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Der Markenname als Realitätsbeweis (Tagesanzeiger, 03.10.2002)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Der Markenname als Realitätsbeweis

Product Placement in Computerspiel und Film bringt mehr als nur zusätzliche Einnahmen

Tagesanzeiger, 03.10.2002

Bei Kulturkritikern geht die Angst um, es könnte den Lesern, Zuschauern und Spielern dieser Welt so ergehen wie den Besuchern bei der Eröffnung der Berliner Louis-Vuitton-Filiale. Da wurden unscheinbare Papp-Brillen verteilt. Setzte man sie auf, strahlten Autoscheinwerfer, Strassenlaternen und Ampeln als Louis-Vuitton-Logos in die Nacht. Die Realität der Marken wölbt sich über unsere Welt. Und zunehmend auch über ihre Reflexion in der Kunst. Mehr als ein Dutzend Marken tauchen in Steven Spielbergs neuem Film „Minority Report“ auf. 25 Millionen Dollar hat dieses Product Placement eingebracht. Der erste Millionendeal dieser Art für ein Computerspiel wurde Mitte September besiegelt. Kürzlich erschien Fay Weldon Roman „Die Bulgari-Connection“ in deutscher Sprache. Darin taucht zehn mal die titelgebende und zahlende Juweliermarke auf. Darüber schimpfte die amerikanischen „Authors Guild“, solche Deals würden die Glaubwürdigkeit der Literatur zerstören. Tatsächlich? Product Placement erfüllt zumindest in Filmen und Spielen längst eine ganz andere Funktion alsblossee Profitsteigerung: Marken dienen als Realitätsbeweis.

Diese Entwicklung zeichnete sich bereits Mitte der neunziger Jahre bei Computerspielen ab. Die Produzenten zahlten damals sogar bereitwillig dafür, Markennamen in ihren Spielen benutzten zu dürfen. Der Grund: Spiele werden nicht als Unterhaltung, sondern als Welt verkauft. Der Als-ob-Realismus ist oberstes Gebot der meisten Genres. Die Bilder der Spielwelten müssen in immer mehr Pixeln kodiert werden, so dass man irgendwann das ihnen zugrunde liegende Zahlengerüst nicht mehr bemerkt. Doch um einen Weltentwurf als realistisch wahrzunehmen, verlangt die menschliche Wahrnehmung heute mehr. Die Gegenstände in den Weltentwürfen müssen mit Markennamen belegt und dadurch lesbar gemacht werden. Über diese Grammatik der Wirklichkeit sagt Mike Fischer, zuständig fürs Marketing bei der US-Niederlassung des Spieleherstellers Sega: „Product Placement ist eine Widerspiegelung all der Marken in unserer Umwelt. In einem Videospiel will man nicht zu irgendeinem Restaurant mit gebratenen Hähnchen fahren, sondern zu Kentucky Fried Chicken.“

Marken transportieren längst ihre eigene Ideenwelt und Wirklichkeit. Sogar die „No Logo“-Autorin Naomi Klein sieht die grosse Chance für eine Markenkritik darin, die transportierten Ideen mit der Realität zu vergleichen. Doch dieser Hoffnung liegen zwei Annahmen zugrunde, die von der aktuellen Praxis des Product Placement in Computerspielen und Filmen relativiert werden.

Das gilt zum einen für die strikte Trennbarkeit von Markenrealität und der sonstigen Wahrnehmung der Welt. Die Fotografien des Künstlers Ralf Peters kommen dem Betrachter so unwirklich vor, weil die Markennamen am Computer aus ihnen entfernt wurden. Deshalb sind Markeninhaber und Künstler, welche die Wirklichkeit reflektieren, eine Allianz eingegangen. In Spielbergs „Minority Report“ bürgen Logos von Lexus für die Validität der Vision schwebender Autos. Im Computerspiel „Sims Online“ werden Burger und Computer Markennamen tragen. McDonalds und Intel zahlen dafür zwei Millionen Dollar – und den Spielern wird es nicht einmal auffallen. Denn unnormal wäre nur das Gegenteil, eine markenfreie Welt.

Auch der Glaube, Marken würden eine immer gleiche Idee transportieren, überdauert wohl nicht im 21. Jahrhundert. In „Minority Report” scannen Plakatwände die Iris der Passanten und bieten ihnen nach Konsumgeschichte, demographischen Daten und aktueller Körperverfassung individualisierte Leistungsversprechen. Rennt der Held des Films zum Beispiel gerade um sein Leben, empfehlen ihm die Reklamewände ein Guinness oder Südsee-Urlaub zum Entspannen. So etwas realisiert bereits heute das Unternehmen „Princeton Video Image“ in den Vereinigten Staaten. In aktuelle Fernsehübertragungen wird per digitaler Bildbearbeitung Werbung eingefügt. Demnächst will das Unternehmen zusammen mit Kabelfernsehanbietern Haushalte in demographische Klassen einteilen, so dass die Fernsehbilder zielgruppengerecht bearbeitet und um geeignete Botschaften ergänzt werden können.

Demnächst wollen US-Sender sogar mit digitaler Bildbearbeitung bei Fernsehausstrahlungen das Product Placement in alten Filmen aktualisieren. Das würde den Film als historisches Dokument zerstören. Doch zumindest das Problem von Markennamen als Beweis der Validität von Zukunftsvisionen wäre beseitigt: In Ridley Scotts Verfilmung von „Blade Runner“ sieht man heute noch das Logo der Fluglinie Pan Am am Nachthimmel des Jahres 2019. Die Fluggesellschaft ging 1991 pleite.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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