Brettspiel-Test: Scharfschützen-Schach und Tetris-Schlachten (Spiegel Online, 26.11.2009)
Brettspiel-Test
Scharfschützen-Schach und Tetris-Schlachten
Lange Abende, viel Regen und bald auch noch Weihnachten: Die Brettspiel-Saison hat begonnen. Scrabbeln im Zickzack, Schach mit Schusswaffen und Kartenspiele für Ordnungsfanatiker – SPIEGEL ONLINE testet Spiele für lange Winterabende.
Spiegel Online, 26.11.2009
Jahr für Jahr kürt eine unabhängige Jury das “Spiel des Jahres”, der Hersteller freut sich und druckt das Emblem auf seine Kartons und die Menschen kaufen im Weihnachtsgeschäft blind, was immer da im Herbst ausgezeichnet wurde. Dabei kann es doch gar nicht das für jedermann passende Spiel des Jahres geben – nicht jeder will Stunden investieren, um die Spielmechanik so weit zu begreifen, dass er Spaß haben kann. Deshalb hier eine Auswahl ganz unterschiedlicher Titel – zufallsdominierte, schnell zu beherrschende und komplexe für ältere Spieler.
Karten, Kugeln, Plättchen – SPIEGEL ONLINE empfiehlt die besten Gesellschaftspiele der Saison.
Dominion – das Spiel das Jahres
Wenn ein Titel als das Spiel des Jahres ausgezeichnet wird, explodieren die Verkaufszahlen. Diese allgemeine Begeisterung ist bei Dominion nicht so ganz nachzuvollziehen. Das Spiel ist gar nicht schlecht, der Autor versucht etwas Neues: Dominion ist eine Mischung aus Sammelkarten- und Aufbauspiel. Es richtet sich wohl an zwei recht unterschiedliche Zielgruppen: Brettspiel-Fans und jugendliche Spieler, die mit Brettspielen bislang nichts zu tun hatten, aber angefixt waren von Sammelkartenspielen wie Magic.
Das Spiel besteht aus Karten – Dominion enthält 500 davon. Das Ziel jedes Spielers: Möglichst viele Punktekarten (Ländereien) anzuhäufen. Die kann man mit Geldkarten bezahlen, wobei es wiederum hilft, bestimmte Aktionskarten zu besitzen, die es einem zum Beispiel erlauben, zusätzliche Karten zu ziehen oder mehr Geld auszugeben, als man auf der Hand hat.
Einige außergewöhnliche Ideen peppen den Spielmechanismus auf: Die Punktekarten behindern Spieler am Anfang eher. Wer zu früh hortet, kommt vielleicht nicht schnell genug voran. Außerdem horten die Spieler von Anfang bis Ende Karten in der Hand – man muss in jeder Runde Karten ziehen und ablegen, wodurch bei jedem neuen Zug der Zufall mitspielt und Taktik gefragt ist: Mit Aktionskarten, können Spieler Ihre Chancen auf gute Karten erhöhen, mehrere Aktionen spielen oder ihre Kaufkraft steigern.
Außerdem spielt man kein Spiel mit dem kompletten Kartensatz – der wird für jede Partie neu zusammengestellt, es gibt einige Vorschläge für Kartensätze in der Anleitung, die unterschiedliche Spielarten begünstigen.
Das ist alles gut durchdacht und recht innovativ, nur fehlt beim Spielen mit der Grundausstattung das Gegeneinander der Spieler doch sehr. Es fühlt sich die meiste Zeit an, als würden da viele Einzelspieler eigene kleine Kartenspiele der Reihe nach durchziehen. Wie Patience legen, nur dass am Ende dann einer gewonnen hat und die anderen nicht. Interaktionen sind selten, jeder ist mit sich und seinem Stapel und seinem Glück beschäftigt – der Zufall hat für manchen Geschmack zu viel Einfluss auf das Spielgeschehen. Den Mangel an Interaktionen beheben die Erweiterungen (die natürlich extra kosten) ein wenig, weil neue Aktionskarten hinzukommen.
Dominion verlangt relativ viel Aufbau- und Vorbereitungszeit (Karten aussuchen, Karten mischen, Karten legen). Die Regeln versteht man nach ein, zwei sich eher dahinschleppenden Probespielen. Bis man aber die Spielmechanik gut genug durchschaut, um etwas mehr Spaß zu haben, braucht es viele Spielrunden – und wohl auch eine Erweiterung, die mehr Interaktion ins Spiel bringt.
Wer viel Zeit und Geduld hat, sich auf ein Spiel einzulassen, das dann später richtig Spaß macht, kann Dominion sicher liebgewinnen. Den Testern ging es allerdings nicht so. Eher etwas für Tüftler.
Donald X. Vaccarino: Dominion, für 2 bis 4 Spieler ab 8 Jahren. Spieldauer: ca. 30 – 45 Min. Preis: ab ca. 17,95 Euro (günstigster Preis im Online-Handel) Hans im Glück 48189 – Dominion, Spiel des Jahres 2009
Callisto – um die Wette Steinchen legen
Callisto hat zwei Dinge mit dem Spielklassiker Tetris gemeinsam: Die bunten, eckigen Spielsteine sehen den Tetroiden ähnlich, das Spielprinzip und die Regeln hat man in fünf Minuten begriffen, spielt dann aber Wochen und wohl auch Monate lang immer wieder.
Das fesselnde Prinzip ist sehr einfach: Zwei, drei oder vier Spieler müssen möglichst alle ihrer Spielsteine auf demselben Spielfeld unterbringen. Wer am wenigsten Spielsteine übrig hat, wenn keine Züge mehr möglich sind, gewinnt. Nur ist auf dem Spiel nicht genug Platz für alle Steine, also muss man möglichst schnell, möglichst viel Gelände erobern.
Die wichtigsten Regeln nötigen die Spieler zum Kampf um Spielplatz: Man darf seine Steine nur neben andere der eigenen Farbe legen. Wer also ein Gebiet abriegelt, kann hier später in Ruhe die eigenen Steine loswerden. Eine Möglichkeit gibt es noch für die Mitspieler, so ein Gelände zu erobern und das Spiel noch einmal zu drehen: Einen Turm dürfen Spieler jederzeit überall auf dem Spielfeld abstellen und dann dort Steine anlegen.
Den Reiz des Spiels macht zum einen der klassische Tetris-Ordnungswahn aus, Spielsteine passgenau zu stapeln. Zum anderen gerät man ständig mit seinen Mitspielern aneinander, blockiert deren Steine oder verliert selbst freie Legefläche.
Sehr angenehm bei Callisto ist der geringe Zeitaufwand: Die Regeln versteht man schnell, ein Spiel muss man nicht erst groß aufbauen und eine Runde ist in 15, 20 Minuten gespielt. Weil jede Partie anders verläuft, und sich während des Spiels schnell dreht, wollen Spieler viele, viele Runden hintereinander spielen. Ein kleines, perfektes, fesselndes Spiel, an den man sehr lange Freude hat und das man nicht nur an langen Spielabenden genießen kann. Mit Callisto haben Tüftler, Gelegenheits- und Garnicht-Spieler Freude.
Reiner Knizia: Callisto, für 2 bis 4 Spieler ab 7 Jahren. Spieldauer: ca. 20 Min. Preis: ab ca. 20 Euro (günstigster Preis im Online-Handel) Piatnik 6383 – Callisto
Kingpin – Scharfschützen-Schach
Dass die Krakauer Macher von Kingpin “ab 18” auf die Spielverpackung geschrieben haben, ist sicher ein kleiner PR-Trick. Klar: Ziel des Spiels ist es, Gangster gegnerischer Banden zu erschießen und deren Gebiet zu erobern. Das Spielfeld und die Figuren sind sehr düster gezeichnet (eine stimmige, für ein Spiel außergewöhnliche Gestaltung, die ein wenig an die Sin-City-Comics erinnert).
Aber die Gewalt in diesem Spiel ist ähnlich abstrakt wie beim Schach: Hier werden ja auch Bauern von Kavallerie niedergemetzelt, wenn man sich das bildlich vorstellt. Tut man nicht, auch nicht bei Kingpin, das eine Art Mafia-Schach ist. Das ist auch die natürliche Altersbeschränkung des Spiels: Wer am Schach-Prinzip keine Freude hat, wird mit Kingpin wenig anfangen könne.
Das Ziel des Spiels – wie Schach nur etwas für zwei Personen – ist es, Territorium zu erobern und Gegner auszuschalten. Das Spielfeld ist aber viel kleiner als beim Schach (20 Felder), es gibt weniger Figuren für jeden Spieler (8). Das beschleunigt den Spielverlauf im Vergleich zu Schach erheblich, der Zwang zur Konfrontation ist auch deutlich höher – weniger Strategie, mehr Taktik.
Anders als beim Schach unterscheidet die Figuren nicht nur die Art der möglichen Züge, sondern auch die Kampfkraft, die Resistenz gegen Angriffe (gezählt in Schusswesten). Hinzu kommt die Möglichkeit, dass Figuren auf angrenzenden Feldern in einen Kampf eingreifen und zum Beispiel Deckung geben und so den Ausgang der Auseinandersetzung verändern.
Kingpin ist für die geringe Menge an Figuren und Feldern erstaunlich komplex. Man kann mit optionalen Regeln den Spielverlauf noch beschleunigen oder mit verschiedenen Konstellationen verfeindeter Clans (es gibt drei mit unterschiedlichen Figuren zur Auswahl) experimentieren.
Zufall und Glück haben bei Kingpin keinen Einfluss aufs Spiel – wer besser plant und grübelt, gewinnt. Das und die hohe Spielgeschwindigkeit (wenn man einmal drin ist, spielt man deutlich weniger als eine halbe Stunde pro Partie) machen Kingpin zu einem Titel, den man sehr lange, sehr oft und immer wieder einmal spielt. Wenn man Schach mag.
Rafa Cywicki, Krzysztof Cywicki und Krzysztof Hanusz: Kingpin, für 2 Spieler ab 18 Jahren. Spieldauer: ca. 20 – 30 Min. Preis: ab ca. 24,95 Euro (günstigster Preis im Online-Handel)
Letter – das Zickzack-Scrabble
Okay, bei Letter muss man Buchstaben anlegen und Wörter erkennen. Aber das deutsche Letter hat einige einzigartige Ideen, die den Spielablauf recht interessant machen: Die Buchstaben sind unterschiedlich groß, die neuen Wörter können in unterschiedlicher Leserichtung auch von unten nach oben, rechts nach links und sogar im Zickzack erkannt werden.
Das führt dazu, dass Letter nicht nur aus dem Anlegen, sondern auch dem kreativen Aufspüren unerkannter Wörter auf dem Spielfeld besteht. Das macht Spaß, fühlt sich nicht so gezwungen wie andere Sprachspiele an. Die Regeln sind schnell zu verstehen und anpassbar – wer will, kann mit einer Sanduhr auf Zeit spielen und englische Wörter zulassen oder sich eine Ergänzung austüfteln.
Wer am Ende die meisten Wörter entdeckt und Punkte gesammelt hat, gewinnt. Das ist vertraut, der Rest des Spiels eine angenehme Abwechslung. Wer Wortspiele mag, wird mit Letter viel Freude haben.
Michael Sohre, Werner Falkhof: Letter, für 1 bis 6 Spieler ab 10 Jahren. Spieldauer: ca 45 Minuten, Preis ab 22 Euro (günstigster Preis im Online-Handel) Theta 20 004 – Das Spiel
Rubik’s 360 – die Nervkugel
Eigentlich kein Gesellschaftsspiel (außer man tritt mit zwei Kugeln gegeneinander an?), aber eine Erwähnung wert: Wer den Rubikwürfel hasste, wird dem Rubik’s 360 getauften Spielzeug wenig abgewinnen können. Wer gern knobelt, wird mit dieser Mischung aus Grübel- und Geschicklichkeitsspiel für kurze Zeit seinen Spaß haben.
Das Ziel des Spiel ist es, sechs Kügelchen unterschiedlicher Farben aus der innersten von drei Kugeln in farblich passende Hohlräume in der äußersten zu bugsieren.
Man kann das mithilfe der Fliehkraft versuchen, man kann auch eine etwas elegantere Methode entdecken (entweder in einer langen Nacht des Herumprobierens oder im Web). Aber egal, wie man es anstellt: Das Klackern der Kugeln, die immer neuen Rückschläge, die unerbittliche Schwerkraft – es nervt! Aber das machte für manchte ja schon den Reiz des Rubikwürfels aus.
Hat man den eleganten Lösungsweg einmal geschafft, ist der Reiz eines erneuten Versuchs recht gering. Allerdings kostet die Nervkugel so viel wie ein Kinoticket, da ist die geringe Wiederspielbarkeit zu verschmerzen. Ein nettes Kurzzeit-Spielzeug für die wenigen Menschen, die sich mit Freude einen Rubikwürfel zurecht gedreht haben. Wer darauf keine Lust hatte, wird auch die Kugel in der Ecke liegen lassen, wie einst schon ihren eckigen Vorläufer.
Rubik’s 360, für 1 Spieler ab 8 Jahren. Spieldauer: kurz oder sehr lang, Preis ab 10 Euro (günstigster Preis im Online-Handel) Jumbo Spiele 12150 – Rubik’s 360