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Der lange Weg zum Kinder-Netz (Financial Times Deutschland, 3.9.2003)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Der lange Weg zum Kinder-Netz

In den USA startet die Kinder-Domain kids.us – doch Eltern sollten sich beim Onlineschutz ihrer Kleinen nicht auf Technik verlassen. Es gibt verschiedene Ansätze für sicheres Surfen.

Financial Times Deutschland, 3.9.2003

Wenn jemand Rosen in seinem Garten züchten will, reißt er nicht unbedingt zuerst den Löwenzahn aus. Eher pflanzt er seine Wunschblumen. Diese Logik wollen die Konstrukteure mancher technischen Lösung zum Kinderschutz im Internet ihre Kunden vergessen lassen. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel soll der Adressraum kids.us zum walled garden für Kinder werden. Laut Gesetz dürfen sie auf diesem Spielplatz nur Material finden, das für Unter-Dreizehnjährige geeignet ist. Geeignet soll grob gesagt alles sein, was nicht gewalthaltig und sexuell anstößig ist. Doch mit solchen Negativkriterien garantiert die Technik keineswegs, dass Fotos von Polizeimotorädern, Geschichten vom Ponyhof, verständlich geschriebene Nachrichten und was Kinder noch interessiert verfügbar und findbar ist. Wer also Kinder und einen Internetzugang hat, muss sich zuerst über ihre konkreten Nutzungswünsche ebenso wie über die allgemeinen Gefahren im Netz Gedanken machen. Auf dieser Basis kann man die Hilfsmittel besser beurteilen.

Zum Beispiel die oft mit Kinderschutz gleichgesetzten Softwarefilter. Einige dieser Programme sind heute deutlich besser als sie es vor drei Jahren waren. Damals blockierten sie mindestens ebenso viele harmlose Seiten, wie sie pornografische Angebote als unbedenklich befanden. Das Verhältnis ist heute besser, aber nicht perfekt. Ein Vergleich von Filtersoftware im Auftrag des Landes Niedersachsen ergab im Frühjahr, dass selbst die besten Produkte „noch zu viele für Kinder geeignete Angebote" blockierten. Doch Software ist sinnvoll, wenn man bedenkt, dass nicht nur die immer genannten Sexseiten ein Problem. Kinder können im Netz genauso schnell wie ihre Eltern auf penetrante Pop-up-Werbebanner für seltsame Waren, spionierende Cookies oder Gewinnspiele zwecks Gewinnung persönlicher Daten stoßen. Dagegen hilft Erfahrung und Selbstdisziplin beim Surfen – und Softwarepakete. Die beiden führenden Rundum-Schutzproramme „McAfee Internet Security 5.0" und „Norton Internet Security 2003" unterscheiden sich geringfügig. Beide bieten Werbeblocker, Firewalls und Virenscanner. Das McAfee-Programm filtert unerwünschte Inhalte im WWW, Chats, Newsgroups und E-Mails mit konfigurierbaren Schlüsselwortlisten. Ähnlich arbeitet der Konkurrent. Bei beiden kann man verschiedene Accounts anlegen. Der McAfee-Nutzer kann private Daten wie Kreditkartennummern oder E-Mail-Adressen definieren, die das Programm verschlüsselt speichert und nur nach Zustimmung über die Netzverbindung sendet.

Wer auf den zusätzlichen Schutz verzichten kann und nur filtern will, kann in Deutschland auch Angebote der Internetprovider AOL und Arcor nutzen. AOL ermöglicht eine sehr detaillierte Einstellung, unter welchem Einwahlnamen, wie und wo lange gesurft werden darf, ob und welche Chaträume nutzbar sind. Anders als AOL unterscheidet der Filter von Arcor-Juniornet nicht zwischen den Bedürfnissen eines Sechs- und eines Zwölfjährigen. Zudem ist das Angebot nicht im gewöhnlichen Zugang enthalten, sondern hat einen überdurschnittlichen Minuten- und Monatspreis. Dafür verspricht die Filtersoftware zwei Millionen im Vier-Augen-Prinzip geprüfte Seiten. Verantwortlich dafür ist das Unternehmen Cobra.Youth Communications, eine Agentur, die auch werbliche Internetangebote für die Deutsche Bahn und Telekom gestaltet hat. Die Startseite kindercampus.de weckt wenig Vertrauen – führen doch nicht als Werbung gekennzeichnete Links zu Angeboten eines Chips-Fabrikanten und eines Verkehrsunternehmens. Für die Validität der Filterkriterien von Arcor-Juniornet steht jedoch ein pädagogischer Beirat gerade. Der besteht zur Hälfte aus Professoren, etwa dem Hamburger Erziehungswissenschaftler Stefan Aufenanger. Das Angebot sollten interessierte Eltern also erst einmal kritisch testen.

Vor allem, weil keine dieser Software-Lösungen garantiert, dass Kinder finden, was sie suchen. Und angesichts aktueller Untersuchungsergebnisse von Jugendschutz.net und der Henry J. Kaiser Family Foundation enthalten die Programme den Nutzern noch immer manch interessante und gar nicht gefährliche Seite vor.

Dieses Risiko besteht kaum bei einer anderen Software-Lösung, den so genannten Rating-Systemen. Hier geben Anbieter selbst an, was ihre Seite enthält und erhalten dann ein entsprechendes Inhalts-Etikett von einer Organisation wie der Internet Content Rating Association (ICRA). Browser wie Internet Explorer und Netscape/Mozilla können solche Etiketten auslesen und Nutzern ohne Passwort den Zugriff auf vom Administrator definierte Inhalte verweigern. Das Problem dabei sind nicht falsche Angaben. Kommerzielle Anbieter von Pornografie haben wenig Interesse an minderjährigen Kunden, da Konflikte mit dem Gesetz schlecht fürs Geschäft sind und Minderjährige ohnehin nur selten Kreditkarten haben. ICRA leidet an der Faulheit der Anbieter, ihre Inhalte zu zertifizieren. Da eine auf ICRA basierende Filterung nur Sinn macht, wenn man nicht-gekennzeichnete Seiten blockt, muss ein so gestrafter Nutzer auf Angebote wie google.de, faz.de und sueddeutsche.de verzichten. Zum Filtern ist ICRA deshalb leider unbrauchbar, doch wer eine Seite erstellt, sollte sich die wenigen Minuten nehmen. Die Zugangsschwelle zu Regulierungsmonstern wie kids.us ist finanziell weit höher. So hoch, dass die für Kinder oft spannendsten Internetseiten von Amateuren, die sich für Traktoren, Fische oder was auch immer begeistern, wohl kaum umziehen werden.

Die hilfreichste Lösung sind deshalb Verzeichnisse kindgerechter Internetseiten. Hier können Kinder entweder selbst Angebote zu den eigenen Vorlieben suchen, oder man benutzt die Verzeichnisse als Quelle für eine eigene Linksammlung, die alle aktuellen Interessen des Kindes abdeckt. Ein viel gelobtes deutsches Verzeichnis ist die Suchmaschine für Kinder blinde-kuh.de. Sie wurde 1999 mit dem Deutschen Kinderkulturpreis ausgezeichnet. Die Macher bieten auch einen Überblick anderer möglicher Startpunkte im deutschen Netz für Kinder. Einen sehr gut nach Altersgruppen geordneten Katalog mit kritischem Blick auch auf die Werbestrategien der Anbieter bietet das Deutsche Jugendinstitut.

Wenn Kinder und Eltern auf dieser Basis gemeinsam an einer Linksammlung arbeiten, ergibt sich die von Pädagogen immer wieder geforderte Aufmerksamkeit für das Nutzungsverhalten der Kinder eigentlich von selbst. Mit ein wenig HTML-Kenntnissen und einem entsprechenden Programm (detaillierte Einführung) können Kinder und Eltern selbst eine individuelle Startseite erstellen. So ist auch die Suchmaschine Blinde Kuh entstanden. Weniger Zeit kostet es, die Surftipps als Lesezeichen im jeweiligen Internetbrowser zu ordnen. Man sollte auch die voreingestellte Suchmaschine des jeweiligen Programms durch eine Suchmaschine für Kinder ersetzen kann. Eine Anleitung für den Internet Explorer gibt die Blinde Kuh.

Für einige Anfragen spucken die etablierten Kindersuchmaschinen wenig Ergebnisse aus. Dann muss man sich selbst auf die Suche außerhalb der Kinderseitenlandschaft machen. Um die Qualität der gefundenen Angebote zu beurteilen, stellen Kinder und Eltern am besten einige individuelle Kriterien zusammen. Anregungen dazu können die Qualitätsmerkmale der Virtuelle Schule Österreich oder die Suchstrategie der Blinden Kuh geben.

Eine umfassende individuelle Linksammlung bietet allerdings ebenso wenig absoluten Schutz gegen alle potenziellen Gefahren wie Filtersoftware. Deshalb ist als dritte Komponente neben den Negativ- und Positivlisten die oft beschworene Medienkompetenz der Kinder und Eltern wichtig. Für Kinder gibt es einige Anleitungen, die interessant wirken und die Eltern nicht als Spielverderber dastehen lassen. Zum Beispiel die übersetzten FBI-Sicherheitstipps für Kinder oder – etwas umfassender und technischer – die Internautenschule bei Kidsville.de. Ratgeber, wie Eltern ihrer Aufsichts- und Informationspflicht nicht-spielverderberisch erfüllen können, bietet zum Beispiel der SWR. Die wichtigsten Grundregeln beim Surfen sind für Kinder und Eltern eigentlich dieselben: Alle persönlichen Daten – gerade die E-Mail-Adresse – sorgsam hüten und misstrauisch gegenüber allen Angeboten sein, die etwas zu gut klingen.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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