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Computerkriminalität: Cybergangster so aktiv wie nie (Spiegel Online, 14.3.2010)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Computerkriminalität

Cybergangster so aktiv wie nie

So viel Geld haben US-Bürger noch nie im Netz verloren: Opfer von Online-Betrügereien meldeten dem FBI 2009 einen Gesamtschaden von 560 Millionen Dollar. Das ist gut doppelt so viel wie 2008. Die höchsten Beträge verlieren Männer.

Spiegel Online, 14.3.2010

650 US-Dollar – so viel Geld haben 2009 männliche Betrugsopfer im Durchschnitt an Online-Gangster verloren. Frauen, die solche Delikte der US-Bundespolizei meldeten waren vorsichtiger: Ihr Durchschnittsverlust lag bei gerade mal 500 Dollar.

Diese Zahlen stehen im aktuellen Jahresbericht des Internet Crime Complaint Center (IC3), der US-Meldestelle für Online-Verbrechen von FBI und der staatlich finanzierten Cybercrime-Präventionsagentur NW3C.

Die Statistik skizziert eine beunruhigende Entwicklung: Die Menge der Schadensmeldungen ist um gut 22 Prozent gestiegen, die Gesamtschadenssumme bei den an Ermittlungsbehörden weitergeleiteten Fällen hat sich verdoppelt. NW3C-Chef Donald Brackman kommentiert die Zahlen in einer FBI-Mitteilung so: “Kriminelle entwickeln immer raffiniertere Maschen, um arglose Benutzer zu betrügen. Online-Verbrechen entwickelt sich in einem Tempo, das wir uns vor fünf Jahre nicht hätten vorstellen können.”

Auf 26 Seiten beschreibt der Jahresbericht ( PDF-Dokument) Schadenssummen und Tricks bei den von Opfern gemeldeten Online-Betrügereien. Als Trendanalyse sind die seit 2005 veröffentlichten IC3-Statistiken sehr wertvoll – sie beruhen nicht auf Hochrechnungen, sondern auf tatsächlich gemeldeten Fällen, allein in diesem Jahr fast 340.000. Allerdings schränkt diese Art der Datenerhebung die Allgemeingültigkeit ein: Die Dunkelziffer vor allem an kleinen Betrugsfällen dürfte erheblich sein. Der Antrieb ein langes Meldeformular auszufüllen ist ja umso höher, je mehr Geld man verloren hat.

Junge Frauen verlieren am wenigsten

Bei aller Vorsicht angesichts dieser Selbstselektion ist ein Trend klar auszumachen: So stark wie in 2009 sind Verluste durch Online-Betrügereien noch nie gestiegen: Um gut 110 Prozent auf 559 Millionen US-Dollar. Die Schadenssumme wird nur für die an Ermittlungsbehörden weitergeleiteten Fälle (gut 146.000) berechnet.

Auf dieser Basis stellt die FBI-Statistik eine Rangliste der Verluste für bestimmte demografische Gruppen auf. Der Durchschnittsverlust bei allen gemeldeten Fällen liegt bei 575 Dollar. Die höchsten Verluste melden Menschen im Alter von 40 bis 49 Jahren – 700 US-Dollar. Platz zwei in der Rangliste: Männer (650 US-Dollar). Dabei ist das Verhältnis von Männern und Frauen bei den Schadensmeldungen recht ausgewogen (54 zu 46 Prozent).

Den enormen Anstieg des Gesamtschadens führen die Ermittler auf die steigende Zahl von Delikten mit hohen Umsätzen zurück. Fälle von Identitätsdiebstahl sind mit 14,1 Prozent das am zweithäufigsten an Ermittler weitergeleitete Delikt. Hier sind die durchschnittlichen Schadenssummen höher als beim Auktionsbetrug (Ware wird bezahlt, aber nicht verschickt), der in den vergangenen Jahren die am häufigsten gemeldete Form des Online-Betrugs war, 2009 aber nur abgeschlagen auf Platz vier liegt.

FBI-Abzocke und Wahrsager-Betrug

Die Betrugsmaschen der Cybergangster folgen vertrauten Mustern: Gefälschte E-Mail von vertrauenswürdigen Institutionen fordern Nutzer zum Bezahlen von Gebühren oder Eintragen persönlicher Daten auf – mit 16,6 aller gemeldeten Fälle ist hier die FBI-Masche am effektivsten. Dabei geben sich die Gangster in eine E-Mail als Agenten aus und fordern die Nutzer zum Ausfüllen von Formularen auf. Die Daten nutzen Banden dann zum Identitätsdiebstahl.

Peter Trahon, FBI-Chefermittler für Computerkriminalität, gab bei der Vorstellung des Jahresberichts diese Daumenregel zum Schutz von Betrugsversuchen: “Computernutzer sollten immer die aktuellste Sicherheitssoftware auf ihren Geräten haben und alle E-Mail-Angebote mit gesunder Skepsis beurteilen – wenn etwas zu gut klingt, um wahr zu sein, ist es wahrscheinlich auch nicht wahr.”

Wie erfinderisch Cybergangster sind, illustrieren die im IC3-Jahresbericht beispielhaft aufgeführten neuen Betrugsmaschen. Einige Beispiele:

  • Auftragskiller-Betrug: Eine Gang warnt per E-Mail die Opfer dieser Masche. Ihnen wird mitgeteilt, dass sie und Angehörige der Familie auf einer Abschussliste stehen. Ein Gang-Mitglied habe sich aber für eine Begnadigung stark gemacht, daher komme nun dieses großzügige Angebot: Wer binnen 72 Stunden 800 Dollar für einen guten Zweck an die Organisation spendet, wird verschont.
  • Wirtschaftsförderung: Die Regierung verschenkt Geld, verspricht diese Mischung aus E-Mail, Telefon- und Web-Betrug. Die Opfer werden mit Werbeanrufen und -nachrichten auf eine Seite im Netz gelockt, über die man Regierungsgelder beantragen könne. Nachdem man persönliche Daten eingetragen und 28 Dollar bezahlt hat, soll das Regierungsgeld kommen. Das passiert natürlich nie.
  • Jobangebote: Hier nutzen Betrüger die hohe Arbeitslosigkeit aus. Anzeigen auf Online-Stellenbörsen versprechen Jobs in Heimarbeit, als persönliche Assistenten oder Testkäufer. Einige Betrüger nutzen die Opfer für die kriminelle Drecksarbeit – sie lassen sie gefälschte Schecks einlösen oder Geldanweisungen anderer Betrugsopfer entgegennehmen. Den Großteil des Geldes müssen die Opfer dann weiterleiten.
  • Sicherheitssoftware: Die als Scareware bekannte Betrugsmasche beginnt mit Online-Werbung auf dubiosen Seiten. Aufpoppende Werbefenster warnen den Nutzer, dass sein Computer von einem Virus befallen ist. Die Werbung rät zur Installation eines angeblichen Schutzprogramms. Wer diese Anzeige anklickt, installiert meist Schadsoftware wie Trojaner oder Schnüffelprogramme. Etwas später fordert die installierte Schadsoftware die Nutzer dann zum Bezahlen auf – entweder es fließt Geld, oder die Schadprogramme machen den Rechner unbenutzbar.

Plumpe Betrüger lassen sich Schecks senden

Die IC3-Statistik zeigt, dass Cyberbetrüger nicht immer in unnahbaren international organisierten Netzwerken handeln, die mit geklaute Kreditkartendaten Geld verdienen. Bei immerhin 38 Prozent der 2009 gemeldeten Fälle konnten die Opfer angeben, an wen sie Geld überwiesen hatten – in gut 65 Prozent dieser Fälle saßen die Empfänger in den Vereinigten Staaten.

Bei Betrugsmaschen mit Offline-Komponente (Schecks, Zahlungsanweisungen) haben Polizisten zumindest einen Ansatzpunkt für die Ermittlungen. So kommt es, dass die weniger gerissenen Cybergangster verhaftet werden. Zum Beispiel jener Einwohner von Miami Beach, der unter Pseudonymen wie John Mills und Michael Seren Ferienhäuser beim Kleinanzeigenportal Craigslist inserierte, die Anzahlung kassierte und sich dann nie mehr bei den Feriengästen meldete. Die Ermittler nahmen den Betrüger bei einem Gerichtstermin fest – er war schon in ähnlichen Betrugsfällen verurteilt worden und nutzte die Einnahmen der neuen Masche der Polizei zufolge, um die vom Gericht festgesetzte Entschädigungen an seine alten Opfer zu zahlen.

Leider stellen die meisten Online-Betrüger sich erheblich schlauer an.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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