahtlos

Vom mobilen Internet versprechen sich Unternehmen Gewinne in Microsoft-Dimensionen. Aktivisten arbeiten hingegen an einer Infrastruktur, die allein den Nutzern gehört.

SPIEGEL online, 22.09.2000

Um Wasser aus der Natur in die Häuser zu bringen, wurden in den vergangenen Jahrtausenden architektonische Meisterwerke vollbracht. Beim Internet zielen die Mühen in umgekehrte Richtung: Wie ist der Zugriff auf Daten unabhängig von einem festen Standort zu machen? Im Jahr 2020 werden weltweit 80 Prozent der Breitbandanbindungen mobil sein, prophezeiten Unternehmen beim diesjährigen „Wireless World Forum“. Ein Firmenchef prognostizierte: „Jemand in diesem Raum wird das nächste Microsoft sein.“

Dass es nicht so weit kommt, wollen einige Privatinitiativen verhindern. Sie planen ein drahtloses Netz, das nicht einem Unternehmen, sondern den Nutzern gehört. Nebenbei sollen die heute immer noch hohen Kosten für einen Internetzugang umgangen werden, indem der Nutzer die letzte Meile einfach selbst überbrückt.

In London will die Initiative consume.net in dieser Woche ihre ersten drei Knoten in Betrieb nehmen. Die sogenannten Knoten werden in dem Fall nicht von den Nutzer angewählt, wie es bei bisherigen Anbietern der Fall ist. Vielmehr ist ein Knoten einfach eine Breitbandanbindung ans Internet, die über den unlizenzierten 2,4 Ghz Bereich des Funkspektrums für jedermann zugänglich ist. Zumindest für jedermann, der eine Netzwerkkarte für den drahtlosen 802.11 Ethernet Standard hat. Diese sind für ungefähr knapp über 200 DM erhältlich. Theoretisch sind laut Wired so Geschwindigkeiten bis zu 8 Mbps erreichbar, das ist etwa das Zehnfache der Geschwindigkeit von T-DSL mit 768 Kbps. Die Entfernung zwischen Sender und Empfänger darf aber nur 45 Meter betragen, consume.net testet bereits Antennen, die Entfernungen von bis zu vier Kilometern ermöglichen sollen.

Kommerziell ist das Projekt bewusst nicht. Die Initiative basiert auf dem „der reiche Sankt Martin teilt seinen Mantel mit dem armen Bettler“ Prinzip. Die Betreiber der Knoten stellen ihre Breitbandanbindung ohne Gegenleistung zur Verfügung, investieren sogar in die Antennen.

Die Ziele der US- Initiative guerilla.net gehen weit über diese Idee des Teilens eines Zugangs hinaus. „Ziel ist es, einen Informationsfluss zu sichern, der nicht behindert, abgefangen, analysiert, geändert oder protokolliert wird. Dafür braucht es ein Netzwerk, das unabhängig von Regierungen, kommerziellen Internetprovidern, Telkommunikationsfirmen und verdächtigen Regulierungskomitees ist“, erklärte Brian Oblivion, Vertreter der vor allem in Boston aktiven Gruppe. Die Umsetzung hinkt aber noch den Zielen hinterher.

Erfolgreicher ist da Seattle Wireless. Die Initiative setzt auf eine ähnliche Technik wie die Londoner Epigonen. Seit Juni des Jahres ermöglichen etwa sechs Knoten einen Zugriff auf ihre Netzanbindung über Funk. Zusammen mit Xlan, einem Projekt des Studenten Greg Daly, will man Datenübertragung über Strecken von bis zu 20 Kilometern ermöglichen.

Ermutigt dürften sich die Aktivisten dadurch fühlen, dass schon seit 1985 eine vergleichbare Technik namens Ricochet den drahtlosen Netzzugang in den USA ermöglicht, demnächst sogar mit doppelter ISDN-Geschwindigkeit. Die Daten werden von Sender/Empfängern auf Straßenlaternen im Abstand von knapp einem halben Kilometer übertagen. Ricochet ist in elf großen Ballungsräumen der USA verfügbar.

Entmutigen wird die Aktivisten allerdings, dass mit dem Ricochet-Angebot die börsennotierte Firma Metricom gutes Geld verdient: Ein Funkmodem kostet umgerechnet etwa 200 Mark, der monatliche Festpreis für den Zugang liegt bei ungefähr 160 Mark.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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