Der Apple der Erkenntnis (Süddeutsche Zeitung, 20.7.2001)
Der Apple der Erkenntnis
Die Revolution findet leise statt: Die „Macworld Expo“ in New York vollzieht den Abschied vom freundlichen Computer
Süddeutsche Zeitung, 20.7.2001
Weiß jemand, in welchem Jahr „Star Trek“ spielt? Nein. Nur zwei Jahreszahlen der Science Fiction haben Bedeutung jenseits ihres numerischen Werts erlangt: 1984 und 2001. Bei Orwell unterdrücken Menschen mittels Technologie andere Menschen, bei Clarke ist es die Technologie selbst, die Herrschaft beansprucht. Wer sein Leben lang an einer Designphilosophie des Computers arbeitet, ist sich dieser Zahlenmystik bewusst. Deshalb erwartete alle Welt von Apple eine Designrevolution auf der gerade in New York stattfindenden diesjährigen „Macworld Expo“ in New York. Jetzt ist die Welt enttäuscht, weil es keine neuen, bunten iMacs gibt. Doch genau das ist die Revolution. Und sie findet schon seit Beginn des Jahres statt.
Gewiss, die neuen iMacs haben dieselbe Form wie die alten. Und doch deutet sich eine tief greifende Veränderung an: Neben Weiß und Grau ist ein dunkles Blau die einzige Farbe, die dem Volksrechner gegönnt wird. Apple entfernt sich von den poppigen Farben, die 1998 erstmals beim iMac für solches Aufsehen sorgten. Wohin diese Entwicklung geht, war am Mittwoch zu sehen, als Steve Jobs in seinem traditionellen schwarzen Rollkragenpullover einen wahnsinnig schnellen Computer mit einem sehr verstörenden Aussehen zeigte. Der neue „Power Mac G4“ ist so groß wie ein überdimensionierter Bildkatalog. Das Äußere ist eine silberne, monolithische Fläche. Allein die durchsichtigen, gerundeten Griffe an allen vier Seiten ragen in die Außenwelt, der Rest ist reine Negierung der Umgebung. Dieser Computer ist nicht nur der Fetisch von Grafikern, Layoutern und Designern. Er ist eine Antwort auf die Fragen, mit denen die Zahl 2001 belegt ist.
Eine solche Antwort gab Apple bereits 1984. Damals ließ Ridley Scott, der Regisseur von „Blade Runner“ und „Alien“, in einem Apple-Spot eine junge Frau in roten Hosen durch eine Welt laufen, die jedermann bereits kannte. Graue Menschen laufen da in unendlich langen Reihen an Monitoren vorbei, graue Menschen sitzen vor einer riesigen Bildfläche – und starren. Doch jene junge Frau schwingt einen Hammer und wirft ihn dem Bild des großen Bruders auf der Leinwand und in den Köpfen der Fernsehzuschauer entgegen. Eine Explosion, dann ist ein bunter Apfel zu sehen, und wir wissen: Der „Macintosh“ von Apple erscheint und alles wird gut. 1984 wird nicht „1984“ sein.
Dieses Versprechen hat der Macintosh eingelöst. Zum Teil wenigstens. Es war der erste Computer, der seine Nutzer freundlich anlächelte. Ein kleiner beiger Kasten, der wenig Platz auf dem Schreibtisch brauchte und dem Nutzer offenherzig Diskettenlaufwerk, Bildschirm, Tastatur und Maus entgegenstreckt. Er war den Menschen näher als die Computertürme, die sich auch heute noch meist in der Dunkelheit unter den Schreibtischen verstecken, näher als die Großrechner, die in ihren staub- und menschenfreien Hallen jene Aura der Macht verbreiteten, welche die Welt schaudern ließ.
Der Macintosh hingegen wollte angefasst werden. Er hatte tatsächlich ein taktiles Design: Der Tragegriff auf dem Deckel wurde an der Unterseite mit einer geriffelten Struktur versehen. Der Designer Jerry Manock beschrieb das beabsichtigte Empfinden später so: „Man weiß nicht, dass diese Rippen dort sind, bis man die Maschine hochhebt. Man greift, fühlt und ist dankbar.“ Auf Manock geht auch die glatte Fläche um den Einschaltknopf an der Rückseite zurück. Der Nutzer streicht mit der Hand über den rauhen Rücken des Macintosh und wird entlang der glatten Fläche zu seinem Ziel geführt. Ein Computer zum Streicheln. Und ein Computer, dessen grafische Benutzeroberfläche jedermann verstand, den jedermann ohne Fachwissen bedienen konnte.
Das war Apples Antwort auf die Ängste der damaligen Zeit. Gefürchtet wurde nicht Technologie an sich, sondern die Elite, welche die Technologie bedienen kann und ihr Wissen zur Unterdrückung verwendet. Apple hat 1984 den Zugang zum Herrschaftswissen demokratisiert. Allerdings um den Preis, den Handlungsspielraum der Nutzer einzuschränken. Mit einem Computer, der von jedermann zu bedienen ist, kann nicht mehr jedermann alles anstellen. Seit 1984 produziert Apple freundliche Computer. Von Anfang an erschien das lachende Gesicht beim Starten auch auf dem Bildschirm. Es war eine fast schon manipulative Freundlichkeit. Der 1997 eingeführte iMac steht in dieser Tradition. Seine Form ist eine einzige Bitte, getätschelt zu werden.
Doch die Ängste der Menschen haben sich geändert. Heute wird nicht mehr so sehr eine Elite gefürchtet, die sich einer für die anderen unzugänglichen Technik bedient, um zu herrschen. Angst macht Technologie selbst, Technologie nämlich, die als solche nicht mehr zu erkennen ist. Das Echo auf Bill Joys Essay über die Gefahren der Nanotechnologie ist ein Indikator dafür. Gefürchtet wird nicht Macht, die 1984 noch in den riesigen Großrechenanlagen zum Ausdruck kam. Gefürchtet werden die Dinge, die wir nicht mehr als Dinge erkennen: Genmais oder eben jene Nanoroboter, welche die Welt auseinander nehmen, um aus ihrem Material eine neue zu bauen. Kann man da noch Computer herstellen, die freundlich-bunt aussehen wie Möbel in den siebziger Jahren? Computer, die in ihrer Freundlichkeit kaum noch als Technologie wahrnehmbar sind, ganz ähnlich wie der plaudernde und Schach spielende Computer HAL in „2001“?
Nein, das kann man nicht. Deshalb umgab Apple die Power Mac G4 Reihe Apple seit ihrer Premiere 1999 mit einer Aura der Macht. Steve Jobs sprach damals vom „Supercomputer auf einem Chip“. Das Äußere der Rechner hatte wenig von der Verspieltheit der iMacs, und doch war es in seinen zwei klar kontrastierenden Farben weit entfernt von dem jetzt vorgestellten Monolithen.
Eine ähnliche Entwicklung hat Apple in diesem Jahr auch bei seinen anderen Rechnern vollzogen. Das technische Innere des Powerbook G4 ist physisch zwar näher an seinen Nutzern als das jedes anderen Computers. Man legt beim Schreiben die Handballen auf ein Gehäuse aus Titan, das weniger als einen Millimeter dick ist. Vielleicht spürt man ein wenig von der Wärme der Chips darunter, vom Atemhauch des Rechners. Doch zugleich fühlt der Nutzer sich weiter entfernt von seinem Powerbook denn je. Die nicht gebrochene, metallisch-silberne Oberfläche des tragbaren Computers erinnert an die schweigenden, glatten Fassaden vieler Bauwerke der neunziger Jahre. An die gläsernen und doch so geschlossenen Galeries Lafayette von Jean Nouvel in Berlin beispielsweise.
Noch deutlicher wird das Wesen dieser Designrevolution bei Apples neuem iBook. Es gleicht einem Blatt Papier: sehr flach und blendend weiß. Liebenswert ist dieses Design ganz und gar nicht mehr, sondern auf unterkühlte Weise elegant. Es ignoriert jeden Kontext, lebt aus der Referenzlosigkeit zur Außenwelt. Für Apples neues Designkonzept gilt, was der Architekturkritiker Hans Ibelings 1998 über die von ihm so genannte Supermoderne schrieb: „Das Verschwinden der zwanghaften Tendenz, alles in symbolischen Begriffen zu konstruieren, hat nicht nur Designer von der beschwerlichen Aufgabe befreit, ‘bedeutungsvolle’ Architektur zu schaffen, sondern es auch den Architekten, Kritikern und Historikern ermöglicht, Architektur insoweit anders zu betrachten, als dass die Dinge nun phänomenologisch als das akzeptiert werden was sie sind.“
Für Computer bedeutet dies: Technologie in der Form des neuen iBook ist nicht mehr freundlich per se. Sie ist nichts, lediglich eine weiße Fläche, die beschrieben werden will. Sie erwartet von ihrem Benutzer, dass er eine Beziehung zu ihr herstellt. Das Versprechen von Ridley Scotts Werbespot von 1984 konnte Apple nicht einlösen. Zwar war jeder in der Lage, sich nun eines Rechners für all jene Dinge zu bedienen, für die andere Leute Programme geschrieben hatten. Doch welcher Nutzer kann schon selbst Programme für eigene Zwecke schreiben? Deshalb produziert die kalte, schweigende Eleganz des neuen Apple-Designs ein so notwendiges Gut: Ehrfurcht vor den Dingen. Insofern wirft Apple 15 Jahre nach 1984 den Hammer nicht gegen den Großen Bruder, sondern gegen das eigene Spiegelbild.