David Sedaris: "Umarmungen sind überschätzt" (bücher Magazin, 01/2005)
David Sedaris
„Umarmungen sind überschätzt“
David Sedaris erzählt Millionen Lesern von einer Familie, die seiner eigenen verdammt ähnelt: ein stiller Vater mit Zottelbart und Hobbykeller, Eine bisweilen durchgeknallte Mutter, drei verrückte Schwestern („sie spielten Puppen-Besserungsanstalt mit Puppen-Beruhigungszelle“), ein Bruder mit zu hoher Stimme – und der Erzähler selbst, der unter den Katastrophen der Jugend leidet. Allein schon, weil er von Schokolade rasende Kopfschmerzen bekommt. Jedes Halloween wird zum Martyrium. Mit bücher sprach David Sedaris über das Leben.
bücher Magazin , 01/2005
bücher: Wann haben Sie zuletzt Schokolade gegessen?
Hmmm, vor 33 Jahren. Nein! Wissen Sie was, gestern hatte ich in Köln einen Beerenkuchen. Ich dachte es seien nur Beeren … Ich biss also rein und es war auch verdammte Schokolade drin. Zwölf Stunden Kopfschmerzen danach! Aber Sie müssen kein Mitleid haben. Über die Phase, als ich mich ausgeschlossen fühle, weil andere Schokolade essen können, bin ich schon hinweg. Überhaupt: Warum Schokolade und Beeren zusammenbringen? Sie sind keine Freunde, sie kommen sehr gut ohne einander aus.
Na ja …
Nein, nein, nein. Können Sie sich Erdbeeren mit Schokoladeneis vorstellen? Schrecklich. Das ist ein Fall für Vanilleeis. Aber ich denke immer noch: In Wien gibt es das beste Essen und Deutschland kommt ganz knapp danach auf Platz zwei.
Danke. Aber was ist mit Paris? Ist das Essen nicht großartig? Sind sie dort nicht zu Hause?
Nein. Ich lebe zwar in London und Paris, aber ich fühle mich dort nicht daheim. Ich möchte aber auch nicht dorthin ziehen, wo ich mich zu Hause fühle. Vielleicht einmal, vielleicht ziehe ich zurück in die Vereinigten Staaten. Aber nicht jetzt.
Warum?
Ich habe da 43 Jahre gelebt, das ist lang genug. Außerdem bin ich gern ein Fremder.
Immer noch fremd? Kein Lieblingsrestaurant in Paris?
Mein Freund ist ein sehr guter Koch. Wenn wir ausgehen, achte ich nicht darauf wohin. Ich lebe nun sechs Jahre in Paris. Zweimal war ich allein aus. Kaffee trinken. Ich fürchte ja immer, dass das harte Arbeit wird, der Kellner mich nicht sieht und so weiter. Aber beim ersten Mal war es gar nicht so. Da dachte ich: „Oh, das ist ja gar nicht so schlecht.“ Also setzte ich mich noch einmal spontan in ein anderes Café. Und der Kellner sagt: „Der Kaffee ist aus.“ Alle um mich herum trinken Kaffee! Mir bringt er keinen. Das war vor drei Jahren. Seitdem war ich nicht mehr alleine aus.
Und in London?
Da gibt es wirklich einen Ort, den ich mag, Ffiona’s. Nicht so sehr wegen des Essens, sondern weil die Frau dort so freundlich ist. Ein Glück. Ausgehen ist in Europa so schwierig. Vielleicht bekommt man das Essen sofort, dann wartet man Stunden auf die Rechnung. In Amerika servieren sie beides zusammen. Sie wollen, dass man möglichst bald geht. In Europa macht das niemandem etwas aus.
Viel gereist. Wie viele Nachahmungen kennen Sie für Hundebellen?
Nun, in Deutschland sagen sie „Wau, Wau“, nicht? „Woof, woof“ in den Vereinigten Staaten. Verdammt, ich erinnere mich nicht mehr, was sie in Frankreich sagen. Aber in Polen ist es irgendwas wie „Hu, Hu“. Das macht doch gar keinen Sinn.
Begeistern sie Ihre Neffen mit solchen Geschichten?
Oh, ich habe nur eine Nichte. Sie ist eineinhalb. Ich denke nicht, dass außer meinem Bruder noch irgendjemand in der Familie jemals Kinder haben wird.
Waren Sie schon in Eurodisney?
Nein, sie ist noch zu jung. Ich werde sie richtig verziehen, wenn sie etwas älter ist. Meine Schwester Amy und ich sind jetzt schon im Wettbewerb, wer die besten Geschenke hat.
Und?
Ich habe ihr jetzt eine Pelzweste gekauft. Hat ein Vermögen gekostet. Und sie ist in ungefähr drei Wochen herausgewachsen. Tja, das war die Pelzweste aus Paris.
Wie viel verschenken Sie in diesem Jahr an Weihnachten?
Ich habe mit den Einkäufen im Februar begonnen. Bin jetzt fast fertig, habe 35.
Vor allem für Familie oder für Freunde?
Familie. Ich habe schon alles verpackt, bald gehen die Pakete raus. Ich kann ja nicht alles mitnehmen. Und dann mache ich meine Liste. Ich schreibe jedes Jahr auf, was ich anderen schenke und wie viel ich ausgebe. Und dann schreibe ich nach Weihnachten auf eine zweite, was ich bekommen habe und wie viel es schätzungsweise gekostet hat. Und dann sitze ich jedes Jahr über beiden Listen.
Größte Differenz?
420 Dollar zwischen einem Geschenk, das ich meiner Schwester Lisa gemacht habe und dem, was ich bekam. 420 Dollar!
Was hat sie bekommen?
Sie mag Geschenkgutscheine. Finde ich langweilig. Aber ich habe ihr einen Buchgutschein für 300 Dollar geschenkt. Dann eine kleine Skulptur einer Hand aus Paris, eine Reproduktion von irgendwas für 100 Dollar. Und dann noch eine schöne Kerze für 40 Dollar, einige Teller für dieses Service, das sie sammelt. Und noch zwei Anhänger. Insgesamt kam ich auf 480 Dollar. Und sie hat mir einen Kalender geschenkt. Und ein Paar Socken.
Welche Farbe?
Puh. Oh: sandfarben. Wissen sie, ich trage nur graue und weiße Socken. Ich glaube, die hat jemand ihrem Mann geschenkt. Aber das ist schon in Ordnung. Sie hat nicht viel Geld. Ich mag es einfach, Menschen maßlos mit Geschenken zu verwöhnen. Amy habe ich einmal eine Art Wahlurne aus einem alten Londoner Herrenclub geschenkt. Damit konnte man anonym Mitglieder rauswählen. Einfach einen Zettel mit dem Namen in die Ja- oder Nein-Box werfen. Hat 530 Dollar gekostet. Ich habe das Preisschild in Dollar umgerechnet.
Warum?
Damit Amy weiß, wie viel ich ausgebe. Nicht der Gedanke zählt, sondern der Preis. In der Familie meines Freundes zum Beispiel basteln sie sich Postkarten und das ist dann das Weihnachtsgeschenk. Vor unserem ersten gemeinsamen Weihnachten sagte ich: „Nein, nein, nein, so läuft das nicht. Ich will einen Geschenkstapel, der mindestens so hoch ist. (hält seine Hand in Schulterhöhe) Mindestens!“ Und es hat funktioniert. Sie sind inzwischen verdammt gut. Er hat mir letztes Jahr eine Sammlung niederländischer Genremalerei aus dem 17. Jahrhundert geschenkt. Das wird er dieses Jahr nur schwer übertreffen können.
Haben sie in letzter Zeit etwas gesagt, das sie an ihre Eltern erinnert hat?
Oh ja. Ich habe meinem Bruder gesagt, dass der beste Tag meines Lebens der war, als ich den Kredit für meine Studiengebühren zurückgezahlt hatte. Das ist Blödsinn. Genau das hätte mein Vater gesagt. Es ist so: Mein Bruder schuldet mir Geld. Aber anstatt es zurück zu zahlen, kauft er ein neues Auto, mietet mal ein Haus am Strand für vielleicht 1000 Euro, kauft einen Fernseher fürs Baby. Keine Chance, dass er mir das zurückzahlt. Also versuche ich ihm zu erzählen, es sei ein ganz tolles Gefühl, etwas zurückzuzahlen. Ach, es ist einfach so: Wenn man Geld verleiht, muss man es als Geschenk sehen. Wenn man es zurück bekommt, ist es eine nette Überraschung. Die sollte man nicht erwarten.
Was ärgert Sie mehr: Wenn Leute glauben Sie zu kennen, weil Sie schwul sind oder weil sie Ihre Bücher gelesen haben?
Keins von beidem stört mich. Ich habe es ja herausgefordert. Ich schreibe über mich. Insgesamt hat das mehr gute als schlechte Seiten.
Warum?
Die Leute stehen bei Lesungen an, um die Bücher signieren zu lassen. Keiner hat Angst, dass ich gemein sein könnte. Sie glauben, mich zu kennen. Ich kriege auch viel Post, etwa drei Briefe am Tag. Manchmal denke ich: „Woher kenne ich die nur?“ Und dann ist es nur ein Brief aus Australien. Jetzt schreiben mir auch viele Leute, die krebskrank im Krankenhaus liegen, wo es in der Bibliothek meine Bücher leider nicht gibt. Ich glaube das nicht für eine Sekunde. Wenn Sie krebskrank wären, würden Ihnen Ihre Verwandten ja wohl ein verdammtes Buch mitbringen. Und alle haben sie Leukämie, den romantischen Krebs. Keiner hat Dickdarmkrebs.
Tragen Sie kurze Hosen?
Klar, in der Normandie. Das attraktivste an mir sind meine Waden. (krempelt die Hose hoch)
Mein Gott. Fahren Sie ständig Fahrrad?
Ja. Meine Waden sind wie Popeyes Arme. Sehen Sie: Meine Haare fallen aus, meine Zähne sind nicht ganz gerade, ein Auge ist größer als das andere. Verstehen Sie? Ich habe nur zwei Monate im Jahr, um anzugeben.
Wann zum letzten Mal etwas daheim repariert?
Mein Freund kann alles reparieren. Wenn ich etwas repariere, bleibt es zehn Minuten lang so. Meine letzte Reparatur: Ein Knauf fällt von der Schublade. Ich klebe ihn an, fixiere das zum Trocknen mit diesen Gummibändern. Nach zehn Minuten nehme ich sie ab – und der Knauf fällt wieder runter. Jetzt mache ich nichts mehr.
Wann zuletzt einen Ihnen nahestehenden Menschen geschlagen?
Am 4. Januar 1990, nein 1993. Meinen Freund. Aber er hat mich zuerst geschlagen. Wir haben etwas gekämpft, saßen dann zwischen den umgekippten Möbeln und dachten: „Das ist ja schrecklich.“ Es ging damals um den Hut unserer Katze. Ich hatte ihn ihr aufgesetzt und unterm Kinn festgebunden. Er sagt, dass ich ihr wehtue. Dann hat die Katze mich gekratzt. Ich habe zurückgeschlagen. Und dann ging mein Freund auf mich los. Und wir hatten den Kampf wegen eines Katzenhuts. (lacht). Seitdem hatten wir keinen Kampf mehr.
Wann zuletzt einen nicht nahen Menschen umarmt?
Nein, nein. Ich bin ein Handschüttler. Ich mag dieses Küssen in Frankreich nicht. Die Vereinigten Staaten sind so eine Umarmungskultur. Man trifft jemanden zum ersten mal und umarmt sich sofort. Bäh. Umarmungen sind überschätzt.