Brutale Werbemethoden: Die fiesen Tricks der MySpace-Nachahmer (Spiegel Online, 20.9.2007)
Brutale Werbemethoden
Die fiesen Tricks der MySpace-Nachahmer
Mit perfiden Methoden versuchen Neulinge in der Web 2.0-Welt an Mitglieder zu kommen. Sie spähen Mail-Kontakte neuer Mitglieder aus oder erlauben es, Profile über ahnungslose Bekannte anzulegen. So wollen manche Firmen an Privat-Daten kommen, um Werbung zu personalisieren.
Spiegel Online, 20.9.2007
Paul ist faul, langweilig und ein Saubär. So steht es auf seiner Seite bei Yahoos neuem sozialen Netzwerk Mash. Nur hat Paul die Angaben nie gemacht, er ist nicht mit einmal Mitglied bei Mash. Er hat nur einen Bekannten, der ihn etwas ärgern wollte. Das macht Mash sehr leicht: Jeder Insider kann mit ein paar Klicks Profile für jedermann einrichten. Man kann sich austoben, muss aber eine E-Mail-Adresse des so Dargestellten angeben.
Der so zwangsrekrutierte Kontakt bekommt eine E-Mail von Mash: Jemand habe ein Profil eingerichtet, man solle es doch mal prüfen. Und dann der ironische Schlusskommentar: "Es ist gut, geliebt zu werden!" Natürlich wird da jeder neugierig, was Bekannte über einen geschrieben haben. Und wer dann ein Profil wie das von Paul entdeckt, wird sofort an der Klarstellung arbeiten – und so den Traffic bei Yahoos neuem soziales Netzwerk befeuern.
Klicks dank Fummeleien an Profilen anderer – dass das der Plan ist, beschreibt Chefentwickler Will Aldrich im Begrüßungseintrag des Mash-Blogs. Das Angebot unterscheide sich von anderen dadurch, dass man Profile für andere anlegen, sie sogar nachträglich verändern könne – eine Freigabe vorausgesetzt. Diese neue Vermarktungsstrategie von Yahoo Mash ist deutlich aggressiver als die bisheriger Angebote des Konzerns – eine Folge des immer härter werdenden Kampfs um Aufmerksamkeit und Marktanteile im Mitmachnetz.
Rabiate Werbemethode
Im Vergleich zu den Werbemethoden anderer Neulinge in diesem Geschäft ist Mash hingegen harmlos und völlig seriös. Denn hier kann man selbst bestimmen, wie viel des eigenen Profils öffentlich ist, wie viel andere verändern können. Und die fremdbestimmten Profilseiten zwangsrekrutierter Mitglieder sind für andere erst nach dem Einloggen sichtbar.
Viel rabiater geht zum Beispiel das Netzwerk Quechup zur Sache. Anders als Yahoo Mash hat das Angebot konzeptionell nichts Neues zu bieten – Blogs, Profile, Chats, Kontaktbörse. Außergewöhnlich ist aber, dass fast jeder Neuanmelder, der bei der Registrierung nicht das Kleingedruckte studiert, unwissend alle seine Bekannten zu Quechup einlädt. Der Trick: Beim Anmelden fragt Quechup, ob man nicht prüfen wolle, welche Bekannten schon registriert sind. Man müsse sich nur bei seinem E-Mai-Account von Hotmail, Google, Yahoo oder AOL einloggen. Wer das tut, gleicht aber nicht nur sein Adressbuch mit Quechup-Mitgliedern ab, sondern verschickt eine persönliche Einladung an alle Adressen im eigenen E-Mail-Fach.
Dass man so vorgeht, gibt Quechup zwar an – allerdings in einem Nebensatz in einem unscheinbaren Kasten. Auf diesen Trick sind schon einige Branchen-Insider reingefallen, zum Beispiel Silicon-Valley-Veteran Tom Foremski. In seinem Namen bombardierte Quechup all seine Kontakte mit Einladungen. Foremski ist wütend, vergleicht das Vorgehen mit dem Funktionsprinzip eines Virus, schimpft in seinem Blog über diese Drückermethoden: "Wie kommt Quechup auf die Idee, dass das Spammen eines Adressbuchs eine dauerhafte Nutzerbasis schafft?" Offenbar funktioniert das Verfahren gut genug – trotz heftiger öffentlicher Kritik hat Quechup an dem irreführenden Hinweis nichts geändert.
Noch perfider arbeitet der aufs Mitmachnetz spezialisierte Datenkrake Rapleaf. Das US-Unternehmen betreibt drei Internetangebote (siehe Kasten unten).
DATENKRAKE RAPLEAF: DIE DIENSTE IM ÜBERBLICK Rapleaf
Upscoop
Trustfuse |
Die drei Dienste tauschen – nach auf ihren Seiten veröffentlichten Datenschutzbestimmungen – Informationen aus. Beim Mitmachnetz-Durchforster Upscoop steht, dass die hier gewonnen Daten bei Rapleaf genutzt werden können und umgekehrt. In den Datenschutzbestimmungen beider Angebote erklärt der Betreiber außerdem, dass manche der hier abgegriffenen Daten über Trustfuse an Unternehmen verkauft werden können.
Wer Menschen sucht, füttert die Adress-Datenbank
Der Datenberg bei Rapleaf ist riesig: 50 Millionen Personenprofile hat das Unternehmen nach eigenen Angaben, täglich sollen "einige Hunderttausend" dazukommen. Die Datenbank wächst dank der Freizügigkeit der Menschen im Mitmachnetz – und dank Rapleafs cleverer Lock-Methoden. Das Unternehmen verleitet Surfer, Details über ihre Bekannten zu verraten. Beispiel: Wenn jemand auf Rapleaf.com nach einer E-Mail-Adresse sucht, wird diese im System gespeichert. Ein Test von SPIEGEL ONLINE bestätigte dies: Eine am Vortag eingegebene, Rapleaf da noch unbekannte Adresse taucht bei einer Suche am nächsten Tag als "bekannt" auf.
Diese Informationen nutzt Rapleaf zum einen, um seine Such-Software gezielter schnüffeln zu lassen. Zum anderen wirbt das Unternehmen über die so gewonnen Adressen für seinen Dienst. Das beschreibt Firmen-Gründer und Geschäftsführer Auren Hoffmann selbst im Firmenblog: Jeden Montag sende man E-Mails an alle Menschen, nach deren E-Mail-Adressen andere auf Rapleaf.com gesucht hätten. Begründung: "Wir wollen einer Person, nach der gesucht wird, die Chance geben, ihre Daten zu verwalten."
Aggressive Akquise der Datensammler
Allerdings scheint Rapleaf mit diesen E-Mail-Adressen manchmal auch nur Menschen dazu bewegen zu wollen, ihre Profile in der Rapleaf-Datenbank zu pflegen. Ende August hatte die Firma den Versuch gemacht, allen Menschen, nach denen jemand bei Upscoop gesucht hatte, eine Einladung zu schicken. Der Flut von Einladungen folgte ein Proteststurm ähnlich wie nach Quechups aggressiver Akquise-Aktion. Allerdings hat Rapleaf daraus gelernt: Falls überhaupt, werde man solche E-Mails in Zukunft wohl "nicht häufiger als einmal im Quartal" an eine Person schicken, kündigt Rapleaf-Boss Hoffmann im Firmenblog an.
Grundlegende Bedenken gegen das Rapleaf-Geschäftsmodell des Datensammelns versteht Hoffmann nicht. Seine Argumentation: "Diese Informationen sind öffentlich verfügbar, aber es dauert lang, sie zu finden. Rapleaf automatisiert die Suche." Mit anderen Worten: Was ist verwerflich daran, wenn Unternehmen die freiwillige Selbstentblößung in sozialen Netzwerken nutzen?
Branchenprimus MySpace hat jetzt angekündigt, ab sofort Informationen aus Nutzerprofilen für gezielte Online-Werbung zu nutzen. Solange Nutzer diesen wertvollen Rohstoff weiter freiwillig verschenken, werden sich Mitmach-Netzwerke mit immer aggressivere Akquise-Methoden bekriegen.
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