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Das Magazin zum Blog "Ruhrbarone": Hinter Herne regiert das Lustprinzip (26.5.2010)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Das Magazin zum Blog “Ruhrbarone”

Hinter Herne regiert das Lustprinzip

Vom Blog zum Hochglanzmagazin: Die Macher der “Ruhrbarone” produzieren ohne Budget ein Regionalmagazin. Das erste Heft ist anders als alle Lifestyle-Stadtmagazine: böse, lustig, melancholisch. Und annähernd werbefrei. Den Druck hat ausgerechnet die WAZ-Gruppe bezahlt.

Spiegel Online, 26.5.2010

{jumi [*3]}

Dieses Magazin ist in jeder Hinsicht größenwahnsinnig. Großverlage stellen Hefte ein, Regionalzeitungen entlassen Redakteure, und da produzieren die Macher des Ruhrgebiet-Blogs “Ruhrbarone” einfach so ein Heft für eine der ärmeren Regionen Westdeutschlands: 122 Seiten schweres Papier, kaum Anzeigen, Klebebindung, Vierfarbdruck, lange Texte und die Ansage: “Weil kein anderer ein Magazin im Ruhrgebiet herausgibt, wie wir es uns vorstellen, haben wir es selbst gemacht.”

{jumi [*4]}

Wie die Herausgeber David Schraven, 39, und Stefan Laurin, 45, sich so ein Magazin vorstellen? Nach ein paar Lesestunden (lange Texte!) mit dem Heft ist klar: Keine Veranstaltungstipps, kein Restauranttest, überhaupt kein Konsumratgeber. Böse ist das Heft, wo es sein muss. Mit den zehn aberwitzigsten Förderprojekten im Ruhrgebiet (unterirdische Autobahnen, analoges HD-Fernsehen, Transrapid von Dortmund nach Düsseldorf) rechnet das Heft nach diesem Einstieg ab:

 

“Wer Fördergelder will und für seine Idee richtige Unternehmen nicht begeistern kann, sollte ins Ruhrgebiet kommen. Hier bekommt fast jeder Geld. Wichtig sind ein flotter Projektname und maue Aussichten am Markt.”

So eine Abrechnung würde sich eine Regionalzeitung nie herausnehmen. Das “Ruhrbarone”-Heft trifft auch andere Tonlagen. Darin stehen schräge, traurige und ungewöhnliche Geschichten aus der Region, die stark genug sind, dass sie auch Menschen ohne Ruhrbezug packen.

Zum Beispiel die sehr ruhig erzählte Reportage von einem Spieltag beim SC Westfalia Herne. Der 106 Jahre alte Verein kämpft in der fünften Liga ums Überleben. Die Schulden drücken wie bei vielen Amateurclubs, die Fans bleiben weg. Fußball ist ein Milliardengeschäft, aber eben nur in den oberen Ligen. Im Stadion am Schloss Strünkede tropft der Regen durchs Dach, der Stadionsprecher verliest die zehn Gewinner der Halbzeit-Tombola. Eine Szene aus der Reportage:

 

“‘Der Hauptgewinn geht an Losnummer 939. Wie immer ein Frühstückskorb, abzuholen im Fanshop.’ Anschließend dankt der Sprecher den fleißigen Spendern. Besonders hervorgehoben wird eine Gaststätte in Herne-Süd. Sie hat 15 Euro gespendet.”

Am Abend ist der Marmorkuchen in der Vereinsgaststätte abgeräumt, der Geschäftsführer zählt die Einnahmen und starrt ins Leere: 680 Zuschauer waren da. Am Morgen hatte er auf 1200 gehofft.

Bisher sind alle alternativen Ruhr-Medien gescheitert

Die Stimmung, die dieses Stück im Stadion am Schloss Strünkede beschreibt, spürt gerade mancher in der Medienbranche. Weniger bezahlte Anzeigen, weniger Auflage, weniger Jobs. Im Ruhrgebiet war das immer schon so, alle “Ruhrbarone”-Vorläufer, die sich an einem Heft für die Region versucht haben, sind gescheitert. Das Monatsmagazin “Marabo”, für das zum Beispiel der Suhrkamp-Autor Wolfgang Welt geschrieben hat. Oder das Lifestyleheft “Prinz” in seiner Urform als alternatives Stadtmagazin namens “Guckloch”, das 1976 zwei Brüder aus Herne gegründet haben und später an den Jahrzeiten-Verlag verkauften, als das Medium Stadtmagazin seine besten Tage hinter sich hatte. Die zwei Magazingründer aus Herne verdienen heute mit einer Kette von Thai-Restaurants ihr Geld.

Ruhrbaron David Schraven hat die zwei letzten Pleiten alternativer Ruhrgebiets-Medien miterlebt, bei der “taz-Ruhr” und der Zeitschrift “Mag”. Sie sind allesamt daran gescheitert, was heute vielen überregionalen Printmedien zu schaffen macht. Schraven: “Es waren Hefte für Leute aus dem Ruhrgebiet, die über die Stadtgrenzen hinaus gesehen haben. Davon gab und gibt es viele. Aber leider waren die Strukturen so teuer und die Erlöse so gering, dass Anzeigenerlöse eingeplant werden mussten, die es so nicht gab. Das war der Mist.”

Die Rechnung ist so hart und simpel: Wenn man kaum etwas verdienen kann, darf man nur wenig ausgeben. Beim “Ruhrbarone”-Blog fallen die Druck- und Vertriebskosten weg, die Autoren schreiben ohne Bezahlung, die Werbeeinnahmen sind so gering, dass der bisher erzielte Umsatz für die Serverkosten und eine Runde Bier, Salat und Cola bei der “Ruhrbarone”-Party reichte.

Gewinn ab 2000 verkauften Heften

Nach diesem Lustprinzip funktioniert auch das “Ruhrbarone”-Magazin ökonomisch. Wie oft das Heft erscheinen wird, wissen die Macher nicht. Vielleicht im Herbst wieder. Bislang wurden mehr als 1300 Exemplare verkauft. Herausgeber Schraven: “Das ist gut. Gewinn machen wir sicher nicht. Auch bei einem zweiten Heft noch nicht. Wir würden uns freuen, wenn wir 2000 verkaufen könnten. Dann hätten wir die Kosten wieder drin.”

Die Druck- und Vertriebskosten für die Erstausgabe hat der Essener Buchverlag Klartext übernommen. Warum? Herausgeber Schraven: “Weil der Verleger Ludger Classen ein guter Kumpel ist, der die ‘Ruhrbarone’ als Blog gut findet. Das hört sich kitschig an, ist aber so. Auch Ludger Classen vom Klartext Verlag glaubt an die Leser im Ruhrgebiet.”

Das “Ruhrbarone”-Heft braucht Sponsoren

Interessantes Detail bei dem Geschäft: Der Klartext-Verlag gehört zur WAZ-Gruppe, die den größten Teil der Tageszeitungen im Ruhrgebiet verlegt. Der Konzern fördert hier die eigene Konkurrenz. Im Heft erzählt WAZ-Chef Bodo Hombach im Interview drei Seiten lang über seine Idee des Ruhrgebiets. Weiter hinten analysiert ein Artikel, was dem Online-Regionalportal der WAZ-Gruppe fehlt (engagierte Lokaljournalisten), da fallen dann auch kritische Sätze gegen den Sponsor.

Hier zeigt sich ein grundsätzliches Problem, dass Journalismus droht, der von Mäzenaten abhängig ist: Bei manchen Themen müssen sie sich wegen möglicher Interessenkonflikte arrangieren und sind angreifbar, auch wenn sie sauber arbeiten.

Dass die Lustprinzip-Journalisten am “Ruhrbarone”-Heft ohne Bezahlung arbeiten, muss man wohl als Investition sehen: Weil kein Verlag so ein Projekt finanzieren will, investieren Journalisten das einzige Kapital, das sie haben – Arbeitszeit.

Jungsozialisten am Sandwich-Toaster, Kreativquartiere am Kanal

Man merkt vielen Geschichten im positiven Sinn an, dass da ein Autor über ein Thema schreibt, das ihm oder ihr am Herzen liegt. Zum Beispiel der Bochumer Stefan Laurin, der in einer knappen Analyse die Idee staatlich geplanter Kreativquartiere im Ruhrgebiet auseinandernimmt. Eigentlich genügt da schon diese nüchterne Aufzählung der Viertel, die gern Subventionen hätten (“in Herne soll sich die Kreativwirtschaft auf einer Länge von zehn Kilometern entlang des Rhein-Herne-Kanals ansiedeln”).

Eigentümlich und unterhaltsam liest sich der Text über die Piefigkeit beim Pfingsttreffen der Sozialistischen Arbeiterjugend in der Blütenstadt Leichlingen. In der Veranstaltungsjurte läuft Right Said Fred: “Ein offizielles Abendessen gibt es nicht. An der Bar im Veranstaltungszelt reihen sich gut zwanzig Jungsozialisten um den Sandwichtoaster.”

Fotos nutzt das “Ruhrbarone”-Magazin in den Artikeln spärlich, das ist nicht immer gut. Dafür glänzt es mit originellen und üppigen Fotostrecken: Das ist gut, weil die langen Fotostrecken eigenständig ihre Geschichten erzählen können. Eindrucksvoll ist dieses Bild des Essener Fotografen Andreas Teichmann: Im Müllheizkraftwerk Essen-Karnap greift der Bagger die letzten Weihnachtsbäume im Scheinwerferlicht – etwas Biomüll zwischen Windeln, Plastiktüten und Einfkaufskörben, mehr bleibt nicht vom Fest.

Diese großen Stücke liest und sieht man so in kaum einem anderen Magazin, im Lokalteil von Tageszeitungen wohl am wenigsten. Perfekt ist das “Ruhrbarone”-Heft nicht – dem Magazin fehlt ein Rhythmus, es stehen zu viele unentschiedene, zwei Seiten lange Texte drin und Fotos von Westfalia Herne hätte man auch gern gesehen.

Und, das ist bei Online-Medien und Lustprinzip-Magazinen wohl so: Manchmal fehlen den Ruhrbaronen einfach die Buchstaben, oder gar ganze Worte, respektive eine Schlussredaktion.

Ein vermeintlicher Fehler im Editorial allerdings dürfte eine Ruhrgebietellipse sein: “Weil es Geschichten gibt, die muss man einfach auf Papier.”

{jumi [*5]}

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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