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CDU-Idee Klarnamenzwang: Ein Lob der Pseudonyme (Spiegel Online, 15.11.2010)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

CDU-Idee Klarnamenzwang

Ein Lob der Pseudonyme

Der Vorsitzende der Internet-Enquete des Bundestags verlangt eine Klarnamenpflicht im Netz: Nutzer sollen im Web “mit offenem Visier” diskutieren, findet Axel E. Fischer und erntet Spott. Zu Unrecht: Sein Vorschlag ist wenig durchdacht, das grundlegende Problem aber sehr real.

Spiegel Online, 15.11.2010

{jumi [*3]}

Eine perfekte Vorlage für Witze hat der CDU-Abgeordnete Axel E. Fischer da geliefert: Der Vorsitzender der Enquete-Kommission “Internet und digitale Gesellschaft” des Bundestags verlangt ein ” Vermummungsverbot im Internet“. Der Parlamentarier argumentiert, unter der Möglichkeit, pseudonymisiert in Foren zu debattieren, würde “die Qualität von Diskussionen in Foren und Blogs” leiden.

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Fischer hat sich mit seiner Formulierungen keinen Gefallen getan, wörtlich heißt es in seinem Beitrag: “Andererseits brauchen wir darüber hinaus die Einführung eines ‘Radiergummis’ im Internet, mit dem Inhalte nach einer gewissen Zeit gelöscht werden können. Kein Vermummungsverbot ohne Radiergummi, sonst entsteht ein Ungleichgewicht.”

Kein Vermummungsverbot ohne Radiergummi! Diese Vorlage persiflieren Web-Nutzer nun mit Ketten-Postings wie “Axel E. Fischer, CDU, fordert Drogenspürhunde für Datenpakete” oder “Axel E. Fischer, CDU, fordert Deutsch als Programmiersprache.” Das ist unterhaltsam, aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Fischer meldet sich etwas unbeholfen einer wichtigen Debatte zu Wort, die seit Monaten auch Menschen bewegt, die man nicht so einfach als ahnungslose Offline-Politiker verunglimpfen kann.

Web-Größen drängen auf Klarnamenpflicht

Einer der erfolgreichsten Betreiber von Online-Rollenspiele zum Beispiel, das US-Unternehmen Blizzard, wollte im Sommer einen Klarnamenzwang in den Foren des Online-Rollenspiels “World of Warcraft” (mehr als elf Millionen aktive Abonnenten) einführen. Ein Mitarbeiter begründete das im Forum damals so: Wenn der “für Online-Unterhaltungen typische Schleier der Anonymität entfernt” werde, könne dies “zu einer besseren Umgebung in den Foren führen, konstruktive Unterhaltungen fördern”.

Nach der Ankündigung brach ein Sturm der Empörung los. Einige Spieler äußerten die Sorge, Bekannte aus einem anderen Kontext (Arbeit, Vereine) würden sie per Web-Recherche so schnell als Online-Rollenspieler identifizieren können. Das ist bei einem Hobby, das in manchen Kreisen kritisch gesehen wird, sicherlich nicht immer von Vorteil. Der WoW-Betreiber verzichtete dann auf die Klarnamen-Einführung.

Das Beispiel veranschaulicht den Kern des Identitätsproblems sehr gut: Menschen trennen verschiedene Bereiche ihres Privatlebens voneinander, man ist nicht immer derselbe in Beruf, Freizeit und privatem Engagement. Im Web ist das ähnlich, deshalb gibt es ja besondere soziale Netzwerke, die auf die berufliche Nutzung zugeschnitten sind wie Xing oder Linkedin. Es muss Nutzern freistehen, in solchen Netzen eine andere Online-Identität zu verwenden als zum Beispiel im Forum einer Selbsthilfegruppe für Essgestörte oder einem Verein, der historische Schlachten nachspielt.

Telemediengesetz verlangt Pseudonymisierung-Angebot

Der Nutzer soll das Recht haben, darüber zu entscheiden, wo er wie öffentlich auftreten will, deshalb verpflichtet auch das Telemediengesetz (§ 13 Abs. 6) Anbieter dazu, eine anonyme Nutzung ihrer Dienste oder eine Nutzung unter Pseudonym zu ermöglichen. Sofern dies technisch möglich und zumutbar ist. Diese Zumutbarkeits-Formulierung lässt einen wichtigen Spielraum bei der Interpretation des Gesetzes.

Es gibt Angebote, in denen eine Nutzung mit Fantasienamen dem Betreiber kaum zumutbar ist: Eine Verkaufsplattform wie Ebay muss zumindest die Klarnamen speichern, aber nicht unbedingt veröffentlichen. Einem professionellen Netzwerk wie Xing ist pseudonyme Nutzung wahrscheinlich nicht so leicht zumutbar wie einem Freizeit-Netzwerk wie Wer-kennt-Wen.

Schon diese Beispiele zeigen, wie wenig durchdacht die Forderung eines pauschalen Klarnamenzwangs ist – es gibt zu viele unterschiedliche Angebote und Nutzungskontexte im Web. Das ignoriert der Abgeordnete Fischer bei der Klarnamenforderung, das ignorieren aber auch seine Kritiker, die ein Plädoyer für Klarnamen als Blamage werten, bloß weil es ein CDU-Politiker unfreiwillig komisch formuliert hat. Es gibt durchaus Foren im Web, denen Klarnamen oder wenigstens konstante Pseudonyme durchaus gut tun würden. Es sind bei weitem nicht immer die Offline-Nichtsblicker, die solche Ideen befürworten.

Manche Blogger wollen Klarnamen-Kommentare

Im IT-Blog Netzwertig entbrannte im Juli eine Debatte über den Ton einiger Kommentare. Netzwertig-Blogger Martin Weigert erklärte: “Wer im professionellen Teil des Internets anonym Kritik äußert, hat ein zunehmendes Glaubwürdigkeitsproblem. Gefragt sind Diskurse auf Augenhöhe.”

Im August debattierten die Mitglieder der Piratenpartei hitzig über eine Plattform namens Liquid Feedback, die bei bestimmten Entscheidungen (Personalentscheidungen sind ausgeschlossen) das Abstimmungsverhalten aller Mitglieder offenlegen sollte, die sich um ein Parteiamt bewerben – unter Pseudonym oder freiwillig unter Klarnamen. Nach viel Streit wurde diese Regelung Ende August eingeführt.

Identitäten an Pseudonyme binden

Bei weitem nicht jedes Forum, in dem Nutzer unter Pseudonymen auftreten, versinkt im Chaos. Wichtig ist, dass Nutzer einen Anreiz haben, sich nur unter einem einzigen Pseudonym zu äußern, und dass die Konsequenzen aus gutem und schlechten Benehmen mit diesem Pseudonym verknüpft sind.

Beim Sonderfall Ebay funktioniert das zum Beispiel – solange eine Auktion läuft, treten die Verkäufer hier nur unter Pseudonym auf. Wie viel sie für einen Artikel bieten, wie sehr sie den Angaben des Verkäufers vertrauen, entscheiden die potentiellen Käufer zu einem Zeitpunkt, zu dem sie nur das Pseudonym des Verkäufers und die damit verbundenen Bewertungen anderer Käufer kennen. Das Vertrauen gründet bei diesem System nicht auf der Kenntnis des Klarnamens, sondern auf der Garantie der Betreiber, dass die mit dem Pseudonym verknüpften Informationen stimmen.

Ein Beispiel für ein solches System sind die in Verknüpfung mit einem Facebook-Profil veröffentlichten Kommentare, die viele Webseiten anbieten. Vergleicht man den Ton solcher Foren mit dem in anderen ohne Facebook-Anbindung, fällt oft auf, wie viel höflicher und elaborierter die Facebook-Kommentare im Vergleich wirken. Ein Grund dafür könnte sein, dass derzeit noch viele Facebook-Nutzer ein einziges Profil nutzen, mit dem sie auch all ihre Freund- und Bekanntschaften abbilden. Der Effekt ist soziale Kontrolle: Jeder Facebook-Kontakt kann sehen, wie jemand mit diesem Konto auf anderen Seiten kommentiert.

Mit Namensschildchen in die Kneipe?

Facebook propagierte die Klarnamen-Kultur von Anfang an. In der “Erklärung der Rechte und Pflichten” für Facebook-Mitglieder heißt es: “Du wirst keine falschen persönlichen Informationen auf Facebook bereitstellen oder ohne Erlaubnis ein Profil für jemand anderen erstellen.”

Webseiten, die eine Identifizierung per Facebook anbieten, nutzen schon lange eine Art Klarnamen-Schnittstelle, wie sie nun der Abgeordnete Fischer ins Spiel bringt. Mit einem Unterschied: Statt der Technik eines US-Unternehmens, das mit einem einzigen Profil alle Interaktionen auf verbundenen Seiten verbindet, schlägt Fischer die Identifizierung per computerlesbarem Personalausweis vor. Der biete die “besten Voraussetzungen” dafür, dass jeder Netz-Kommentator, “mit offenem Visier kämpft, also seinem Klarnamen nennt”.

So pauschal formuliert ist das Unsinn – das Problem der Netzidentität ist ja nicht damit zu lösen, dass Web-Nutzer überall unter dem Namen aus ihrem Personalausweis in Erscheinung treten. Wer in einer Kneipe ein Bier trinkt oder bei den anonymen Alkoholikern vorbeischaut, muss sich ja auch nicht am Eingang ausweisen und fortan mit einem Namensschild herumlaufen. Er muss sich nur an bestimmte Regeln halten, die in jedem Kontext andere sind (in der Kneipe bezahlt man das Bier und pöbelt niemanden an, zum AA-Treffen bringt man kein Bier mit). Wer ein paar mal unangenehm auffällt, fliegt raus und kommt nicht so leicht wieder rein – das ist in Foren nicht so gut umgesetzt wie in der Kneipe. Mit Radiergummis und Vermummungsverbot hat das aber nichts zu tun.

Würde man Fischers Forderungen fürs Netz auf die Kneipe übertragen, müssten dort alle mit einem Namenschild herumlaufen. Sie würden beim Biertrinken ständig gefilmt und all ihre Äußerungen könnte man unter ihrem Namen später im Kneipenarchiv im Web abrufen. Das würde die Umgangsformen in einer Kneipe womöglich verbessern, vorausgesetzt, es käme überhaupt jemand zum Trinken an einen solchen Ort.

{jumi [*5]}

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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