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Computerpioniere: Die Untoten des Web (Spiegel Online, 18.8.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Computerpioniere

Die Untoten des Web

Sie haben die Internet-Protokolle entworfen, die ersten Heimrechner und Modems gebaut: Doch was machen Firmen wie Commodore, Dr. Neuhaus und BBN eigentlich heute? SPIEGEL ONLINE zeigt, was aus den legendären Pionieren von PC und WWW wurde – und welche noch immer Geld verdienen.

Spiegel Online, 18.8.2009

In den achtziger Jahren konnte man Commodore-Heimcomputer in Kaufhäusern erstehen, der Hersteller verkaufte Millionen seiner Heimrechner Pet 2001 und C64. Commodore war damals Trikotsponsor des FC Bayern München, ein internationaler IT-Superstar.

 

Heute vertreibt ein Unternehmen dieses Namens unter der Marke 08/15-Netbooks in den Vereinigten Staaten. Ein anderes, ebenfalls unter der Flagge Commodore, verkauft buntbemalte PC für Gamer. Eine zeitlang gab es sogar Commodore-Telefone.

So geht es einigen der einst großen IT-Marken: Einige wandeln als Untote durchs 21. Jahrhundert, andere sind längst vergessen – aber immer noch gut im Geschäft.

Commodore, Dr. Neuhaus & Co. – SPIEGEL ONLINE zeigt, was die Pionierfirmen des Web heute machen.

BBN – hier entstand das Internet

Bei Bolt, Beranek & Newmann (BBN) haben viele Urväter des Web gearbeitet: Bob Kahn zum Beispiel, der mit Kollegen grundlegende Protokolle (Paketvermittlung) des Internet-Vorläufers Arpanet entwickelte. William Crowther, der Mitte der siebziger Jahre an BBN-Rechnern “Adventure” programmierte, eines der ersten überhaupt. Ray Tomlinson, der 1971 bei BBN die erste E-Mail abschickte. Und Seymour Papert, der bei BBN die Programmiersprache Logo entwickelt hat.

Die Firma war ein Paradies für Nerds: 1948 gegründet von zwei Professoren des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und einem ihrer Doktoranden. Die Physiker berieten zunächst Unternehmen und Institutionen zur Akustik neuer Gebäude. Ihr erster Auftrag war die Gestaltung der Akustik im Plenarsaal des UN-Hauptquartiers in New York. Da sie brauchen, um die Akustik zu berechnen, kamen bald IT-Projekte und Informatiker dazu.

Als 1968 die Forschungsbehörde des Verteidigungsministeriums Arpa den Auftrag für Soft- und Hardwareinstallation eines Computernetzwerks ausschrieb, bewarb sich BBN. Und gewann. Die Firma schrieb die Protokolle für das neue Netz, das von der Arpa finanzierte Forschungseinrichtungen vernetzte, und installierte die sogenannten IMPs – Großrechner, die als Switch die Daten verteilten.

BBN existiert heute noch. Die Firma wurde 1997 vom Konzern GTE übernommen, durchwanderte einige Fusionen und wurde 2004 von privaten Investoren aufgekauft. Heute arbeitet BBN vor allem für das US-Verteidigungsministerium. Die BBN-Forscher entwickeln Spracherkennungs- und Übersetzungs-Software, die mehrere Sprachen erkennt, übersetzt und verschriftlicht, sie arbeiten am “Boomerang”-Ortungssystem, das Heckenschützen lokalisieren soll, und entwickeln neue Standards für Ad-hoc-Funknetzwerke.

 

Heimrechner, Telefone und IT-Geschichte – Commodore

Die Geschichte von Commodore ist lang und sehr hügelig: In den ersten Jahrzehnten passierte wenig Aufsehenerregendes. 1954 gründete Jack Tramiel die Firma Commodore in Toronto und produzierte Schreibmaschinen, später Taschenrechner. Zur Ikone wurde Commodore 1977 mit dem ersten Heimcomputer, dem PET 2001. 1982 folgte der legendäre C64, der sich weltweit millionenfach verkaufte.

Anfang der neunziger Jahre verzettelte sich Commodore: Das Unternehmen vermarktete zugleich den Heimrechner Amiga, andere Commodore-Computer und auch noch die Konsole CDTV, eine Art Media-Center-Vorläufer. Parallel stellten sehr viele Firmen PC her, erweiterten sie, entwickelten sie weiter. Folge: PC-Hardware war recht modern und günstig. Die Commodore-Mutter ging 1994 pleite, eine Odyssee der Markenrechte folgte: Erst kaufte sie der deutsche Hardware-Hersteller Escom (bekannt für damals sensationelle schwarze Computergehäuse), doch der meldete 1996 Konkurs an. Dann begann eine viele Jahre währende Odyssee der Commodore-Markenrechte.

Zuletzt, im Jahr 2004, verkaufte der niederländische Computerhersteller Tulip sie an eine Firma namens Yeahronimo Media Ventures, die später von einem US-Unternehmens namens Tensleep Technologies übernommen wurde. Die letzte Rochade gab es im Juni 2009, seitdem gehört die legendäre Marke der niederländischen Commodore International, die ihrerseits der US-Firma Reunite Investments gehört.

Das Unternehmen lässt alle möglichen Hersteller Hardware unter der Commodore-Marke vertreiben, Netbooks beispielsweise in den USA. Oder auch buntbemalte Gamer-PCs.

Kuriosität am Rande: Tulip hatte die Commodore-Rechte auch einem Telefonhersteller lizenziert, der eine zeitlang Schnurlostelefone wie das “Commodore CT 400” baute, über das in Foren allerdings wenig Schmeichelhaftes zu lesen ist (“Da es ständig klingelt, haben wir es aus der Anschlussdose herausgezogen und am nächsten Tag wieder reingesteckt. Jetzt funktioniert der Ton nicht mehr.”)

 

Salon.com – die “taz” des Online-Journalismus

Das US-Online-Magazin Salon.com hat für Web-Verhältnisse eine lange Geschichte: Der externe Link, der im Redaktionssystem von SPIEGEL ONLINE auf die Website verlinkt, hat die Nummer 639 – mittlerweile ist die Zählung bei 90.000 angelangt. Salon.com ist alt und renommiert – 1995 gründeten drei Journalisten in San Francisco das anspruchsvolle Online-Magazin. Essays über Politik, Technik und Kultur, Debatten mit den Lesern, intelligente Kommentare, liberale Grundhaltung. 1996 stellte Salon.com im Wochentakt etwa 30 Texte online, 1997 dann täglich. Publizistisch feierte die Seite einige Erfolge, betriebswirtschaftlich ist das Medium eine Katastrophe – bis heute.

Der aktuelle Quartalsbericht beschreibt das Problem nüchtern: “Bis zum 30. Juni 2009 hat Salon einen Gesamtverlust von 102,2 Millionen US-Dollar gemacht.” Das Unternehmen war seit der Gründung 1995 nie profitabel. Die Verluste wurden vor allem durch das beim Börsengang 1999 aufgenommene Kapital gedeckt, inzwischen halten Finanzspritzen der größten Investoren die Seite wirtschaftlich über Wasser: Adobe-Gründer John Warnock gehört dazu, größter Aktionär ist aber der Investmentbanker William Hambrecht, Nummer zwei seine Tochter Elizabeth Boyer Hambrecht, die auch in der Salon.com-Geschäftsführung arbeitet. Hambrecht, der bei vielen IT-Börsengängen (Netscape, Amazon) mitverdiente, wird genug Geld haben, um die Verluste weiter zu tragen.

Salon.com hat in den vergangenen 13 Jahren sämtliche Geschäftsmodelle für Journalismus im Web durchgespielt und mit keinem davon einen Gewinn erwirtschaftet. Die anfangs rein werbefinanzierte Seite führte 2001 ein Abo-Modell ein, das bis heute zu einem Freemium-Modell entwickelt wurde (exklusive Inhalte und das Komplettangebot werbefrei für Abonnenten) und mit kostenpflichtigen Beibooten (die legendäre Web-Gemeinschaft Well.com) Abonnenten lockt.

Geholfen hat das alles nicht: Ende 2004 hatte Salon den Abo-Höchststand – 89.100 Menschen zahlten 30 US-Dollar jährlich. Ende Juni 2009 hatte Salon.com gerade mal noch 21.710 Abonnenten. Das Unternehmen rechnet damit, dass sich “der Abwärtstrend fortsetzt”. Die Nutzerzahl (unique visitors im Monat) ist im zweiten Quartal 2009 im Vergleich zum Vorjahr um 4,4 Prozent gefallen, die Einnahmen sanken um 48 Prozent. 1,75 bis 2,5 Millionen US-Dollar Finanzspritze bräuchte man in diesem Geschäftsjahr, steht im aktuellen Salon-Quartalsbericht. Salon.com bleibt also auf weiteres von Gönnern abhängig.

 

Dr. Neuhaus – der legendäre deutsche Modemschmied

In der Zeit, als man noch am Fiepen und Knacken des Modems hörte, dass man online ging, war das Hamburger Unternehmen Dr. Neuhaus deutschlandweit bekannt. Die 1979 gegründete Firma begann als Ingenieurbüro: Gottfried Neuhaus programmierte und installierte IT-Lösungen für Industriesteuerung und produzierte 1988 als einer der ersten Hersteller Analog-Modems mit Postzulassung für Privatkunden.

Die ersten Neuhaus-Baureihen hatten schöne Namen wie Smarty und Fury, und als in den neunziger Jahren die erste Web-Welle losbrach und private Internet-Provider Zugänge zum echten Internet anboten, war die Wahrscheinlichkeit, mit einem Dr.-Neuhaus-Modem (mit 28.8 oder gar 56.6 kbps!) online zu gehen, ziemlich hoch.

1994 übernahm der französische Konzern Sagem Dr. Neuhaus. Die Tochterfirma bedient inzwischen vor allem Firmenkunden mit Infrastruktur zum Übertragen und Auslesen von Daten, was wenig mit Internet und mehr mit dem Auslesen von Zählern und Flottenmanagement zu tun hat.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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