Zum Inhalt springen

Datenspeicherung auf dem Computer: Klick ins Chaos (Spiegel Online, 18.11.2009, mit Holger Dambeck)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
6 minuten gelesen

Datenspeicherung auf dem Computer

Klick ins Chaos

Alle Dateien in wildem Durcheinander auf dem Desktop oder fein säuberlich sortiert in Ordnern? Wie der Mensch tickt, so speichert er auf dem Computer. SPIEGEL ONLINE stellt zehn Typen und ihr Ordnungsprinzip vor – vom Farbmystiker bis zum Datenchaoten.

Spiegel Online, 18.11.2009, mit Holger Dambeck

Dateien nicht wiederfinden? Das kann mir nicht passieren, brüstet sich ein Kollege beim Mittagessen und beschreibt stolz sein Archivierungssystem: “Ich brenne alles einmal im Monat auf DVD, was sich angesammelt hat. Das aktuell relevante Zeug habe ich in meinem Wichtig-Ordner… Wie heißt der noch gleich?”


“01_Todo” vielleicht. Oder “Aktuell”. Wahrscheinlich liegt dieser Ordner auf dem Desktop des Rechner und enthält einen Wust wirr benannter Excel-Tabellen (“Mappe1.xls”) und Textdateien (“Bericht.doc”).

Immerhin hat der Kollege ein System und zumindest einen Ordner. Viele Büroarbeiter haben keins von beidem. Zum Beispiel die Antihelden in den Satirevideos der Reihe “The website is down”: Auf dem virtuellen Schreibtisch des Excel-Jockeys liegen Hunderte von Dateien, Verknüpfungen und Shortcuts übereinander, zum Teil von Hand zu interessanten Figuren zusammengefügt. Die Namen sind vielsagend unbedarft: Da gibt es eine Datei namens Excel_06 und Verknüpfungen mit der Bezeichnungen Shortcut (2) to Excel.

Dieser Vertriebsmitarbeiter ist der Albtraum aller IT-Administratoren: Er öffnet grundsätzlich jeden E-Mail-Anhang und klickt dann auf alle bunt blinkenden Schalter in den aufspringenden Fenstern, auch wenn darin so etwas wie “Install more Spyware” steht.

Typisch! Menschen, die alle Dateien ohne System auf einen Haufen schmeißen, öffnen grundsätzlich Trojaner-verseuchte E-Mails.

Chaoten, Ordnungsfanatiker und Farbmystiker – wie Computeranwender Dateien sortieren und was das über sie verrät: SPIEGEL ONLINE hat eine nicht ganz ernst gemeinte Typologie aufgestellt. Erkennen Sie sich wieder?

Desktop-Ästhet

Beim Desktop-Schlunz liegen alle je angelegten Dokumente nicht in gut sortierten und sinnvoll benannten Unterordnern, sondern ganz einfach auf dem Desktop. Zwei Gruppen lassen sich ganz grob unterscheiden: die Ästheten und die Desktop-Stapler, die gar nicht wissen, dass es noch andere Orte auf einem Computer gibt, wo man seine Dateien ablegen kann.

Die Ästheten sind in der Minderheit, allein schon wegen des Aufwands: Ein Kollege (Grafiker natürlich) hat lange Zeit an dem perfekten Desktop-Hintergrundbild gearbeitet. Diese Grafik unterteilt den Arbeitsplatz in sehr schön anzuschauende Flächen mit unterschiedlichen Transparenzgraden, die in einer eigens dafür gekauften Schriftart überschrieben sind. Es gibt eine Fläche für Projekte, eine für Aktuelles und viele andere für Schriften, Bilder und sonstigen Kram. Je nachdem, woran er arbeitet und was fertig ist, verschiebt der Desktop-Ästhet die Dateien von einer Fläche zur anderen und ordnet sie mühsam an. Das geht so lange gut, bis jemand die Auflösung des Rechners ändert und die über Wochen mühsam angeordneten Symbole auf einmal auf den falschen Ebenen oder im Nirgendwo liegen.

So etwas ist ein Schock für den Desktop-Ästheten. Als ein falscher Klick in den Einstellungen zur Bildschirmdarstellung das Desktop-Kunstwerk meines Kollegen zerstörte, konnte er nicht einmal mehr fluchen. Er saß stumm an seinem Schreibtisch, starrte auf das Chaos und war den Tränen nah. So muss ein Puzzler gucken, dem jemand vor seinen Augen die letzten 200 Teile seine 5000ers in einen Häcksler steckt.

Stapler

Jeder kennt einen Desktop-Stapler, zumindest vom Hörensagen. Diese armen Menschen schaufeln mangels besseren Wissens alle Dateien auf den Arbeitsplatz. Eine immer wieder gern erzählte Geschichte über den Stapler-Büronachbarn eines Kollegen: Der Stapler sagte im Büro: “Mein Computer ist bald voll.” Als der Freund sich dann ansah, was er meinte, hatte der gute Mann alle seine Dateien auf dem Desktop gespeichert – und der war tatsächlich übervoll.

Der eigentliche Schreibtisch der Stapler steht meistens in krassem Gegensatz zu ihrem Computerdesktop: Der Stapler-Arbeitsplatz ist leer, seine Papiere hat er in diversen Ablagen und Aktenordnern, die Stifte in die Halter-Box einsortiert (die Bleistifte allesamt sauber angespitzt, die Kulis farblich sortiert).

Stapler sind gut für die Konjunktur, denn sie brauchen ständig größere Monitore.

Dateinamen-Verweigerer

Anders als Desktop-Stapler könnten die meisten Dateinamen-Verweigerer auch anders – sie sind nur zu faul dazu. Warum sollte man sich auch groß den Kopf über unverwechselbare Dateinamen zerbrechen, wenn die 15 zuletzt bearbeiteten Dateien ohnehin leicht genug zu finden sind.

Der Rest interessiert den Dateinamen-Verweigerer ohnehin nicht, und so heißen seine Excel-Tabellen Mappe1.xls, die Textdateien Bericht.doc oder Sehr geehrte Damen und Herren.doc – je nachdem, was im ersten Absatz steht. Problematisch wird es nur, wenn ein Dateinamen-Verweigerer Post von einem anderen erhält und den Anhang speichert – dann liegt im Dokumente-Ordner womöglich eine Mappe1(2).xls und verwirrt.

Systemtheoretiker

Einige Menschen arbeiten ihr Leben lang an einer Sprache, die niemand außer ihnen versteht und schreiben als Abfallprodukt einen Bestseller (Tolkien). Andere entwickeln über Jahre ein perfektes Dateiordnungssystem, mit dem allein sie zurechtkommen. Einziges Nebenprodukt dieser Mühe: Menschen, die das perfekte System nicht kapieren (also alle bis auf einen), haben etwas zum Bestaunen.

Eine Bekannte sammelt die ihr geschenkte, digitalisierte Musik in vielen, vielen Ordnern, die aber nicht nach Titeln oder Künstlern benannt sind, sondern nach Jahren und den Menschen, die ihr die Alben geschenkt haben.

Einen auf Anhieb ebenso wenig einleuchtenden Ansatz verfolgt ein Kollege, der lieber anonym bleiben will: Er sortiert Dateien in Ordnern, die nach Dateitypen benannt sind – XLS, DOC, JPG, RAW, HTM. Natürlich kann jedes Betriebsystem jeden Ordner in Sekunden ähnlich ordnen, aber vielleicht ist die Qualität handgemachter Dateiendungs-Sammlungen höher.

Farbmystiker

Die größte Innovation bei der Gestaltung von Benutzeroberflächen hat Apple nicht mit dem iPhone-Touchscreen, sondern mit den Farbordnern in OS 7 eingeführt. Diese Meinung vertreten zwar sehr wenige Menschen, die tun es aber umso frenetischer. Sie lieben es, Ordner und Dateien nach einem ausgeklügelten System einzufärben.

Ein Kollege in meiner alten Firma hatte seinen gesamten Arbeitsablauf beim Erstellen druckfähiger Daten in ein Dutzend farbkodierter Schritte aufgeteilt. Für jeden Schritt gab es passend eingefärbte Ordner – und auch die Dateien sollten alle, wirklich alle Mitarbeiter nach dem Verschieben auf dem Server ins nächste Level der Ordnerfarbe anpassen.

Es gab viele Nachlässigkeiten beim Umfärben und viele mahnende Rundmails. Irgendwann hat dann jemand heimlich die meisten gelben Ordner rot und einige grün gefärbt. Dann kamen keine Einfärbemahnungen mehr.

Wegschieber

Im Ordner, aus dem Sinn – das ist das Lebensmotto des Wegschiebers. Er ist eigentlich ein Desktop-Stapler, doch sein Wissen über die vielfältigen Ordnungsmöglichkeiten der Betriebssysteme macht ihm ständig ein schlechtes Gewissen. Etwas Ordnung muss sein, pro forma. Also verschiebt er jeden Tag alle gefundenen, erstellten und bearbeiteten Dateien in einen Ordner. Der heißt oft am Dienstag der Einfachheit halber Dienstag und so weiter.

Weil der Wegschieber aber meist auch Sammler ist, kann er die Ordner im Laufe der Woche nicht einfach so löschen, ein erneutes Ordnen, Löschen, Aus- und Umsortieren ist ihm zu lästig. Also hat der Wegschieber am Ende des Monats meist vier Ordner mit Dienstags-Variationen im Namen. Irgendwann ist ihm der Desktop dann doch zu voll, das Wegschieben eskaliert, und all die Wochentagsordner kommen ins Brennverzeichnis und werden dann auf DVD archiviert. Zitat eines Wegschiebers: “Die Daten kann ich dann eigentlich nie mehr wiederfinden, aber wenigstens weiß ich, dass sie gut aufgehoben sind.”

Das System funktioniert, weil der Wegschieber so gut wie nie nach alten Dokumenten sucht.

Google-Jünger

Warum alles in Ordner sortieren oder sich praktische Dateinamen ausdenken, wenn es einen Volltextindex gibt? Moderne Betriebssysteme haben so was an Bord – und für ältere Windows-Versionen gibt es zum Beispiel Google Desktop. Das Benennen von Dateien wird so zum Kinderspiel: Speicher-Button drücken, den Dateinamen, den Word oder welche Anwendung auch immer vorschlägt, akzeptieren – fertig.

Einfach herrlich: Alle Dateien liegen wie Kraut und Rüben in irgendwelchen Verzeichnissen, aber nichts geht verloren. Wer den vor drei Jahren an den Vermieter geschrieben Brief sucht, tippt einfach dessen Namen ein – und schon ist das Dokument auf dem Schirm. Warum gibt es Google Desktop eigentlich nicht für die eigene Wohnung? Eine echte Marktlücke. Wunderschön am Google-Jünger-System ist auch, dass es vergisst: Dateien, von denen man nichts mehr weiß, kann man mangels Suchbegriffen auch nicht mehr finden.

 

Buchhalter und Bürokrat

Ein Leben ohne System ist kein Leben. Das gilt natürlich auch und ganz besonders für Computerdateien, sagt sich der Bürokrat. Der noch heute Freudensprünge macht, wenn er an den Tag zurückdenkt, an dem Dateinamen unter Windows plötzlich länger als acht Zeichen sein durften. Statt BE_AUG99.DOC sind seitdem halbe Romane im Dateinamen erlaubt – etwa Bewerbung des Verwaltungsschlaffies XXX August 1999.doc. Aber alles Neue hat auch seine Schattenseiten – wer weiß das nicht besser als Bürokraten? Schnell endet man bei uneinheitlichen Namen wie Bewerbung Siemens Aug99.doc und Stelle IBM Dez 2000.doc.

Die große Freiheit bei den Dateinamen ist gefährlich, wenn sie nicht mit einem durchdachten System gezügelt wird. Mit einer strengen Nomenklatur können Buchhalter und Hobby-Bibliothekare ihre Ordnungsphantasien voll ausspielen. Namen wie Bew 2006 Aug Müller.doc und Bew 2007 Sep Knop.doc sprechen für sich – da muss man nicht mal mehr die Datei öffnen. Und wie bei guten Buchhaltern üblich, kommen die Dateien immer in einen Ordner, der heißt wie das laufende Jahr oder der Bereich, zu dem sie gehören.

Dateinamen-Kryptograf

Perfektion ist ein hehres Ziel, doch viele scheitern daran. Wie der Dateinamen-Kryptograf, der gern Buchhalter wäre, aber sich nie merken kann, nach welchem System er eigentlich Ordner und Dateien benennen wollte. Mal heißt eine Datei NameAutor_Berlin_Buchung_Mai2009, mal 2009absWebfunvonStefan, mal BriefMüller040908.doc. Wenn der Brief verschickt ist, kommt ein X vor den Dateinamen – zum Beispiel XBriefMüller040908.doc. Beim Datum im Dateinamen sind verschiedene Schreibweisen möglich, die je nach Lust und Laune auch sämtlich zum Einsatz kommen. Man will ja auch ein bisschen kreativ sein.

Das Ergebnis ist ein heilloses Durcheinander an Bezeichnungen und Abkürzungen, bei dem wohl nur noch Google Desktop helfen könnte. Weil das aber sämtliche Daten nach Mountain View ins Wohnzimmer von Sergej Brin übertragen soll, lässt der Kryptograf lieber die Finger von derartigem Teufelszeug.

Irgendwann findet man ja doch alles wieder.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert