Zum Inhalt springen

Debatte: Börsengang der Bundeswehr (taz, 28.11.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Debatte

Börsengang der Bundeswehr

Verteidigungsminister Scharping will die Wehrpflicht retten. Doch trotz seiner Machtworte: Ihre Abschaffung wird weiter diskutiert. Leider mit verqueren Argumenten.

taz, 28.11.2000

Geht es gegen die Wehrpflicht, sind sich FDP, Grüne und PDS einig. Auch Bundespräsident Johannes Rau hat eine "offene Debatte" um die Zukunft des Militärdienstes angemahnt. Und am Montag plädierte sogar der Wehrbeauftragte Willfried Penner (SPD) dafür, die Wehrpflicht abzuschaffen. Damit gerät sein Parteifreund, Verteidigungsminister Scharping, der am Militärdienst für alle festhält, immer stärker in die Defensive.


Doch unabhängig, wer gerade die Diskurshoheit besitzt: Die Debatte läuft schief. Auf drei Ebenen wird diskutiert – zwei davon taugen nichts.

Diskussionsebene eins: die prekären Staatsfinanzen. Die Berufsarmee
würde jährlich sieben Milliarden Mark weniger kosten, wird immer wieder
gern eine Studie der Bundeswehr-Universität zitiert. So forderte etwa
Jürgen Trittin: Die Wehrpflicht solle "möglichst bald und ohne viel
Aufhebens abgeschafft werden", weil sie nicht mehr bezahlbar sei. Doch
das monetäre Argument wird umgekehrt auch gern von den
Wehrpflicht-Befürwortern genutzt. In perverser Logik behaupten sie:
Ohne Zivis sei der Sozialstaat nicht zu finanzieren. Natürlich hat
Diakonie-Präsident Gohde Recht, wenn er warnt, ohne die 138.000 Zivis
würde die Lebensqualität vieler Menschen stark eingeschränkt. Das ist
aber kein Argument für die Wehrpflicht – sondern eines gegen die
heutige Sozialpolitik.

Der Umweg über die Staatsfinanzen führt bei Wehrpflicht-Gegnern zum
eigentlichen Kern der Argumentation: Ein Staat hat heute allein nach
marktwirtschaftlichen Prinzipien zu funktionieren. Mit bekannter
Prägnanz formulierte das der Focus in einer seiner
Bildunterschriften: "Bundeswehrsoldaten – Nachteil für Steuerzahler".
Nach dieser Logik gilt das wohl auch für Kindergartenplätze,
Sozialhilfe und die Abschaffung der Todesstrafe.

Diese wirtschaftlichen Argumente sind nichts wert. Das Ganze klingt,
als sollte nun nach der Telekom und nach der Post auch die Bundeswehr
an die Börse gehen. Zwar dürfte sie genügend Kunden haben, wenn nur
noch Marktgesetze gelten – warum sollten die Drogenschmuggler und
Frauenhändler im Kosovo nicht für bundesdeutsche Militärunterstützung
zahlen wollen? -, doch zeigt gerade dieses Beispiel: Die Armee ist kein
Unternehmen. Ebenso wenig wie die Bundesrepublik, über deren
Grundinstitutionen nicht ausschließlich die Marktlogik entscheiden darf.

Ebenso verquer ist die zweite Ebene der Diskussion: die Popularität
eines falsch verstandenen Liberalismus. Die unheilige Allianz von FDP,
Grünen und PDS versteht Freiheit offenbar allein als eine Freiheit vor
dem Staat. Trittin und Möllemann sind natürlich beide gegen so genannte
Zwangsdienste. Was aber war schon die Freiheit eines britischen oder
sowjetischen Zwangsrekruten im Zweiten Weltkrieg gegen den Sieg über
Deutschland? Was ist mit der Freiheit einer alten Frau, die ins Heim
muss, weil kein Zivi mehr ihre Einkäufe tätigt? Freiheit kann nur eine
Freiheit im Staat sein, wie Rousseau sie verstand. Sonst haben die
Stärksten ein Monopol auf sie. Diese Position konnte der scheidende
BDI-Präsident Henkel vertreten, solange er nicht eine Bundesrepublik
forderte, die nicht mehr auf Basis des Grundgesetzes steht. Parteien
aber steht eine solche Geisteshaltung schlecht an – als Grundlage einer
Entscheidung über die Wehrpflicht ist sie gänzlich ungeeignet.

Bleibt allein die dritte Argumentationsebene der Diskussion. Sie ist
die einzig stichhaltige: Wozu braucht man überhaupt noch eine
Massenarmee? Deutschland ist von Freunden umzingelt, und selbst wenn
ein Konflikt an der europäischen Peripherie ausbricht, wird dieser
nicht nach Mannstärke, sondern nach technischer Ausstattung
entschieden. Rühe hat das schon 1997 – nach immerhin sieben Amtsjahren
– erkannt: "Das deutsche Territorium ist militärisch nicht bedroht."
Die Nato-Staaten sind längst dabei, kleine, extrem hochgerüstete und
mobile Truppen aufzubauen. Auch Deutschland wird dies tun. (Natürlich
lässt sich diskutieren, ob deutsche Soldaten wieder weltweit
marschieren sollen und ob es überhaupt einer Armee bedarf. Nur: Diese
Debatte ist eine andere und nicht hier zu führen.) Bevor aber die
Wehrgerechtigkeit bei der modernisierten, stark verkleinerten Truppe
endgültig flöten geht, ist eine Reform nötig – hin zur Berufsarmee.
Denn den Dienst noch weiter auf nur noch symbolische Fristen zu
verkürzen, ist keine Lösung.

Man könnte diesem Fazit zustimmen – wäre dahinter nicht das Ansinnen
zu erkennen, die wenig attraktive Aufgabe der Landesverteidigung und
Krisenintervention an die sozial Schwachen "outzusourcen", wie es in
Wirtschaftsdeutschland heißt. So ist es schon in den USA geschehen.
Überspitzt: Schwarze aus der Unterschicht riskieren ihr Leben für die
Interessen einer weißen Elite, weil dies der einzige Weg zu einem
gewissen sozialen Aufstieg ist. Manchmal scheint es, als fürchte
Scharping dies. Nicht wegen der Ekel erregenden Wirkung von Markt- und
Herrschaftsgesetzen, sondern weil er eine "negative Selektion"
voraussieht. Damit könnte er die Drogenprobleme in der US-Armee meinen.

So ist die schlichte Befürwortung eines Berufsheers meist
gleichzeitig eine sehr bezeichnende Abkehr vom ursprünglich liberalen
Ideal. Der damalige Traum: In einer Wehrpflichtigenarmee arbeiten
Bürger aus jedem Stand zusammen. Als Staatsbürger in Uniform eben.

Heute braucht es eine solche Armee nicht mehr – dafür aber eine
Neuauflage dieser Idee. Ein einjähriger Gemeinschaftsdienst wäre so
etwas. Männer und Frauen zwischen 18 und 28 Jahren könnten sich
aussuchen, wann und wo sie diesen leisten: bei der Bundeswehr, im
sozialen Bereich, bei Stiftungen, Museen, der Feuerwehr, dem
Rettungsdienst oder sonst wo. Diese Gleichstellung von zivilem und
militärischem Dienst könnte das Ansehen der Soldaten in der
Gesellschaft steigern. Vor allem aber könnte ein solches Jahr helfen,
libertären Individualismus durch Verfassungspatriotismus zu ersetzen.
Es würde zum Staatsbürger erziehen – egal ob in Uniform oder nicht.

Dem Staat wird es nicht schaden, wenn nur noch eine freiwillige
Minderheit zum Bund geht. Auch eine Wehrpflichtigenarmee ist nicht
zwangsläufig ein Hort der Demokratie. Mit solchen hat Deutschland
immerhin schon zwei Weltkriege begonnen und Völker vernichtet. Diesen
Genozid wollten ja nicht allein die Wehrmachtsangehörigen. Nicht die
Organisationsform der Armee, sondern die mentale Verfassung des
Gemeinwesens ist entscheidend. Und um die wäre es besser bestellt, wenn
Menschen die Bedeutung des Begriffs "sozialer Rechtsstaat" wieder
erfahren könnten.

Anders als viele befürchten, würde ein Gemeinschaftsdienst den
Arbeitsmarkt im sozialen Bereich nicht zerstören. Das tun die
Stellenstreicher, die denken, ein Staat müsse als Unternehmen
funktionieren. Sie vergessen, dass Kosten und Nutzen nicht immer
finanziell zu definieren sind.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert