Copyright-Krieg: EU-Abgeordnete planen Internet-Kontrollpakt (Spiegel Online, 7.7.2008)
Copyright-Krieg
EU-Abgeordnete planen Internet-Kontrollpakt
Internet-Provider sollen generell überwachen, wer Raubkopien ins Netz hochlädt und die Übeltäter einer Copyright-Behörde melden. Das wollen EU-Parlamentarier in ein Gesetz schreiben. Bürgerrechtler protestieren, im europäischen Parlament formiert sich nun Widerstand.
Spiegel Online, 7.7.2008
Harte Worte: "Das EU-Parlament drängt auf ein Sowjet-Internet"
betitelt die Bürgerrechtsorganisation "Förderverein für eine Freie
Informationelle Infrastruktur" (FFII) einen Protestaufruf.
FFII-Präsident Alberto Barrionuevo beschreibt darin aktuelle
EU-Gesetzesvorhaben als Vorhaben, "alle Bürger auszuspionieren, um das
Urheberrecht zu schützen".
Der
Grund für die Aufregung: An diesem Montagabend beraten in Straßburg der
Industrie- und der Binnenmarktsausschuss des EU-Parlaments Änderungen
eines EU-Gesetzespakets, das die Telekommunikationsbranche reguliert.
Auf dem Programm stehen Änderungsvorschläge wie dieser des
rumänischen Abgeordneten Cristian Silviu Buoi, der Internet-Provider
verpflichten will, das Surfverhalten ihrer Kunden zu kontrollieren. Aus
seinem Änderungsvorschlag zitiert die französische Bürgerrechtsgruppe "La Quadrature du Net":
"Mitgliedsstaaten sollen
sicherstellen, dass Kundenverträge ein System von Warnungen und
Sanktionen beinhalten, das Kunden sanktioniert, deren
Internetverbindung für illegale Zwecke verwendet wird."
Diese Formulierung beschreibt ein System, wie es gerade
Frankreich im Alleingang installiert
Hier sollen Internetprovider demnächst überwachen, wer illegale Kopien
zieht. Eine Behörde soll zum dritten Mal ertappte Copyright-Sünder dann
vom Netz abklemmen.
Provider sollen die Internet-Nutzung überwachen
Ähnlich wie in Frankreich zielen viele der von "La Quadrature du Net" und dem FFII
veröffentlichten Änderungsanträge
für EU-Gesetze darauf ab, Provider stärker in die Kontrollpflicht zu
nehmen. Die Flut an Änderungsanträgen ist kaum zu überblicken,
EU-Abgeordnete und Industrie-Ausschussmitglied Erika Mann (SPD)
schätzt: "In unserem und dem Binnenmarktsausschuss stehen derzeit mehr
als hundert Änderungsanträge an, die eine verschärfte Internetkontrolle
durch die Provider erzwingen sollen."
Viele dieser Vorschläge, so die Abgeordnete im Gespräch mit SPIEGEL
ONLINE, würden von EU-Parlamentariern aus Frankreich und Großbritannien
kommen: "Diese Änderungen drängen auf eine verdachtsunabhängige
Überwachung des Datenverkehrs durch die Internet-Provider."
Die Originaltexte vieler der heute zur Abstimmung stehenden
Änderungen hat die Bürgerrechtsgruppe "La Quadrature du Net" in einem
Wiki in der englischen und französischen Fassung veröffentlicht. Der
IT-Fachdienst Heise führt als die brisantesten die folgenden auf:
-
Copyright-Kontrolle: In einem Änderungsantrag fordert laut
Heise
der britische EU-Abgeordnete Malcolm Harbour, dass Provider
verpflichtet werden sollen, nationalen Regulierungsbehörden
Informationen über "illegale Nutzungen elektronischer
Kommunikationsdienste", insbesondere "Urheberrechtsverstöße" durch
Kunden zur Verfügung zu stellen. -
Gesetzeskonforme Inhalte: Behörden sollen die Verbreitung sogenannter "gesetzeskonformer Inhalte" fördern und "schützen", verlangt laut
Heise
ein Änderungsantrag französischer und belgischer Abgeordneter.
Internet-Provider sollten hier mit den Behörden zusammenarbeiten. -
Software-Prüfung auf Gesetzmäßigkeit: Ein Erweiterungsvorschlag fordert laut
Heise,
dass "nationale Regulierungsbehörden" über "Richtlinien oder Maßnahmen
sicherstellen" sollen, "dass die Möglichkeit der Nutzer, auf legale
Inhalte zuzugreifen oder diese verteilen zu können oder legale
Anwendungen und Dienste ihrer Wahl verwenden zu können, nicht
unangemessen beschränkt" wird. Was bedeutet das im Umkehrschluss für
Anwendungen, die nach Ansicht der Regulierer nicht legal ist?
Bürgerrechtsaktivisten bewerten diese Änderungsvorschläge kritisch.
Die Bürgerrechtsorganisation EDRi (European Digital Rights) bemängelt
in einer Stellungnahme,
dass die Änderungsvorschläge so kurz vor den Parlamentsferien
eingebracht wurden. Hier werde darauf spekuliert, dass die
Aufmerksamkeit gerade gering sei. Die Unterstützer würden das
Telekompaket "von seinen ursprünglichen Zielen des Konsumentenschutzes"
zweckentfremden, so EDRi: "Sie ebnen damit den Weg für Überwachung und
Filterungen des Internets durch Privatfirmen, außerordentliche
Gerichtshöfe und orwellesk anmutende technische Maßnahmen."
Die Verpflichtung der Provider auf eine aktive Kontrolle der von
ihnen durchgeleiteten Inhalte hält die EU-Parlamentarierin Erika Mann
(SPD) für einen Paradigmenwechsel. Sie will gegen entsprechende Anträge
stimmen, denn: "Provider sollten nicht zu Hilfspolizisten gemacht
werden. Eine aktive und generelle Überwachung ist etwas anderes als die
anlassbezogene, von einem Richter wegen Verdachtsmomenten angeordnete
Überprüfung von Verbindungsdaten."
Ob die umstrittenen Vorschläge Gesetzeskraft bekommen, hängt noch von vielen Gremien ab:
- erst entscheiden die Ausschüsse des EU-Parlaments,
- frühestens im September stimmt das Parlament selbst über die Änderungen ab
- dann hat noch die EU-Kommission mitzureden
- zuletzt müssen die EU-Mitgliedsstaaten im Ministerrat die Änderungen absegnen.
Die heute Abend im Industrieausschuss beschlossenen Änderungen
können in dem Verfahren überarbeitet, abgeschwächt oder verschärft
werden. Allerdings, so EU-Abgeordnete Mann: "Wenn das EU-Parlament sich
einmal für eine generelle Richtung, also zum Beispiel die Verschärfung
der Internet-Kontrolle entscheidet, ist ein Richtungswechsel
unwahrscheinlich."