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Breites Band der Hoffnung (Frankfurter Rundschau, 14.9.2004)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Breites Band der Hoffnung

Der neue Standard zur drahtlosen Datenübertragung WiMax könnte DSL und UMTS Konkurrenz machen – in Nordschweden, in China, vielleicht auch in Deutschland.

Frankfurter Rundschau, 14.9.2004

73000 Schweden können sich auf die nächste Polarnacht freuen. Die Einwohner der Gemeinde Skelleftea in Nordschweden können bald auch auf den abgelegensten Höfen im 7000-Quadratkilometer-Bezirk schnell im Internet surfen. Denn in diesem Monat startet in Skelleftea der IT-Konzern Intel mit lokalen Partnern den ersten europäischen Test einer Technologie, die den Markt für schnelle Internetanbindungen revolutionieren soll. WiMax heißt sie (eine Abkürzung für Worldwide Interoperability for Microwave Access) und soll laut Intel-Präsident Paul Otellini „die gleichen Auswirkungen auf DSL haben wie der Mobilfunk auf Festnetzanschlüsse“.

Der Grund für diesen Optimismus: WiMax deckt als Funkstandard mit einer Basisstation mehr Fläche ab und überträgt zudem Daten schneller als aktuelle Technologien wie Wlan. Das bedeutet: Technisch könnte WiMax zum Beispiel DSL-Anschlüsse ersetzen. Beim Pilotprojekt in Nordschweden kommen mit WiMax Haushalte schnell ins Netz, die bisher kein DSL nutzen konnten. Wegen der geringen Besiedlungsdichte lohnte es sich nicht, das Telefonnetz für DSL auszubauen. Mit WiMax hingegen ist die Komplettversorgung dieser Region finanzierbar. Denn eine WiMax-Basisstation soll unbestätigten Schätzungen zufolge nur um die 10.000 Dollar kosten. Doch einer dieser am Internet hängenden Antennenmaste kann laut Intel nach dem ersten WiMax-Standard (IEEE 802.16a) bis zu 50 Kilometer weit funken, gut 1000 Nutzer gleichzeitig versorgen und Daten mit bis zu 70 Mbit pro Sekunde übertragen. Zum Vergleich: Das wäre 200-mal schneller als der Mobilfunkstandard UMTS.

Wegen dieser Zahlen wird WiMax oft als „UMTS-Killer“ bezeichnet. So stimmt das nicht. Die jetzt in Schweden installierte Technik erreicht die hohe Reichweite und Bandbreite nur bei Sichtverbindung zwischen der großen Sendeantenne und den Empfängern. WiMax nach dem Standard 802.16a ist als nichts anderes als Richtfunk – und deshalb nur ein Ersatz für DSL, nicht aber für Standards zur mobilen Nutzung wie UMTS oder Wlan. Mit einem Laptop 40 Kilometer von der nächsten WiMax-Basisstation in vielfacher DSL-Geschwindigkeit zu surfen, ist also ein Mythos.

Allerdings arbeitet vor allem Intel intensiv an einem WiMax-Standard, der auch Geräte in geschlossenen Räumen versorgen soll – mit Antennen auf Nutzerseite, die klein genug für Notebooks sind. Dieser Standard (802.16e) ist noch in Entwicklung, jede Aussage über die Konkurrenz von WiMax zu UMTS und Wlan also Spekulation. Auf einer Tagung des deutschen Internet-Verbandes eco zu WiMax schätzte vor kurzem Wolfgang Holz von Alcatel die Reichweite der frühstens 2008 verfügbaren WiMax-Hardware für Laptops auf 600 bis 900 Meter – je nach Bebauungsdichte der Umgebung. Holz rechnet mit einer Geschwindigkeit von knapp 20 Mbit je Sekunde, die sich alle Nutzer einer Basisstation teilen. Das wäre immer noch deutlich schneller als UMTS und würde größere Flächen abdecken als Wlan. Doch es ist nicht so spektakulär, wie WiMax oft dargestellt wird.

Nüchtern betrachtet ist ab 2005 mit WiMax in Deutschland bestenfalls das möglich, was die glücklichen Einwohner von Skelleftea heute schon können: Auch an entlegenen Wohnorten das Internet schnell nutzen. Entlegen sind ja nicht nur Höfe in Nordschweden. Vom Breitband-Internet ausgeschlossen sind heute auch in Deutschland viele ländliche Regionen. Auch wer heute schon DSL nutzt, könnte von WiMax profitieren. Denn wenn es für die letzte Meile eine Alternative zu den fest verlegten Leitungen der Telekom und der wenigen anderen Anbieter existiert, dürften die Preise sinken.

Sicher ist der Erfolg von WiMax als drahtloser DSL-Ersatz allerdings nicht. Denn eine ähnliche Richtfunk-Technologie, Wireless Local Loop (WLL), konnte sich in Deutschland nicht durchsetzen. Auf gut 21 Tonnen Papier hatten die Bewerber Mitte 1999 WLL-Lizenzen bei der deutschen Regulierungsbehörde RegTP beantragt. Experten waren sich sicher, dass WLL die Telekom-Konkurrenten beflügeln würde. Nur: Ende 2002 ging einer der letzten großen Anbieter, Star 21, pleite. Zur Vorsicht mahnen Analysten wie Richard Dineen von der Marktforschungsfirma Ovum: „Ich denke, dass DSL als vollentwickelte Kabeltechnologie immer gewinnen wird.“ Chancen sieht er für WiMax nur dort, wo es kein DSL-Netz gibt. Also auf dem Land – oder in Schwellenstaaten wie China. Intel hat bereits Verträge für die WiMax-Versorgung der chinesischen Regionalmetropolen Dalian (10 Millionen Einwohner) und Chengdu (5,9 Millionen).

WiMax wird DSL vielleicht in China ersetzen, in Deutschland höchstens ergänzen. Ähnlich vorsichtig müssen Prognosen zur mobilen WiMax-Nutzung ausfallen. 2006 sollen die ersten Laptops mit WiMax-Antennen zu kaufen sein, erwartet Intel. Nur: Werden Anwender die Technik auch nutzen? „UMTS ist viel mobiler und hat eine größere Abdeckung als WiMax“, urteilt David Sumi, Produktmanager beim WLAN-Spezialisten Proxim, der auch WiMax-Basisstationen anbieten wird. Sumi sieht WiMax als Ergänzung zu UMTS, ähnlich, wie es heute WLAN ist. Diese Parallele zeigt auch ein anderes Problem, mit dem WiMax-Anbieter kämpfen werden: Heute existieren in Deutschland Tausende von WLAN-Hotspots, doch sie werden deutlich weniger genutzt als man erwartet hat. Schuld daran ist vor allem, dass ein einheitlicher Abrechnungsstandard fehlt. Derzeit brauchen WLAN-Nutzer für unterschiedliche Hotspots oft unterschiedliche Gutscheine oder Abos – und viele unterschiedliche Logins. Nur langsam schließen die Anbieter sich zu einheitlich abrechnenden Gruppen zusammen. Neue WiMax-Netze könnten das Tarif- und Anbieterchaos noch verschlimmern.

Technisch hat WiMax zweifellos das Potenzial zum Erfolg neben DSL und UMTS: Die Daten fließen schneller und die Technik wird durch Intels Geschäftspolitik, Bauteile zu liefern, für mehrere Anbieter verfügbar sein. Nur: Um auf gleicher Augenhöhe mit UMTS zu konkurrieren, muss WiMax neben den technischen auch Abrechnungsstandards bieten.

Funkverkehr

Dass die Zukunft drahtlos ist, scheint unter Technologieanbietern ausgemacht. Jahrelang haben IT-Branchenriesen freie Funkfrequenzen Mikrowellen und schnurlosen Telefonen überlassen.. Doch jetzt erarbeiten sie in unterschiedlichen Gremien neue Funkstandards. WiMax: Der Nachfolger für Wi-Fi/WLAN: schnellere Datenübertragung auf größere Entfernungen. Hardware für WiMax-Variante zur mobilen Nutzung wird frühstens 2006 erscheinen. Mobile-Fi (auch MBWA): Konkurrenz zu WiMax, allerdings mit weniger Branchenunterstützung. Erste Hardware frühstens 2006, verspricht höhere Reichweite für mobile Nutzer als WiMax. Datenübertragung auch in Autos oder Zügen, die mit 200 km/h unterwegs sind. Ultrawideband: Könnte der Nachfolger von Bluetooth werden. Extrem schnelle Datentransfers auf kurze Entfernung: etwa 480 Mbit je Sekunde bei einem Meter Abstand, ungefähr 110 Mbit/S auf zehn Meter. Geeignet für die Verbindung zwischen Desktop-PC und Laptop, PDA, Kamera, MP3-Player und dergleichen. Erste Produkte 2005. ZigBee: Die ZigBee-Allianz (getrieben von Philips und Motorola) will per Funk Steuerungs- und Überwachungssysteme mit intelligenten Sensoren vernetzen. Sie funken in Fabriken, Büros oder auf Plantagen Daten zu Temperatur, Bewegung und dergleichen weiter.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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